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AUSLANDS-SERIE: UKRAINE „Beeindruckend, wie die Ukraine den Parlamentarismus hochhält“

Daniel Heinz

Wie arbeiten Parlamentarier anderer Länder? Abgeordnete des Bundestages treffen regelmäßig Kollegen aus aller Welt. mitmischen.de fragt nach – heute bei dem Vorsitzenden der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen).

Gruppenbild: Robin Wagener, Jamila Schäfer (Mitte) und Abgeordnete des ukrainischen Parlaments

Robin Wagener bei seiner Kiew-Reise Mitte Juli. Mit im Bild: Jamila Schäfer (Bündnis 90/Die Grünen, Mitte) und Abgeordnete des ukrainischen Parlaments. © Stephan Bischoff

Wie funktioniert der Parlamentarismus in der Ukraine? Und welche Unterschiede gibt es zu Deutschland?

Beide sind demokratische Länder, die von Parlamenten gesteuert und in denen Regierungen gewählt werden, die dem Volk gegenüber verantwortlich sind. Ich bin unheimlich beeindruckt, mitzukriegen, wie auch jetzt im Krieg die Ukraine den Parlamentarismus hochhält und die Rada – das ist das ukrainische Parlament – immer noch regelmäßig tagt und Gesetze beschließt. Und nicht nur auf den Krieg bezogene Gesetze. Das Land wird tatsächlich nach wie vor auch vom Parlament gesteuert.

Ein Unterschied zu uns ist, dass die Rada viel besser digital aufgestellt ist als wir.

Was sind die Themen, die Sie gerade in der Parlamentariergruppe beschäftigen?

Aktuell ist es schon im Wesentlichen der Krieg. Und dabei die ganz wichtige Frage, wie die Ukraine im Allgemeinen unterstützt werden kann und was wir konkret tun können, um das Parlament zu unterstützen.

Die Forderung der Ukraine nach Waffenlieferungen, aber auch die europäische Integration, der von der Ukraine angestrebte EU-Beitritt – das alles sind die Themen, mit denen wir uns beschäftigen. Oder auch die Frage, wie wirtschaftliche und zivile Zusammenarbeit in diesen Zeiten möglich sind.

Wie erleben Sie aktuell das öffentliche Interesse in Deutschland an der Ukraine und umgekehrt das öffentliche Interesse in der Ukraine an Deutschland?

In Deutschland sehe ich weiterhin viel Solidarität. Das betrifft sowohl die Unterstützung von Geflüchteten aus der Ukraine als auch zum Beispiel den Rückhalt für einen ukrainischen EU-Beitritt. Ich freue mich auch darüber, dass sich Kultureinrichtungen bemühen, Auftrittsmöglichkeiten für ukrainische Künstlerinnen und Künstler zu schaffen. Denn der russische Krieg hat ja auch die Auslöschung der ukrainischen Kultur zum Ziel. Es ist wichtig, hier diese Möglichkeiten zu bieten.

In der Ukraine ist die Haltung ein wenig zweigeteilt. Einerseits ist Deutschland seit langer Zeit ein ausgesprochen verlässlicher und intensiv arbeitender Partner für die Ukraine. So wurden wir auch wahrgenommen. Dementsprechend hoch waren und sind aber auch die Hoffnungen in deutsche Unterstützung. Ich höre einerseits immer wieder Dankbarkeit für die Hilfe, die wir leisten– aber gleichzeitig auch Enttäuschung darüber, dass wir nicht mehr ermöglich. Und dass es nicht schneller geht, gerade im Bereich der Waffenlieferung.

Landkarte von der Ukraine und Nachbarstaaten

Die Ukraine grenzt an Russland, Belarus, Polen, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und die Republik Moldau. Seit Russland die Ukraine am 24. Februar 2022 angegriffen hat, herrscht dort Krieg. © Google Maps

Hatten Sie einen persönlichen Bezug zur Ukraine, bevor Sie den Vorsitz der Parlamentariergruppe übernahmen?

Ich war beim Roten Kreuz, bevor ich in den Bundestag gekommen bin, und dort international stark engagiert. Ich war europäischer Vertreter und Mitglied im Präsidium des Deutschen Roten Kreuzes und Jugendvertreter der Föderation der Roten Kreuze. Das bringt es mit sich, zu den verschiedenen europäischen Roten Kreuz Gesellschaften Kontakt zu haben – unter anderem auch mit der Gesellschaft in der Ukraine.

Gab es etwas, was Sie bei der Arbeit als Vorsitzender überrascht hat in den letzten Wochen oder Monaten?

Was mich wie gesagt immer wieder überrascht und beeindruckt ist, wie stark das ukrainische Parlament gerade eingebunden ist. Wir beobachten, wie Russland immer stärker zur Diktatur wird – die Ukraine dagegen hält den Parlamentarismus und die Demokratie hoch.

In den letzten Wochen waren parlamentarische Delegationen aus der Ukraine regelmäßig bei uns im Bundestag, um mit uns zu verhandeln und uns Positionen zu schildern. Dabei hat mich unter anderem überrascht und auch beeindruckt, wie viele starke, junge Frauen dabei waren, die als deutliche Stimmen ihres Landes agieren und im Land auch für Veränderungen sorgen.

Gibt es eine Begegnung aus den letzten Wochen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ich habe vor ein paar Wochen ein sehr bewegendes Gespräch mit einer Ukrainerin gehabt. Sie schilderte, wie sie ihren Mann und ihr ungeborenes Kind durch einen russischen Angriff verloren hat. Eine sehr tragische Geschichte, aber in diesem Gespräch erzählte sie auch, wie sie ihr eigenes Leben, das sie gerade wieder aufbaut, so gestaltet, dass sie nun weitgehend auf Plastik verzichtet. Das ist eine ganz kleine Anekdote, aber die zeigt mir, wie viele Gemeinsamkeiten junge Ukrainer mit jungen Leuten in Berlin, Stuttgart, München oder Düsseldorf haben. Denn das sind ja Fragen, die hier auch viele Menschen beschäftigen.

Was wünschen Sie der Ukraine?

Ich wünsche der Ukraine den Sieg in diesem Angriffskrieg Russlands, der eigentlich der Vernichtung der ukrainischen Kultur gilt. Mit Sieg meine ich, dass es der Ukraine gelingt, die territoriale Souveränität wiederherzustellen und den russischen Angriff zurückzudrängen. Das ist das, was die Ukraine möchte. Und dann wünsche ich dem Land natürlich, dass es den Weg Richtung Europa weiter gehen kann. Das war ja der Auslöser für den ganzen Konflikt gewesen, dass die Ukraine sich für die Europäische Union und damit für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit entschieden hat. Ich wünsche der Ukraine, dass diese Entwicklung mit voller Kraft vorangeht, dass sie die notwendigen Reformen für den EU-Beitritt umsetzen kann und dass wir dabei auch so viel unterstützen, wie wir können.

Zur Person

Robin Wagener, 1980 in Bielefeld geboren, hat Rechtswissenschaft studiert und zuletzt als Richter am Sozialgericht gearbeitet, bevor er 2021 für Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag einzog. Er ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.

Portraitbild von mitmischen-Autor Daniel Heinz
Mitmischen-Autor

Daniel Heinz

... (25) arbeitet in der queeren und rassismuskritischen Bildungsarbeit, unter anderem für die Bildungsstätte Anne Frank. Ansonsten ist Daniel dafür bekannt, das beste Pfannkuchen-Rezept in Berlin zu haben.

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