Expertenanhörung Womit verbringen wir unsere Zeit?
Eric Matt
Aus Zeitgründen etwas nicht schaffen, Freizeitstress oder „Zeit ist Geld“ – Wofür verwenden wir überhaupt unsere Zeit? Das beantwortet die sogenannte Zeitverwendungserhebung, über die der Familienausschuss in einer Expertenanhörung sprach. Was hat es damit auf sich?
Morgens zur Schule oder Arbeit gehen, in der Mittagspause Freunde treffen oder Sport treiben und abends mit der Familie zusammensitzen – so ähnlich könnte der Alltag mancher Bürgerinnen und Bürger aussehen. Doch mit welchen Aktivitäten verbringen wir unsere Zeit tatsächlich? Wofür nehmen wir uns viel Zeit und wofür eher wenig? Was machen wir eher morgens, was eher abends?
Diesen Fragen geht eine sogenannte Zeitverwendungserhebung (ZVE) nach. Mit der ZVE beschäftigte sich kürzlich der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in einer Expertenanhörung. Dabei ging es um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, die für die ZVE eine gesetzliche Grundlage schaffen möchte.
Was bedeutet Zeitverwendungserhebung?
Die Zeitverwendungserhebung könnt ihr euch wie eine Art Tagebuch vorstellen. In dieses Tagebuch notieren rund 10.000 freiwillige Haushalte, wofür sie ihre Zeit verwenden und mit welchen Aktivitäten sie sich beschäftigen. Die Freiwilligen schreiben detailliert auf, wann sie fernsehen, wann sie Yoga machen, ob sie eher morgens oder abends ihr Smartphone benutzen oder auch wie lange sie spazieren gehen.
Das Statistische Bundesamt, beauftragt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), wertet dann alle Tagebücher aus, um allgemeine Rückschlüsse über die Bevölkerung in Deutschland ziehen zu können. Das Statistische Bundesamt ist eine Behörde, die dem Bundesinnenministerium untersteht.
Seit den 1990er Jahren wird die Zeitverwendung ungefähr alle zehn Jahre festgehalten – bisher dreimal. Die Ergebnisse so einer Studie können dann Wissenschaftler, Experten und Politiker nutzen, um beispielsweise neue gesellschaftspolitische Maßnahmen zu beschließen. Übrigens erheben auch viele andere Länder der Europäischen Union die Zeitverwendung ihrer Bürgerinnen und Bürger.
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Bundesregierung: Zeit bedeutet Wohlstand
Die Bundesregierung hat nun ein Gesetz zur Zeitverwendungserhebung formuliert. Bisher war es nämlich so, dass das Statistische Bundesamt die ZVE ohne konkretes Gesetz durchgeführt hatte. Durch den Vorschlag der Regierung soll sich das nun ändern.
Denn die Erhebung der Zeitverwendung schaffe eine „valide Datenbasis für eine Vielzahl vor allem gesellschaftspolitischer Entscheidungen“, heißt es in der Vorlage. Laut Bundesregierung sei die ZVE nötig, da sie „Aufschluss über die Arbeitsbelastung in der Familie, Kinderbetreuung und Pflege, das freiwillige Engagement aller Generationen, das Zeitverwendungsverhalten von Kindern und Jugendlichen sowie Männern und Frauen in unterschiedlichen Lebenslagen“ gebe.
Dieses Wissen helfe dabei, für Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität zu sorgen. Denn Wohlstand entscheide sich heutzutage nicht mehr lediglich an wirtschaftlichen Fragen – also daran, wer wie viel Geld hat. Vielmehr werde „Lebensqualität auch dadurch bestimmt, wie die verfügbare Zeit verbracht wird, unter welchem Zeitdruck die Menschen stehen“.
So geht Wohlstandsmessung
„Zeitverwendungserhebungen sind eine relevante Datenbasis für die Wohlstandsmessung der Bevölkerung, die eben nicht nur über das Bruttoinlandsprodukt abbildbar ist“, erklärte Dr. Ruth Abramowski von der Universität Bremen bei der Expertenanhörung. Das Bruttoinlandsprodukt bezeichnet die gesamte wirtschaftliche Leistung eines Staates – in dem Falle also Deutschland.
