Wolfgang Schäuble Vom Bundestagschef zum Alterspräsidenten
Alles neu im Parlament: Nach der ersten Sitzung des 20. Deutschen Bundestages wurden die Rollen neu verteilt. Heute schauen wir auf den früheren Bundestagspräsidenten und letzten Alterspräsidenten: Wolfgang Schäuble.
Es war auf den ersten Blick ein vertrautes Bild, mit dem das frisch gewählte Parlament vergangene Woche in die 20. Wahlperiode startete: Ein letztes Mal saß Wolfgang Schäuble ganz vorne im Plenarsaal, auf dem erhöhten Chefplatz gegenüber den zum Halbrund angeordneten blauen Stühlen der Abgeordneten.
Und doch war einiges neu bei diesem ersten Zusammentreffen, selbst für den Bundestags-Profi Schäuble. Denn mit seinen fast 50 Jahren Parlamentserfahrung ist der CDU/CSU-Abgeordnete das mit Abstand dienstälteste Mitglied des Bundestages und als solches wurde ihm eine besondere Aufgabe zuteil: Als sogenannter Alterspräsident eröffnete Schäuble die erste Sitzung nach der Wahl.
Aus dem Lexikon
Ansprache als Alterspräsident
Dieses Amt hat eine ziemlich lange Tradition im deutschen Parlament. Zu Beginn jeder neuen Wahlperiode übernimmt der Alterspräsident vorübergehend die Aufgaben des Bundestagspräsidenten. Und zwar so lange, bis die Abgeordneten einen neuen Parlamentschef oder eine neue Parlamentschefin gewählt haben.
Üblicherweise hält der Alterspräsident außerdem eine Rede und gibt den neuen Parlamentariern einiges zum Nachdenken mit auf den Weg. So machte sich Schäuble in seiner Ansprache für Meinungsvielfalt und eine gute Debattenkultur im Bundestag stark. Das Parlament sei „der Ort, an dem wir streiten dürfen. An dem wir streiten sollen“, sagte der 79-Jährige und fügte hinzu: „fair und nach Regeln.“
„Vertreter des ganzen Volkes“
Darüber hinaus ermahnte der ehemalige Parlamentschef die Abgeordneten, sich nicht nur für die Interessen ihrer eigenen Wähler und Parteien einzusetzen, sondern immer auch das Gemeinwohl im Blick zu haben. Schließlich seien die 735 Bundestagsmitglieder Vertreter des ganzen Volkes, so wie es im Grundgesetz stehe.
Video: „Was machen Bundestagsabgeordnete?“
© DBT/mitmischen.de
„Als Parlamentarier muss sich eine Juristin aus der Finanzverwaltung mit Fragen der Landwirtschaft vertraut machen, der Handwerksmeister Entscheidungen über eine Pflegereform treffen“, sagte Schäuble. Aus Sicht des Alterspräsidenten vertreten die Abgeordneten die Menschen in Deutschland nämlich nicht durch ihre Person, sondern durch ihre Politik.
Demnach gehe es in einer repräsentativen Demokratie nicht darum, dass jeder Einzelne im Parlament einen Teil des Volkes abbilde. Sondern darum, dass alle Menschen durch die Politik der gewählten Volksvertreter politisch Gehör fänden.
Schäuble für Wahlrechtsreform
Ein weiteres Thema, das der Alterspräsident während seiner Rede vor dem Plenum ansprach, war die Größe des Parlaments. Seit vielen Jahren überschreitet der Bundestag seine Regelgröße von 598 Abgeordneten deutlich, aktuell um fast 140 Sitze. Das hat etwas mit unserem Wahlrecht zu tun. Mit sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandaten, um genau zu sein.
Von den Abgeordneten forderte Schäuble, das Wahlrecht rasch auf die Tagesordnung zu setzen und eine Reform auf den Weg zu bringen. Das dulde „keinen Aufschub“, mahnte der Alterspräsident. Dabei seien bei einer so wichtigen Entscheidung alle Abgeordneten gefragt, keine politische Kraft im Parlament dürfe aus der Mitverantwortung für eine „tragfähige Lösung“ entlassen werden.
Wechsel auf dem Podium
Nach seiner Rede führte Schäuble die Abgeordneten routiniert durch den ersten Teil der Sitzung. Der Höhepunkt war die Wahl der neuen Präsidentin. Mit großer Mehrheit sprach sich das Parlament für die SPD-Politikerin Bärbel Bas als Parlamentschefin aus. Die 53-Jährige erhielt 576 Ja-Stimmen, deutlich mehr als erforderlich gewesen wären.
„Frau Präsidentin, bitte übernehmen Sie das Amt“, sagte Schäuble. Mit ihrer Wahl war seine Aufgabe als Alterspräsident erfüllt.
Übrigens: Dass das Bundestagsmitglied mit der meisten Parlamentserfahrung die konstituierende Sitzung eröffnet, haben die Abgeordneten erst im Jahr 2017 beschlossen. Bis dahin war Alterspräsident, wer das nach Jahren ältestes Mitglied des Bundestages war. Kritik an dieser Neuregelung kam von der AfD. Nach dem Willen der Fraktion sollte wieder der älteste Abgeordnete Alterspräsident werden. Sie forderte, die Geschäftsordnung zu ändern. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt.
Hier könnt ihr euch die Rede des Alterspräsidenten Schäuble bei der ersten Sitzung anschauen:
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