Bericht der Regierung Wie erfolgreich ist die Entwicklungspolitik?
Eric Matt
Armut, Hunger und Kriege: Alle vier Jahre legt die Bundesregierung den "Entwicklungspolitischen Bericht" vor. Darin steht, wo es Erfolge gab und wo noch viel zu tun ist. Die Bundestagsabgeordneten debattierten den Bericht kontrovers.
Seit 1990 konnte die Zahl der hungernden Menschen weltweit fast halbiert werden. Während 1960 nur jedes zweite Kind zur Schule ging, waren es 2017 neun von zehn Kindern. In den letzten Jahrzehnten sank außerdem die weltweite Armutsrate von 36 auf 9 Prozent. Krankheiten wie Aids oder Polio gingen zurück und Mütter starben seltener bei der Geburt.
„Entwicklungspolitik wirkt!“, heißt es aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Doch ist unsere Entwicklungspolitik tatsächlich so erfolgreich? Wo gibt es Verbesserungsbedarf? Dies thematisiert der kürzlich erschienene 16. Entwicklungspolitische Bericht.
In der Debatte des Bundestages waren sich die Abgeordneten uneins. Manche sprachen über einen „links-grünen Kulturkolonialismus“, während andere eine „Erfolgsgeschichte“ ausmachten.
Was steht im Bericht?
Wie umfangreich und komplex Entwicklungspolitik sein kann, zeigt schon die Länge des Berichts: Auf 388 Seiten beschreibt das zuständige Ministerium die aktuelle Situation. Der Titel des Berichtes? „Eine Welt – unsere Verantwortung. Globalisierung gerecht gestalten.“ Zuständig dafür war noch Gerd Müller (CSU), der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der letzten Regierung.
Laut Bericht hat Deutschland in der vergangenen Legislaturperiode zehn Ziele erreicht. Dazu zähle beispielsweise, dass hierzulande zum ersten Mal seit 50 Jahren 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Entwicklungshilfe ausgegeben werde. Das BIP ist die gesamte wirtschaftliche Leistung (Güter, Waren, Dienstleistungen) eines Staates innerhalb eines Jahres.
Ein weiterer Erfolg sei, dass sich der deutsche Beitrag für Klimaschutz von 2014 bis 2020 mehr als verdoppelt habe – von zwei Milliarden Euro auf mehr als fünf Milliarden Euro. Außerdem habe die ehemalige Bundesregierung stärker mit afrikanischen Staaten zusammengearbeitet und durch das sogenannte Lieferkettengesetz eine menschenwürdigere Produktion ermöglicht. Außerdem habe die Regierung Corona-Pandemie und Fluchtursachen weltweit bekämpft, Hungersnöte verringert sowie Artenvielfalt gefördert.
Was lief nicht so gut?
Der Bericht räumt ein, dass „wenn wir in diesem Tempo weitermachen, wir bis 2030 keines der 17 Ziele“ der Vereinten Nationen für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung erreichen würden. Diese Ziele werden auch Agenda 2030 beziehungsweise Sustainable Development Goals genannt. Dabei geht es beispielsweise darum, bis 2030 auf der ganzen Welt Armut und Hunger zu beenden. Weitere Vorhaben sind, eine bessere Bildung und Gesundheitsversorgung zu erreichen, Ungleichheiten zu bekämpfen oder für Frieden einzustehen.
Die neue Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte im Bundestag: „Es gibt noch viel zu tun. Aber ich werde alles dafür tun, um die Hebel umzusetzen, und dafür setze ich auch auf Ihre Unterstützung.“
Doch wie waren die Meinungen der Bundestagsabgeordneten?
CDU/CSU: „Entwicklungspolitik ist Zukunftspolitik“
Der CDU/CSU-Abgeordnete Georg Kippels kommentierte, dass „hinter uns eine entwicklungspolitische Phase liegt, die man als Erfolgsgeschichte bezeichnen kann“. Dieser Erfolg sei insbesondere der ehemaligen unionsgeführten Bundesregierung zu verdanken. Nun sei es wichtig, weiter auf Kontinuität zu setzen. „Kontinuität und strukturiertes Vorgehen ist das Geheimrezept einer erfolgreichen Verbesserung der Lebensverhältnisse rund um den Globus“, so der Unionsabgeordnete.
Daher sei es nicht zielführend, dass innerhalb einer Legislaturperiode ein Problem „massiv überhöht“ werde und andere Themen nicht weiter berücksichtigt würden. Er lobte, dass Deutschland das 0,7-Prozent-Ziel erreicht hat, forderte aber dennoch, dass weiterhin „eine Schippe draufgelegt werden“ müsse. Kippels erklärte: „Entwicklungspolitik ist Zukunftspolitik, ist Friedens- und Sicherheitspolitik.“ Hierfür brauche Deutschland weltweite Partner.
Grüne: „Es braucht ein Mehr an internationaler Gerechtigkeit“
„In diesem Bericht muss einiges besser werden. Aber in der Tat, es gibt durchaus einige Lichtblicke“, bemerkte Agnieszka Brugger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zu diesen Lichtblicken gehöre beispielsweise das letztes Jahr verabschiedete Lieferkettengesetz. Dieses Gesetz soll dabei helfen, für Produkte, die in anderen Ländern produziert wurden, menschen- und umweltrechtliche Standards zu sichern. Positiv sei auch, dass Deutschland das 0,7-Prozent-Ziel „endlich“ erreicht habe.
