Corona Wer darf Impfstoffe produzieren?
Timo Frahm
Während in Deutschland längst geboostert wird, ist etwa in vielen afrikanischen Staaten oder in Indien nur ein Bruchteil der Menschen erstgeimpft. Die Corona-Impfstoffe sind ungleich verteilt. Deshalb will die Linksfraktion den Patent-Schutz aufheben. Was bedeutet das und wäre das eine Lösung? Experten stritten im Gesundheitsausschuss darüber.
Impfstoffe helfen dabei, die Corona-Pandemie zu bekämpfen: Wer geimpft ist, hat bessere Chancen, sich nicht anzustecken. Und wenn es doch passiert, verläuft die Krankheit wahrscheinlich weniger schlimm. Deswegen versuchen Regierungen weltweit, möglichst viele Impfdosen zu kaufen. Ärmere Staaten haben es dabei schwerer als reichere, weshalb zum Beispiel in Afrika bisher wesentlich weniger Menschen geimpft sind als etwa in Europa.
Die Linksfraktion will dem entgegenwirken. Sie schlägt in einem Antrag vor, dass jeder Corona-Impfstoffe produzieren darf – nicht nur ihre Erfinder. Sie will den sogenannten Patent-Schutz für die Impfstoffe und auch für Corona-Tests und -Medikamente aufheben. Am 16. Februar diskutierte der Gesundheitsausschuss des Bundestages diesen Vorschlag mit Experten.
Was bedeutet Patent-Schutz?
Aber darf eigentlich jeder Impfdosen produzieren? Generell gilt: Wenn du etwas erfindest, gehört die Idee dir. Du darfst entscheiden, was du mit deiner Erfindung machst – zum Beispiel ob, in wie großen Mengen und zu welchem Preis du sie verkaufen willst. Kein anderer darf mit deiner Erfindung Geld verdienen, denn es war ja deine Idee. Um das sicherzustellen, sicherst du dir ein „Patent“ auf deine Erfindung. Genau das haben die Erfinder von Impfstoffen gegen Corona auch gemacht.
Geistiges Eigentum
Ein Begriffspaar, das in dieser Debatte auch oft fällt, ist das „geistige Eigentum“. Man kann nämlich nicht nur Dinge besitzen, die man anfassen kann, wie ein Fahrrad oder ein Handy. Das wäre materielles Eigentum. Wenn du aber zum Beispiel einen Corona-Impfstoff erfunden hast, ist das „Rezept“ dafür auch sehr wertvoll. Dieses Rezept ist erstmal dein Eigentum, weil du es erfunden hast. Es ist aber nicht aus irgendeinem Material, es ist in deinem Kopf – also dein geistiges Eigentum.
Die Kernfrage, die nun diskutiert wird, ist, ob es im Fall einer Pandemie gerechtfertigt wäre, den Patent-Schutz für Impfstoffe und Medikamente aufzuheben, um möglichst vielen Menschen weltweit helfen zu können.
Linksfraktion fordert Freigabe der Patente
Laut dem Antrag der Linksfraktion führt der Patent-Schutz auf Impfstoffe dazu, dass viele Menschen in ärmeren Ländern nicht geimpft werden können. Das sei zum einen unfair gegenüber diesen Menschen und zum anderen schade es der Pandemie-Bekämpfung weltweit und somit auch hier in Deutschland. Denn wenn in Ländern mit weniger Geimpften gefährlichere Virusvarianten entstehen, kommen diese früher oder später auch nach Deutschland.
Indien und Südafrika haben den Vorschlag ins Spiel gebracht
Deswegen äußerten Indien und Südafrika in der Welthandelsorganisation (WTO) die Forderung, Patente auf Corona-Impfstoffe auszusetzen. Das heißt, dass das Rezept für die Impfstoffe nicht mehr das Geheimnis der Erfinder bleibt. Sondern es wäre dann für alle verfügbar und jeder, der die notwendigen Fabriken hat, könnte die Impfstoffe produzieren. Doch damit die Forderung von Indien und Südafrika Erfolg hat, müssen die Mitgliedstaaten der WTO zustimmen. Die deutsche Bundesregierung ist laut Antrag der Linksfraktion eine der wenigen, die gegen die Freigabe der Patente ist. Nun wird die Bundesregierung von der Linksfraktion dazu aufgefordert, sich in der WTO für die Patentfreigabe auszusprechen.
