Ende einer Ära „Wir haben sehr vieles richtig gemacht“
Eric Matt
Corona, Rente, Wohnungsmangel und Klimaschutz – das waren einige der Themen der allerletzten Regierungsbefragung Angela Merkels. Einige Abgeordnete wollten auch wissen, welche Bilanz die Kanzlerin nach knapp 16 Jahren Amtszeit ziehe.
„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ – Diese Worte sprach Angela Merkel (CDU) am 22. November 2005 im Plenarsaal des Deutschen Bundestages, als sie den sogenannten Amtseid ablegte. Dadurch wurde sie zur ersten Bundeskanzlerin Deutschlands vereidigt.
Am 23. Juni 2021 – also 15 Jahre, sieben Monate und einen Tag später – stand Merkel wieder im Plenarsaal. Nun am absehbaren Ende ihrer Kanzlerschaft. Zum letzten Mal in ihrer Amtszeit beantwortete die Bundeskanzlerin in der Regierungsbefragung die Fragen der Abgeordneten. Die Themen reichten von der Coronapandemie über Wohnungsmangel bis hin zu Klimaschutz. Immer wieder ging es auch um die fast 16-jährige Kanzlerschaft und darum, wie Merkel diese selbst bewerte.
Merkel: „Wir bewegen uns auf dünnem Eis“
In ihrem Eingangsstatement thematisierte Angela Merkel ein Thema, das seit über einem Jahr unser ständiger Begleiter ist: die Coronapandemie. „Die derzeitige Infektionslage ist ermutigend und macht Hoffnung auf einen guten Sommer. Diese Entwicklung haben wir einer gemeinsamen Kraftanstrengung zu verdanken. Einer Kraftanstrengung der Bürger, der Wirtschaft, der Kultur, der Bildungseinrichtungen und […] der ganzen Gesellschaft“, erklärte die Bundeskanzlerin.
Sie bedankte sich insbesondere bei den Ärzten und Pflegern , die „in allen drei Wellen der Pandemie bis an die Grenzen ihrer Kräfte gegangen“ seien. Auch wenn das derzeitige Infektionsgeschehen Öffnungen zulasse, müsse man weiterhin vorsichtig sein. Daher brauche es in bestimmten Situationen noch immer Hygienemaßnahmen wie beispielsweise Abstandsregeln oder Maskenpflicht. Merkel warnte: „Auch wenn die dritte Welle eindrucksvoll gebrochen ist – vorbei ist die Pandemie noch nicht. Wir bewegen uns immer noch auf dünnem Eis.“
Aus diesem Grund sei es richtig, dass der Bundestag Anfang Juni das Fortbestehen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite für weitere drei Monate festgestellt habe. Zur Erklärung: Das Bestehen einer epidemischen Lage gibt der Bundesregierung besondere Befugnisse nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), etwa zum Erlass von Rechtsverordnungen und Anordnungen. Merkel erklärte, aktuell seien vor allem Virusmutationen wie die Delta-Variante besorgniserregend. Diese soll nach derzeitigem Kenntnisstand deutlich ansteckender sein als das ursprüngliche Virus.
Ziel der Bundesregierung sei daher, allen Menschen in Deutschland bis Ende des Sommers ein Impfangebot machen zu können, denn „der Schlüssel zur Überwindung der Pandemie sind natürlich die Impfungen“, so Merkel. Sie beendete ihre Rede: „Wenn wir weiter vorsichtig und aufmerksam bleiben und die Hygieneregeln beachten, dann wird die Coronapandemie ihren Schrecken verlieren und endgültig überwunden werden.“
AfD: „PCR-Tests nicht aussagekräftig“
Der AfD-Abgeordnete Sebastian Münzenmaier sprach eine aktuelle deutsche Studie zum Coronavirus an. Laut dieser Studie seien „die durchgeführten PCR-Tests, die ja die Grundlage für den Inzidenzwert bilden, nicht aussagekräftig über die Ansteckungsgefahr eines Getesteten“. So seien in der genannten Studie über 60 Prozent der positiv Getesteten nicht mehr ansteckend gewesen. Münzenmaier fragte daher, ob die Kanzlerin zustimme, dass PCR-Tests das falsche Mittel seien, um beispielsweise über Lockdown- oder Quarantänemaßnahmen zu bestimmen.
„Nein, ich stimme nicht zu“, antwortete Merkel. PCR-Tests seien „immer ein hervorragender Indikator für die Frage, ob jemand krank ist“. Ob jemand noch ansteckend ist oder nicht, hänge von einem gewissen Schwellenwert ab, der jedoch schwer zu ermitteln sei. „Wir haben ja nur eine endliche Zahl von PCR-Tests zur Verfügung. Wir können ja nicht stündlich testen und fragen, darf ich den noch auf die Straße lassen“, so Merkel.
SPD: Misstrauen gegenüber der Regierung?
Der SPD-Abgeordnete Carsten Schneider erkundigte sich nach dem Haushaltsbeschluss des Bundes. Der Haushaltsbeschluss legt fest, wofür der Bund das Geld der Steuerzahler ausgeben darf. Laut Schneider kritisierten die Parteivorsitzenden Markus Söder (CSU) und Armin Laschet (CDU) diesen Beschluss und forderten nach der Bundestagswahl einen „Kassensturz“ – also eine komplett neue Überprüfung. Schneider erklärte, er interpretiere das als ein Misstrauen gegenüber dem Kabinett. „Daher frage ich, ob Sie die Forderung dieser beiden Ministerpräsidenten teilen?“, so der SPD-Abgeordnete.
