Experten-Interview „Wir haben Nachholbedarf"
Hanna Kazmirowski
Rüdiger Kühr ist Experte, wenn es um eines der größten Müllprobleme geht: Elektroschrott. Hanna hat ihn gefragt, wie Recycling in Deutschland funktioniert, warum alte Geräte in Afrika landen und wie man das ändern könnte.
Herr Kühr, wie viel Elektroschrott produzieren die Deutschen und wie stehen wir im Vergleich zu anderen Nationen da?
Seit mehreren Jahren produzieren wir Deutschen ungefähr 1,6 Millionen Tonnen Elektroschrott pro Jahr. 19,4 Kilogramm beträgt unser Elektroschrottaufkommen pro Kopf jährlich. Weltweit gesehen erzeugt Norwegen mit 26 Kilogramm pro Person den meisten Elektromüll, danach folgen Großbritannien und die Schweiz. Wir Deutschen liegen auf dem 19. Platz.
Wie viel deutscher Elektroschrott wird recycelt und warum nicht alles? Wohin kommt der Müll?
Unsere Recycling-Quote liegt bei 52 Prozent. Wenn wir die alten Geräte auf einen Wertstoffhof bringen, werden sie in Deutschland einem zertifizierten Recycling nach hohen Umwelt- und Gesundheitsstandards zugeführt. Aber leider landet ein Teil unseres Elektromülls in unserem Hausmüll.
Ein anderer Teil liegt jahrelang in unseren Schubläden, Kellern oder Dachböden oder wird verbotenerweise von Altmetallsammlern mitgenommen. Obwohl Deutschland von der Infrastruktur her sehr gut aufgestellt ist, liegen wir im Vergleich hinter vielen unserer Nachbarländer. Wir haben auf jeden Fall noch Nachholbedarf. Und ein nicht unwesentlicher Teil des Elektroschrotts wird zudem exportiert.
Warum das denn?
Elektroschrottrecycling kostet in unseren Gefilden Geld. Mit dem Export von Geräten nach beispielsweise Afrika oder Asien – unabhängig davon, ob sie noch funktionstüchtig sind oder nicht – lässt sich Geld verdienen, denn dort gibt es einen florierenden und wachsenden Markt.
Die Menschen dort nutzen funktionstüchtige Geräte noch eine Weile oder zerlegen kaputte Fernseher, Computer, Handys etc., um Komponenten für Reparaturen zu gewinnen. Aus dem finalen Elektroschrott versuchen sie unter zumeist primitiven, oft gesundheits- und umweltgefährdenden Bedingungen einzelnen Rohstoffe wie etwa Gold und Kupfer herauszulösen. Solche erschreckenden Bilder kennt man zum Beispiel von Schrottdeponien in Ghana, Nigeria, Indien, Bangladesch und China.
Sind diese Exporte offiziell genehmigt oder illegal?
Sowohl als auch. Dabei muss zwischen funktionstüchtigen und kaputten Geräten unterschieden werden. Wenn die Geräte nicht mehr funktionstüchtig sind die Exporte illegal, aber das ist extrem schwer nachzuweisen. Dafür müsste jedes Handy, jedes Bügeleisen und jeder PC vor dem Export getestet werden, um gegebenenfalls eine Falschdeklaration nachzuweisen – denn nur funktionstüchtige Geräte dürfen exportiert werden. Daher wird in den wenigsten Fällen wirklich jemand dafür haftbar gemacht.
Es gibt verschiedene internationale Abkommen wie zum Beispiel die Basler Konvention und die Bamako-Vereinbarung. Warum wird trotzdem immer noch so viel Schrott ins Ausland gebracht?
Bamako ist eine Konvention, die international quasi ignoriert wird. Die Basler Konvention hat schon Durchschlagskraft, aber sie ist nicht explizit für Elektroschrott entwickelt worden. Es mangelt dabei vor allem an einer klaren Unterscheidung zwischen wiederverwendbaren Produkten und Schrott. International hat man sich immer noch nicht auf eine klare Definition geeinigt; das macht den Export immer noch möglich, zumal der Export gebrauchsfähiger Güter nicht zu verteufeln ist. Je länger ein Gerät genutzt wird, desto geringer wird seine Umweltlast durch die Produktion, die zumeist die größte im Leben aller Geräte ist, weil sie Unmenge an Rohstoffen erfordert.