„In einer Welt, in der Krisen, Armut, Hunger und Krieg wieder zunehmen, braucht es ein Mehr an internationaler Gerechtigkeit, ein Mehr an Solidarität“, forderte Brugger. Die neue Regierung werde sich nun verstärkt für Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Gesundheit und Chancengerechtigkeit einsetzen. Brugger beendete ihre Rede: „Das Handeln der Bundesregierung fühlt sich der globalen Gerechtigkeit, den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen und der internationalen Solidarität verpflichtet.“
AfD: „Stoppen Sie das Entwicklungsillusionstheater“
Dietmar Friedhoff von der AfD-Fraktion führte ein eigenes Gedicht auf: „Völker dieser Welt schaut auf unser Land, das ohne Not gefahren wird vor die Wand. Wer fährt es vor die Wand und macht es krank? Die Regierungsbank. Mit Deutschland klappt es nicht so richtig. Deswegen rettet die Ministerin gleich die ganze Menschheit. Wichtig.“
Der AfD-Abgeordnete sagte, dass bisherige Entwicklungspolitik nicht erfolgreich gewesen sei. So sei der afrikanische Kontinent noch immer fragil, korrupt und zerrissen. Die gesamte Wirtschaftsleistung Afrikas beispielsweise sei nur so groß wie die von Deutschland alleine. Um Entwicklungspolitik erfolgreich zu gestalten, müsse man „mit dem eurozentristischen, klimafeministischen, queergegenderten links-grünen Kulturkolonialismus endlich aufhören“. Friedhoff forderte: „Stoppen Sie das Entwicklungsillusionstheater und beenden Sie den linken Ideologiebetrieb.“
Die AfD reichte zwei Anträge ein: „Strategiewechsel in der Entwicklungspolitik – Entwicklungszusammenarbeit im deutschen Interesse“ und „Digitalpolitisches Entwicklungsland Deutschland fördern statt Blockchain-Geschäftsmodelle in Afrika“.
FDP: „Wir retten es weltweit oder gar nicht“
„Der Bericht benennt viele Erfolge, aber er zeigt auch Schwachstellen auf“, zog der FDP-Abgeordnete Knut Gerschau eine gemischte Bilanz. Für ihn gelte in der Entwicklungspolitik der Grundsatz, dass es besser sei, Selbstbestimmung zu ermöglichen, anstatt „jede staatliche Hilfe mit der Gießkanne“ zu verteilen. Dabei sei eine gemeinsame internationale Zusammenarbeit wichtiger denn je. „Wir setzen auf starke Allianzen, um Entwicklungspolitik effizienter zu machen“, so Gerschau. Dies gelte auch im Kampf gegen den Klimawandel. „Wir retten es weltweit oder gar nicht.“ Im Klimaschutz seien ebenso die Unternehmen gefragt, denn diese verfügten über „die Mittel und das Know-how, um eine Energiewende zu unterstützen“. Ein weiterer entwicklungspolitischer Schwerpunkt sei es, Frauenrechte zu stärken. Gerschau mahnte an, dass Entwicklungspolitik nur eine Unterstützung sein könne – und nicht zu Abhängigkeit führen dürfe.
Linke: „Das ist unverantwortlich“
Die Linken-Abgeordnete Cornelia Möhring forderte, man müsse „die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt rücken, orientiert an Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit“. Die Bundesregierung aber berücksichtige zu oft eigene Wirtschaftsinteressen. Dies zeige sich etwa in Afghanistan: „Die Wirtschaft ist weitgehend zusammengebrochen. Die Menschen haben kaum Geld und leiden unter Hunger. Und was macht das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung? Das lehnt Ausreiseanträge ab, weil die Betroffene ‚nur' einen Honorarvertrag hatten. Das ist unverantwortlich“, so Möhring. Gleiches gelte beim Thema Corona-Impfungen. So seien in ärmeren Ländern nur elf Prozent einmal geimpft – während hierzulande schon geboostert werde. Möhring forderte daher, den sogenannten Patentschutz aufzuheben. Dies hätte zur Folge, dass deutlich mehr Unternehmen Impfstoffe produzieren könnten, was wiederum zu mehr Impfungen führen würde.
SPD: „Die Lage ist dramatisch“
„In diesem Jahr werden 274 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein. Vergangenes Jahr waren 84 Millionen auf der Flucht. 45 Millionen droht Hunger. Die Lage ist dramatisch“, sagte die SPD-Abgeordnete Rebecca Schamber. Sie erklärte, dass es eine „bessere ressortübergreifende Zusammenarbeit und einen systematischen Ansatz der Friedensförderung“ brauche. Um dies zu erreichen, wollten die neuen Chefinnen des Auswärtigen Amtes, des Entwicklungsministeriums und des Verteidigungsministeriums nun „mit gemeinsamer Stimme sprechen“.
Schamber sprach sich für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik aus. Das bedeute eine Politik, die Frauen in Verhandlungen miteinbezieht und eher auf Diplomatie als auf Militär setzt. Der Erfolg davon sei nachgewiesen: „Wenn Frauen an Verhandlungen beteiligt sind, steigt die Chance, dass es erstens zu einem Friedensvertrag kommt und zweitens, dass der Frieden länger als zwei Jahre hält, um 20 Prozent“, so Schamber.
Die komplette Bundestagsdebatte seht ihr hier im Video, das Protokoll findet ihr wie immer auf bundestag.de.
Eric Matt
... ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zurzeit macht er ein Auslandssemester in Israel.