Merkel antwortete: „Ich würde das nicht als mangelndes Vertrauen verstehen.“ Ihrer Meinung nach sei es ein normaler Vorgang, „dass man mal in die Bücher guckt, das macht jeder. Selbst der gegenwärtige Finanzminister permanent“. Der aktuelle Bundesfinanzminister ist Olaf Scholz (SPD).
FDP: „Objektiv über die Lage sprechen“
„Frau Bundeskanzlerin, das ist die letzte Fragestunde in ihrer historischen Kanzlerschaft. Das hat den Vorteil, dass Sie in den Debatten über die nächste Legislaturperiode nicht selbst Partei sein werden und deshalb ganz objektiv über die Lage sprechen können“, kommentierte der FDP-Abgeordnete Johannes Vogel. Er erkundigte sich zum Thema Rente und wollte wissen, ob Merkel glaube, „dass sich die Rentenpolitik der letzten Jahre in der nächsten Legislaturperiode wird fortsetzen lassen“. Hier stehe man nämlich vor dem Problem, dass der Staat einerseits jetzt schon Milliardenzuschüsse zahlen müsse, man andererseits aber auch nicht wolle, dass die Menschen länger arbeiten müssten.
Merkel entgegnete, dass sie in ihrer gesamten Kanzlerschaft versucht habe, möglichst objektiv zu sprechen. Hierzu habe sie sich auch durch ihren Amtseid verpflichtet. Um eine nachhaltige Rentenversicherung zu ermöglichen, sei es das beste Rezept, „alle Kraft darauf zu lenken, die Erwerbsmöglichkeiten für Männer und Frauen zu nutzen und zu mobilisieren“. Dazu gehöre auch ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz, um geschultes Personal aus dem Ausland anzulocken. Das Rentenalter auf 68 Jahre zu erhöhen, stehe für Merkel hingegen „überhaupt nicht auf der Tagesordnung“.
CDU/CSU: „Wie sieht Ihr Fazit aus?“
„Nach aktuellen Daten haben wir in Deutschland etwa 90.500 Verstorbene im Zusammenhang mit der Coronapandemie zu beklagen. Auf der anderen Seite haben die zahlreichen Maßnahmen auch etlichen Menschen das Leben gerettet“, erklärte Rudolf Henke von der CDU/CSU-Fraktion. Er fragte: „Wie sieht Ihr bisheriges Fazit zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit aus?“
Die Bundeskanzlerin gestand, es gebe durch die Pandemie „sehr viele Menschen, die gelitten haben, auch über das Maß, das sie selbst schaffen“. Daher müsse die Politik beispielsweise Kindern, Jugendlichen und Familien weiterhin Hilfe anbieten. Auch wenn man rückblickend untersuchen müsse, was besser hätte laufen können, sagte Merkel: „Im Großen und Ganzen haben wir sehr vieles richtig gemacht, auch im internationalen Vergleich.“
Linke: „Was waren Ihre Fehler?“
„Ich habe mich mit der wohnungspolitischen Bilanz Ihrer Amtszeit befasst. Die Zahl der Sozialwohnungen ist in Ihrer Amtszeit um eine Million zurückgegangen. Sie hat sich fast halbiert”, kritisierte Caren Lay von der Fraktion Die Linke. Die Abgeordnete fragte: „Sind Sie zufrieden mit dieser Bilanz und was waren ganz persönlich Ihre Fehler während Ihrer Amtszeit?“
Merkel antwortete, es sei richtig, „dass ein Großteil der Bevölkerung durch die Mieten eine sehr hohe Belastung hat“. Sie verwies jedoch darauf, dass der Bund in der laufenden Legislaturperiode fünf Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau investiere – obwohl dafür laut unseres Grundgesetzes eigentlich die Länder zuständig seien. Des Weiteren habe die Große Koalition neue Gesetze zu Wohngeldern, Bauprojekten oder Mietpreisbremsen eingeführt.
Grüne fragt zu 16 Jahren Klimaschutz
Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erinnerte Merkel an eine Aussage aus dem Jahre 1997, in der die Bundeskanzlerin schnelles und konsequentes Handeln gegen die Klimaerwärmung gefordert habe. Der Grünen-Abgeordnete wollte daher wissen: „Wie würden Sie nach 16 Jahren Ihre Kanzlerschaft in Sachen Klimaschutz vor dem Hintergrund Ihrer damaligen Äußerung bewerten?“
„Tja, ich war halt Umweltministerin, nicht?“, antworte Merkel schmunzelnd. Anschließend erklärte sie, es sei vollkommen klar, „dass kein Mensch sagen kann, dass wir genug getan haben“. Die Zeit dränge „wahnsinnig“, weshalb sie die Ungeduld junger Menschen verstehen könne. Dennoch habe sich Deutschland gemeinsam mit der Europäischen Union anspruchsvolle Ziele gesetzt und auch andere Staaten weltweit ermutigt, mehr für Klimaschutz zu tun.
Mehr Informationen zur Regierungsbefragung findet ihr auf bundestag.de. Hier könnt ihr sie euch im Video anschauen:
Eric Matt
... ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zurzeit macht er ein Auslandssemester in Israel.