Es sei ein großer Erfolg, die Zeitverwendungserhebung nun gesetzlich zu verankern, wobei es noch einige „zentrale Lücken“ gebe, machte Abramowski deutlich. So müsse man unter anderem die sogenannte Care-Arbeit präzisieren. Unter Care-Arbeit, oder Sorgearbeit, fällt beispielsweise die Kinderbetreuung oder die Altenpflege – also Tätigkeiten, die oft im eigenen Haushalt stattfinden und unbezahlt sind.
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Deutscher Frauenrat unterstützt den Gesetzentwurf
Auch Antje Asmus vom Deutschen Frauenrat begrüßte das Vorhaben und den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Zeitverwendungserhebungen zeigten „wie Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen ihre Zeit einteilen“.
Wie auch Abramowski erklärte Asmus: „Das Wohlstandsniveau einer Gesellschaft lässt sich nur partiell durch ökonomische Kenngrößen wie das Bruttoinlandsprodukt abbilden.“ Es sei daher wichtig, dass Zeitverwendungserhebungen nun „gesetzlich verbindlich vorgesehen werden“.
Zehn-Jahres-Rhythmus zu lange?
Dr. Christina Boll vom Deutschen Jugendinstitut erklärte, der Gesetzentwurf sei „nicht nichts, sondern schon sehr viel, aber weniger als möglich gewesen wäre“. So sei beispielsweise der Abstand von zehn Jahren zwischen den Erhebungen zu groß. „Ein Fünf-Jahres-Intervall wäre aus wissenschaftlicher Sicht zu bevorzugen gewesen“, sagte Boll. Durch den großen Abstand von zehn Jahren sei es nahezu unmöglich, politische Reformen und Gesetze zu bewerten.
Dem stimmte auch Dr. Martin Bujard vom Verein Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie zu. „In zehn Jahren passiert unglaublich viel. Man kann nicht ernsthaft beschreiben, wie sich etwas verändert, wenn man alle zehn Jahre misst. Deshalb schlagen wir einen Fünf-Jahres-Rhythmus vor. Noch besser wäre ein Zwei-Jahres-Rhythmus“, so Bujard.
Zehn Jahre angemessen
Dr. Heike Wirth vom Mannheimer Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (Gesis) hingegen war der Auffassung, dass der Zehn-Jahres-Rhythmus richtig sei. Wenn man die Erhebung alle fünf Jahre durchführte, dann würde die Qualität der Studie darunter leiden. Wirth erklärte außerdem, dass es bei Bedarf der Gesetzentwurf auch zulasse, die Abstände zu verkürzen.
„Gehetzte Generation“
„Der Deutsche Familienverband begrüßt ausdrücklich den Entwurf zum Zeitverwendungserhebungsgesetz. Zeit gehört neben Geldleistungen und Infrastrukturausbau zu den wichtigsten Ressourcen für ein gelungenes Familienleben“, erklärte Sebastian Heimann vom Deutschen Familienverband.
Er sprach von einer „gehetzten Generation“, was dazu führe, dass junge Menschen sich öfters dazu entscheiden würden, keine Kinder zu bekommen. Daher seien konkrete Informationen über die Zeitverwendung der Menschen für eine gute Gesetzgebung unverzichtbar.
„Unvollständiges Bild“
“Die Zeitverwendung ist eine ganz wichtige und einmalige Datenbasis für Deutschland und im internationalen Kontext“, erklärte Prof. Dr. Michaela Kreyenfeld von der Hertie School of Governance in Berlin. Der aktuelle Gesetzentwurf jedoch liefere ein „unvollständiges Bild“. So sei das, was heute unter einer Familie zu verstehen sei, in dem Vorschlag nicht zufriedenstellend geregelt.
So würde beispielsweise nicht zwischen Kern- und Stieffamilien unterschieden werden. Kreyenfeld ergänzte aber, dass diese Probleme einfach zu beheben seien.
Die komplette Anhörung könnt ihr auf bundestag.de nachlesen und im Video anschauen:
Eric Matt
... ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zurzeit macht er ein Auslandssemester in Israel.