Erfahrungsbericht Klima-Gipfel: Hinter den Kulissen von Glasgow
Timo Frahm
Völlige Reizüberflutung, wenig Schlaf, aber unglaublich aufregend: Mitmischen-Autor Timo (19) war auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow. Ein Blick hinter die Kulissen des Riesen-Events.
Eine Woche Klimagipfel: Riesige Konferenzhallen, Pressezentren, zehntausende Menschen, unzählige Veranstaltungen – und ich, Timo, 19 Jahre. Völlige Reizüberflutung, wenig Schlaf. Aber unglaublich aufregend.
Die Weltklimakonferenz, auch Weltklimagipfel oder COP (conference oft the parties) genannt, findet einmal jährlich in einem der 196 Mitgliedsstaaten statt. Dieses Jahr war es im schottischen Glasgow, also quasi um die Ecke, wenn man es mit Lima oder Montreal vergleicht. Aber wie ist eigentlich so ein Gipfel aufgebaut? Und wo erlebt man was? Und wo gibt es den besten Kaffee?
Was läuft hier wo?
Ich hatte das Glück, als Teilnehmer eines Jugendpresseworkshops zur Förderung von Nachwuchsjournalisten in Glasgow mit dabei sein zu können. Ich übte mich also als Korrespondent und habe vor Ort gelernt, über internationale Konferenzen Bericht zu erstatten.
Plenum, Pavillons, Delegationsräume, Side Events... zuerst musste ich mich auf dem Mega-Event überhaupt einmal zurechtfinden.
Wo Staaten ihre Meinungen austauschen: Das Plenum
Der Plenarsaal (er heißt genau wie der wichtigste Raum im Bundestag) ist das Zentrum der Klimakonferenz. Hier finden die offiziellen Verhandlungen, Reden und Abstimmungen statt. Jeder Staat hat im Plenum einen Sitz und auch für Nichtregierungsorganisationen, internationale Organisationen und die Presse sind Plätze reserviert.
Im Plenum halten Menschen aus aller Welt Reden. Vor allem Umweltminister und Umweltministerinnen teilen hier ihre Meinungen zum Klimaschutz. Wenn man also wissen will, was die verschiedenen Staaten über das Thema Klima denken, setzt man sich einfach mal hier rein. Mich hat überrascht, dass fast alle Redner entweder Englisch, Französisch oder Spanisch reden. Die Erklärung: Aufgrund der Kolonialzeit standen sehr viele Länder auf der ganzen Welt unter der Kontrolle von England, Frankreich oder Spanien. Die Kolonialmächte haben auch ihre Sprache in diese Länder gebracht.
Nichtregierungsorganisationen
In Glasgow waren auch viele Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGO) unterwegs. Das sind Organisationen, die Interessen gesellschaftlicher Gruppen vertreten, aber nicht zu Regierungen gehören. Beispiele sind Greenpeace (setzt sich für Klimaschutz ein) oder Amnesty International (setzt sich für Menschenrechte ein).
Sehen und gesehen werden: Die Pavillons
Die Pavillons in Glasgow kann man sich vorstellen wie Stände auf einer Messe. Viele Staaten und Staatengruppen (wie die Europäische Union) hatten auf der Klimakonferenz in Glasgow einen eigenen Pavillon. Damit wollen die Staaten vor allem zeigen, wie viel sie fürs Klima tun. Sie stellen besonders klimaschonende Leuchtturmprojekte vor.
Der japanische Pavillon zum Beispiel drehte sich um eine Wasserstofffabrik, die Japan baut. Auch Deutschland hatte einen eigenen Pavillon. Dort fanden Treffen von Politikern und Politikerinnen mit der Presse statt. An vielen Pavillons boten die Staaten kostenlosen Kaffee an – vereinzelt sogar Wein. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz tauschten sich gerne darüber aus, wo es den besten kostenlosen Kaffee gibt.
Manche Staaten nutzten ihre Pavillons aber auch für andere Themen als das Klima. Am Stand des arabischen Staates Katar stand zum Beispiel die Fußball-WM im Mittelpunkt, die das Land 2022 austrägt. Die katarische Regierung stellte Modelle von Stadien aus und zeigte Videos über die vermeintlich guten Arbeitsbedingungen. Ganz klar, dabei ging es ums Image. Denn was gezeigt wurde, das passt nicht zu den Berichten von Menschenrechtsorganisationen, die von schlimmen Arbeitsbedingungen und vielen Todesfällen bei den Bauarbeiten an den Fußballstadien berichten.