Die Grünen und die Linken fordern im Bundestag verbindlichere EU-Richtlinien, ein Recht auf Reparatur und konkrete Mindestnutzbarkeitszeiten von Elektrogeräten. Sind diese Ziele in Ihren Augen realistisch?
Da sind viele gute Ansätze dabei, aber die Umsetzung ist schwierig. Die Idee, ein Pfandsystem zu etablieren, halte ich für nicht machbar. Dieses System würde Türen und Tore für illegale Praktiken aufmachen, insofern könnte das nur in internationalem Einklang funktionieren. Wie die Grünen und Linken plädiere ich aber auch dafür, die Reparierbarkeit der Geräte zu erhöhen. Es kann nicht sein, dass es billiger ist, ein Neugerät zu kaufen, als einen kaputten Bildschirm oder Akku auszutauschen.
Welche Erkenntnisse haben Sie bei Ihrer Arbeit gewonnen? Wie würden Sie die Lösung des globalen Problems angehen?
Wir müssen unsere grundlegende Haltung überdenken: An sich kaufen wir die Elektrogeräte, um eine bestimmte Funktion zu erhalten. Könnten uns Samsung, Apple und Co. nicht einfach nur den Service verkaufen und weiterhin das Gerät besitzen? Die Firmen hätten natürlich Interesse daran, immer den besten Service zu liefern, ihre eigenen Geräte irgendwann wiederzubekommen und möglichst viele Komponenten der Geräte wiederzuverwenden, um effizient zu produzieren. Man würde also immer noch Neues entwickeln, es würde aber gelingen, Kreisläufe zu schließen.
Abgesehen davon ist ein Grundproblem das fehlende Wissen um die Problematik. Man muss das Thema medial viel näher an die Bevölkerung bringen. Für die Bürger und Bürgerinnen ist nicht verständlich, warum es für fast alle Müllsorten ein strukturiertes Entsorgungssystem gibt, aber nicht für Elektrogeräte. Auch die Unternehmen, der Bundestag und die Regierung müssen in die Verantwortung genommen werden, denn die haben nicht nur die Entscheidungsgewalt, sondern sind ja selbst Käufer von Elektronik. Sie als große Konsumenten könnten Einfluss ausüben.
Wer muss aus Ihrer Sicht jetzt noch handeln?
Deutschland allein kann das Elektroschrottproblem nicht lösen, ebenso wenig wie einzelne Akteure. Ich bin der Meinung, dass schon viele wichtige Gesetze in Kraft sind, auf die man aufbauen kann. Nichtsdestotrotz müssen alle an einem Strang ziehen. Wir steuern sonst darauf zu, dass sich das derzeitige weltweite Elektroschrottaufkommen von 53,6 Millionen Tonnen pro Jahr in den nächsten 30 Jahren mehr als verdoppeln wird.
Über Dr. Rüdiger Kühr
Dr. rer. pol. Rüdiger Kühr ist promovierter Politik- und Sozialwissenschaftler und Direktor des Programms für nachhaltige Kreisläufe (UNU) an der Universität der Vereinten Nationen (UNITAR) in Bonn. Zudem ist er Mitbegründer der Initiative „Zur Lösung des E-Waste-Problems“ und hat mehrere Bücher sowie Studien (mit-)verfasst und Verfahren (mit-)entwickelt.
Hanna Kazmirowski
Hanna Kazmirowski studiert Interkulturelle Europa- und Amerikastudien in Halle und Paris und hat ein Faible für Französisch und Englisch. Wenn sie mal keine Texte schreibt, Podcasts hört oder mit Leuten spricht, macht sie gerne Sport, Fotos oder Musik. Sie freut sich über alle kleinen und großen Dinge, die sie in der Welt und im Alltag neu entdeckt und lernt.