Inneres Streit um die Staatsbürgerschaft
Timo Frahm
Wer als Kind ausländischer Eltern in Deutschland geboren wird und hier aufgewachsen ist, darf eine doppelte Staatsangehörigkeit haben. Die AfD wollte diese Regelung ändern. Die drei anderen Oppositionsfraktionen brachten eigene Ideen ein.
Wer zu einem Staat gehört, ist ein Staatsangehöriger, logisch. Alle zusammen bilden das Staatsvolk, das einen Staat erst zu einem Staat macht. Wer dazu gehört, hat wichtige Rechte – und auch Pflichten: Staatsangehörige können durch Wahlen und Abstimmungen bei der Ausübung der Staatsgewalt mitwirken. Die Staatsangehörigkeit stellt somit das rechtliche Band dar, das den Bürger mit seinem Staat verbindet.
Im Februar 2018 stellte die AfD-Fraktion einen Gesetzesentwurf vor, der das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht reformieren sollte. Mehr als zwei Jahre später wurde nun am 28. Mai über den Entwurf, der die sogenannte „Optionspflicht“ wieder vollständig einführen sollte, abgestimmt. Er wurde mit den Stimmen aller Fraktionen außer der AfD abgelehnt.
Zum Hintergrund: deutsches Staatsangehörigkeitsrecht
Bis ins Jahr 2000 bestimmte die Abstammung über die deutsche Staatsbürgerschaft: Kinder deutscher Eltern waren Deutsche. Die rot-grüne Bundesregierung erweiterte das Staatsbürgerschaftsrecht zur Jahrtausendwende um die „Staatsbürgerschaft nach Geburtsort“. Nun hatten in Deutschland geborene und hier aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern die Möglichkeit, bis zum 23. Lebensjahr beide Staatsbürgerschaften zu haben. Anschließend mussten sich die jungen Erwachsenen jedoch für eine Nationalität entscheiden. 2014 wurde diese „Optionspflicht“ abgeschafft, die Betroffenen dürfen seitdem beide Staatsbürgerschaften behalten.
Was befürchtet die AfD?
Der Gesetzesentwurf der AfD-Fraktion sah vor, diese Optionspflicht wieder einzuführen. Die Fraktion befürchtet, dass durch die doppelte Staatsbürgerschaft die Integration erschwert werde, da niemand „Diener zweier Herren“ sein könne.
Von der Idee, dass sich ein in Deutschland geborenes Kind ausländischer Eltern aktiv für die deutsche Staatsbürgerschaft und damit gegen die seiner Eltern entscheidet, erhoffte sich die AfD ein größeres „Einlassen“ der Betroffenen auf Deutschland. Andernfalls drohten in Deutschland „wachsende fremdkulturelle Parallelgesellschaften“.
SPD: Vorschlag der AfD verhindert Integration
In der Debatte kritisierte die SPD, dass die AfD-Fraktion versuche, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft auszugrenzen. Es diene keineswegs der Integration, Ausländer als Ausländer zu bezeichnen, weil sie sich dadurch ausgeschlossen fühlten und den Kontakt zur deutschen Gesellschaft meiden könnten. Des Weiteren betonte die SPD, dass Integration Zeit brauche und man durch eine Optionspflicht nicht zu früh eine Entscheidung erzwingen solle.
CDU/CSU: Fachkräftemangel bedenken
Die Unionsfraktion betonte den hohen bürokratischen Aufwand, der mit dem Gesetzesentwurf einhergehe. Davon abgesehen müsse man wirtschaftspolitische Aspekte wie den Fachkräftemangel mitdenken, die durchaus für eine doppelte Staatsbürgerschaft sprechen könnten.
FDP: Einbürgerung vom Erfolg der Integration abhängig machen
Auch die FDP möchte das Staatsangehörigkeitsrecht reformieren, hält den Gesetzesentwurf der AfD aber für keine taugliche Grundlage. In ihrem eigenen Antrag schlägt die FDP vor, die Einbürgerung konsequent vom Erfolg bei der Integration abhängig zu machen.
In den Einbürgerungstests solle stärker auf die Rechte und Pflichten deutscher Staatsbürger hingewiesen werden. Im Falle einer gelungenen Integration solle die Einbürgerung schon nach vier Jahren Aufenthalt in Deutschland möglich sein. Wer allerdings bei seiner Einreise nach Deutschland über seine Herkunft gelogen habe, dem solle die Einbürgerung erschwert werden.
Die Linke: Hürden für die Einbürgerung abbauen
Wie die SPD findet auch die Linke, dass Menschen nicht gezwungen werden sollten, sich aktiv gegen die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern zu entscheiden – das erzeuge Druck und sei integrationshinderlich. In ihrem Antrag fordert die Linke, frühere Einbürgerungen – nämlich nach fünf Jahren in Deutschland – zu ermöglichen, weil sie Integration und Partizipationsmöglichkeiten förderten. Dafür sollen Hürden wie anfallende Gebühren und verpflichtende Staatsbürgerschaftskurse abgeschafft werden. Von Bund und Ländern wünscht sich die Linke-Fraktion eine Kampagne, die aktiv für Einbürgerungen wirbt.
Die Grünen: Überholte Prinzipien
Die Grünen halten die Staatsbürgerschaft nach Abstammung für überholt, das machten sie in der Debatte deutlich. Für ebenso falsch halten sie das prinzipielle Ansinnen, mehrfache Staatsbürgerschaften möglichst zu vermeiden. Auch die Grünen stellten einen eigenen Antrag, der schnellere Einbürgerungen ermöglichen soll. Für anerkannte Flüchtlinge solle die Wartezeit auf drei Jahre herabgesetzt werden, für andere auf fünf.
Die Anträge von FDP, Linken und Grünen wurden an den Innenausschuss übergeben. Die Debatte könnt ihr hier im Video nachverfolgen:
Timo Frahm
ist 20 Jahre alt, in der baden-württembergischen Touristenhochburg Heidelberg aufgewachsen und studiert Internationale Beziehungen in Dresden, wo er die Grundlagen der internationalen Politik, des internationalen Rechts und der internationalen Wirtschaft lernt. Von jeder Reise ins Ausland bringt er eine Tasse mit.