Wo die eigentliche Arbeit stattfindet: Die Delegationsräume
In ihrem Kern ist so eine Klimakonferenz eine riesige Verhandlung. Die 196 vertretenen Staaten haben alle eigene Interessen, die zu einem Kompromiss geführt werden müssen. Dafür müssen unzählige Gespräche zwischen den Verhandelnden stattfinden.
Es gibt zwar „Verhandlungsgruppen“, in denen sich Staaten zusammentun und ihre Interessen bündeln (Deutschland ist in einer Verhandlungsgruppe mit den anderen Ländern der Europäischen Union). Aber auch diese Gruppen treffen sich täglich, um eine gemeinsame Position zu besprechen. Und das passiert in den Delegationsräumen. Dort sitzen Politiker und Diplomaten, lesen Entwürfe und diskutieren ihr Vorgehen.
Die Konferenz ist sehr gut beschützt und es kommt niemand rein, der nicht reindarf. Und auch innerhalb der Konferenz gibt es nochmal eine Zone, zu der niemand Zugang hat, der nicht zu den Delegationen gehört.
Der Grundsatz „Ein Land, eine Stimme“
Auf der UN-Klimakonferenz hat jeder Staat eine Stimme, unabhängig von seiner Bevölkerungszahl, Landfläche oder wirtschaftlichen Situation. Das ist in den meisten internationalen Gremien so. Der Grundsatz kommt von der Überlegung, dass alle Staaten gleich viel wert sind. So können kleine Staaten nicht von großen Staaten überstimmt werden.
Am Rande der Konferenz: „Side Events“
Side Events sind Nebenveranstaltungen, die in kleineren Nebenräumen der Konferenz stattfinden. Meistens sind das Diskussionsrunden. Jeder auf der Konferenz kann ein Side Event veranstalten: Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftler und Regierungen. Auf Side Events wird über einzelne Aspekte des Klimaschutzes (zum Beispiel Energiegewinnung, Mobilität oder Landwirtschaft) genauer gesprochen. Hier können Fachleute bewährte Methoden kennenlernen und das Konferenzgeschehen einordnen.
Damit die ganze Welt Bescheid weiß: Pressekonferenzen
Als Mitmischen-Autor war ich oft auf Pressekonferenzen. Jeder auf der Klimakonferenz kann eine Pressekonferenz zu jedem Thema einberufen. Meistens teilen Delegationen den aktuellen Verhandlungsstand mit oder Wissenschaftler präsentieren ihre Klimaforschung. Theoretisch können nach den Mitteilungen noch Fragen gestellt und beantwortet werden, aber Politiker sind meistens auf so vielen Terminen eingeplant, dass sie keine Zeit für Fragen haben.
Wenn die Journalisten dann alle Informationen und Zitate haben, gehen sie oft ins Medienzentrum, um in Ruhe ihre Artikel zu schreiben. Das Medienzentrum kann man sich als riesigen Raum vorstellen, in den nur Medienschaffende dürfen. Wichtig ist das vor allem für Journalisten aus Ländern, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt ist. Im Medienzentrum sind sie sicher vor den Delegationen ihrer Herkunftsländer. Hier können sie frei von Einschüchterungsversuchen ihrer Regierungen berichten. Vor allem abends, wenn bei vielen Zeitungen Redaktionsschluss ist, findet man im Medienzentrum keinen freien Platz mehr.
Freiraum für Demonstrationen
Zwischen den Konferenzgebäuden gab es Gänge, die Platz für außerplanmäßige Aktionen boten. Hier fanden oft Demonstrationen statt, zum Beispiel von Fridays for Future. Die Aktivisten und Aktivistinnen forderten die Delegationen auf, ein Abkommen zu erreichen, das das 1,5-Grad-Ziel einhält. Die Erde soll sich also um höchstens 1,5 Grad Celsius erwärmen.
Viele, die demonstrierten, waren sehr jung. So viele junge Leute hätte ich nicht erwartet. Ich war eher pessimistisch und dachte, die jungen Menschen werden an der Verhandlung der Klimapolitik, die sie noch viel länger betreffen wird als Ältere, noch weniger beteiligt.
Ich habe mit sehr vielen Menschen gesprochen, war auf vielen interessanten Veranstaltungen und habe viel zu wenig geschlafen. Eine Woche auf einer Klimakonferenz macht müde, aber es ist eine sehr zufriedenstellende Art von Müdigkeit. Denn am Ende reiste mit vielen neuen, tollen Erfahrungen zurück nach Deutschland.
Timo Frahm
ist 20 Jahre alt, in der baden-württembergischen Touristenhochburg Heidelberg aufgewachsen und studiert Internationale Beziehungen in Dresden, wo er die Grundlagen der internationalen Politik, des internationalen Rechts und der internationalen Wirtschaft lernt. Von jeder Reise ins Ausland bringt er eine Tasse mit.