Welthandelsorganisation (WTO)
Die Abkürzung WTO kommt vom englischen Namen der Welthandelsorganisation: World Trade Organization. Die WTO, die ihren Sitz in Genf (Schweiz) hat, macht Regeln für den Handel von Waren und Dienstleistungen auf der ganzen Welt. Auch wenn Staaten einen Handelsstreit haben, können sie ihn von der WTO schlichten lassen. Und die WTO kann eben auch Patente aufheben, wenn ihre Mitgliedstaaten das wollen.
14 Organisationen und Experten waren am 16. Februar in den Gesundheitsausschuss eingeladen, um sich in einer Anhörung zum Antrag der Linksfraktion zu äußern. Ihre Meinungen gingen weit auseinander.
Erfinder sind gegen die Patent-Freigabe
Der Branchenverband der Biotechnologie-Industrie vertritt Unternehmen, die Impfstoffe herstellen – also die Erfinder. Sein Vertreter sagte bei der Anhörung, Patente verhinderten nicht, dass so viel Impfstoff wie nötig produziert werde. Vielmehr ermöglichten Patente überhaupt erst die Impfstoffproduktion, weil es sich nur durch sie für den Erfinder lohne zu forschen. Zur Erklärung: Der Erfinder kann seine Erfindung, simpel gesprochen, zu Geld machen. Und diese Aussicht treibt ihn an, zu forschen. Muss er damit rechnen, dass ihm das Patent weggenommen wird, hat er keinen Anreiz, an Erfindungen zu arbeiten.
Darüber hinaus habe der Verband die Sorge, dass seine Unternehmen durch die Patent-Freigabe an Wert verlören. Denn dieser besteht zu einem großen Teil aus dem geistigen Eigentum der Patente, also in diesem Fall aus den Rezepten für Corona-Impfstoffe.
Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen fügte hinzu, dass schon viele Impfdosen an ärmere Länder gesandt worden seien und es auch andere Gründe dafür gebe, dass dort noch nicht so viele Menschen geimpft seien. So gebe es vor Ort zu wenig medizinisches und Pflegepersonal, um die Impfungen durchzuführen. Nach Meinung des Verbands führte eine Freigabe der Patente nicht dazu, dass mehr Menschen geimpft würden.
Ärzte-Organisationen und Wissenschaftler sind für die Freigabe
Ärzte ohne Grenzen ist die größte Organisation für medizinische Nothilfe in Kriegs- und Krisengebieten. Ihre Vertreterin sagte im Ausschuss, Impfstoffe würden global nicht danach verteilt, wo sie am dringendsten gebraucht werden, sondern nach dem Geldbeutel der Regierungen. Demnach beschränkten Patente den Zugang nicht nur zu Impfstoffen, sondern auch zu Atemmasken und Beatmungsgeräten für ärmere Staaten. Ärzte ohne Grenzen ist der Meinung, dass die Erfinder weniger Impfdosen produzierten, als sie könnten. Die Organisation findet das inakzeptabel.
Viele Fragen richteten sich an Andrew Gray, der an einer Universität in Südafrika forscht. Auch er sei für die Patent-Freigabe, weil die Pandemie nur global bewältigt werden könne, ärmere Staaten sich aber moderne medizinische Technologien oft nicht leisten könnten, so Gray. Es sei inakzeptabel, dass die Erfinder die Preise einfach selbst festlegten und diese dann für manche Länder einfach zu hoch seien. Eine Freigabe der Patente könne die Impfquote in ärmeren Ländern massiv erhöhen.
Wenn ihr euch die Anhörung komplett anschauen wollt, könnt ihr das hier im Video tun. Die Liste aller Experten und schriftliche Stellungnahmen von einigen davon findet ihr auf bundestag.de.
Timo Frahm
ist 20 Jahre alt, in der baden-württembergischen Touristenhochburg Heidelberg aufgewachsen und studiert Internationale Beziehungen in Dresden, wo er die Grundlagen der internationalen Politik, des internationalen Rechts und der internationalen Wirtschaft lernt. Von jeder Reise ins Ausland bringt er eine Tasse mit.