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Chef des Weltärztebundes „All unsere Probleme mal zehn“

Laura Heyer

Wie es aktuell in Afrika aussieht, warum es gerade jetzt wichtig sei, die Weltgesundheitsorganisation zu unterstützen, und warum er dieses Jahr Urlaub an der Havel macht, erzählt Frank Ulrich Montgomery im Interview.

Porträtaufnahme von Frank Ulrich Montgomery

„Es ist ein Irrtum zu glauben, dass wir nach der ersten Welle die Corona-Pandemie bewältigt haben“, warnt Frank Ulrich Montgomery. © privat

Herr Montgomery, Sie sind Chef des Weltärztebundes. Wie muss ich mir die Lage der Ärzte beispielsweise in Afrika gerade vorstellen?

In Afrika leben oft viele Menschen sehr dicht aufeinander, das ist schlecht in einer Pandemie. Außerdem sind zu wenig Ärzte und Schutzmaterialien vorhanden. Es gibt natürlich auch reiche Viertel wie in Kapstadt, aber in den meisten Teilen etwa Südafrikas ist die Lage nicht vergleichbar mit unserem Gesundheitssystem in Deutschland. Wenn man all unsere Probleme mal zehn nimmt, kann man sich ungefähr vorstellen, wie es dort ist.

Sie haben in einem Interview darauf hingewiesen, dass der Kampf gegen Corona in Afrika auch Auswirkungen auf die ganze Welt hat. Was meinen sie damit?

Mit dieser Aussage wollte ich darauf hinweisen, dass es ein Irrtum ist, zu glauben, dass wir nach der ersten Welle die Corona-Pandemie bewältigt haben. Das wird erst nach der Entdeckung einer vernünftigen Therapie so sein oder wenn es einen Impfstoff gibt. Solange kann das Virus aus allen Ländern der Welt wieder zurückkommen.

Droht also aus Afrika eine zweite Corona-Welle?

Sicher nicht aus Afrika allein, sondern auch aus Südamerika oder Südostasien – überall, wo die Krankheit sich noch ausbreitet, kann eine Einschleppung zu uns wieder geschehen.

Ich denke, in vielen Entwicklungsländern ist die Dunkelziffer der Fälle einfach sehr hoch, da dort nicht flächendeckend getestet wird. Leichte und besonders schwere Fälle werden außerdem oftmals gar nicht als Corona-Fälle wahrgenommen, da die Menschen oft mit schweren Krankheiten zu kämpfen haben.

Was sollte die deutsche Politik Ihrer Meinung nach tun, um eine Ausbreitung zu verhindern?

Einerseits sollte Deutschland seine Unterstützung in der Weltgesundheitsorganisation WHO für die Entwicklungsländer verstärken. Zweitens sollte die deutsche Entwicklungshilfe in Afrika ausgebaut werden, damit es dort funktionierende Gesundheitsstrukturen gibt. Also genug Ärzte und Krankenhäuser, die die Menschen erreichen können, genug Medikamente. Und die Menschen müssen im Umgang mit dem Virus geschult werden. So kann der Kampf gegen ein Virus deutlich leichter gelingen. Und drittens sollten wir uns alle einschränken, was das Reisen angeht, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern.

Das heißt, Sie fahren dieses Jahr nicht in den Urlaub?

Doch, ich liebe Urlaub. Aber ich mache ihn in diesem Jahr mit meinem Fahrrad an der Havel und an der Ostsee in Deutschland und nicht im Süden der Welt. Auch alle Reisen, die ich bisher als Chef des Weltärztebundes hätte machen müssen, sind ausgefallen und ich arbeite nun digital von zu Hause aus.

An der WHO gab es im Zuge der Corona-Krise viel Kritik. Einige Experten sagen, sie habe zu spät reagiert, um Corona einzudämmen. Warum sollte Deutschland sie trotzdem unterstützen?

Die WHO ist von ihrer Struktur so aufgebaut wie die Vereinten Nationen. Sie ist also ein Zusammenschluss von vielen Ländern der Welt. Eigentlich war sie als Welt-Gesundheitsamt gedacht, aber stattdessen tragen Staaten dort ihre politischen Konflikte aus. Zum Beispiel China und die USA, die um die Vormacht in der Welt kämpfen. Das muss sich ändern: Die WHO sollte wieder mehr zu einer medizinisch-wissenschaftlichen Institution werden. Aber gerade deshalb macht es keinen Sinn, wie Donald Trump vorgeht, der WHO jetzt Geld zu entziehen. Denn dann können andere Staaten wie China mehr Einfluss nehmen.

Mittlerweile ist ein regelrechter Wettkampf um einen Impfstoff gegen Corona entbrannt. Sollte der Impfstoff zuerst Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt werden, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern?

Ich wäre definitiv für eine gleichberechtigte Versorgung. Denn sollte es einen Impfstoff geben, werden ja nicht direkt Millionen von Dosen bereitstehen. Man wird mit Sicherheit in den reichen Ländern beginnen und dort die gefährdeten Berufs- und Risikogruppen wie zum Beispiel Ärzte und Krankenschwestern impfen. Aber die Weltgemeinschaft muss sich auf einen Verteilungsschlüssel einigen, damit nicht nur bestimmte Länder profitieren.

Was wären die konkreten Konsequenzen für Deutschland, wenn wir Afrika nicht unterstützen?

Deutschland würde dadurch an politischem Einfluss verlieren. Afrika hat in den letzten Jahren einen gewaltigen Aufschwung erlebt. Das wissen viele Menschen noch gar nicht. Deshalb lohnen sich dort Investitionen in humanitäre Projekte, um eine Verbindung zum Land aufrecht zu erhalten und den Aufschwung zu stärken. Denn auch Länder wie China haben das Potential erkannt und wir sollten uns das nicht aus der Hand nehmen lassen.

Über Frank Ulrich Montgomery

Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery (68) ist, um nur einige wichtige Positionen zu nennen, Präsident der Bundesärztekammer, Vorsitzender des Weltärztebundes und Präsident des Ständigen Ausschusses der Ärzte in der Europäischen Union.

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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