9. November 1989 – 35 Jahre Mauerfall Wie an den Mauerfall erinnert werden kann
Am 9. November 1989 geschah etwas, das zuvor unmöglich schien: Die Mauer, die Deutschland 40 Jahre geteilt hatte, war gefallen. Wie an dieses historische Ereignis erinnert werden kann, war Thema einer Debatte im Deutschen Bundestages anlässlich des 35. Jahrestag des Mauerfalls.
In der Debatte zum 35. Jahrestag des Mauerfalls wurde am 8. November 2024 im Deutschen Bundestag beschlossen: Der zentrale Anteil der ostdeutschen Bevölkerung am Fall der Berliner Mauer vor 35 Jahren und der darauf folgenden Herstellung der deutschen Einheit soll verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerufen werden. Der Antrag dazu von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP mit dem Titel „Epochenwechsel in Europa 1989/1990“ wurde mit der Mehrheit der drei Fraktionen angenommen. Die Fraktionen der CDU/CSU, AfD und die Gruppen Die Linke und BSW stimmten dagegen.
Mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen und Gruppen lehnte der Bundestag einen Antrag der Unionsfraktion mit dem Titel „35 Jahre Mauerfall – 35 Jahre Freiheit in ganz Deutschland – Verantwortung und Auftrag“ ab. Zwei Anträge der AfD mit den Titeln „Gerechtigkeit für Familien schaffen, die in der DDR und SBZ Opfer von staatlich organisierten Kindesraub wurden“ und „Erinnerung an die kommunistische Gewaltherrschaft in Deutschland neu aufstellen – Tag des Volksaufstandes in der DDR zum Feiertag erheben, Bau des Mahnmals beschleunigen und Wissensvermittlung gewährleisten“ wurden zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Beim ersten Antrag ist der Rechtsausschuss federführend, beim zweiten Antrag der Ausschuss für Kultur und Medien.
Mauerfall vor 35 Jahren
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat zu Beginn der Plenarsitzung an die Ereignisse in der deutschen Geschichte erinnert, die mit dem Datum des 9. November verbunden sind.
Am 9. November 1989 fiel die Mauer. „Ost- und Westdeutsche liegen sich in den Armen, feiern und können nicht glauben, was sich vor ihren Augen abspielt“, rief Bas die Bilder von vor 35 Jahren in Erinnerung. Im Mauer-Mahnmal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestages, in dem sich Reste der Mauer finden, zeigt der Bundestag seit dem 5. November ein fotografisches Panorama der früheren Mauer.
Die Mauer sei von mutigen Ostdeutschen zum Einsturz gebracht worden, die im Herbst 1989 Woche für Woche auf die Straße gegangen und unter großem persönlichen Einsatz für Bürgerrechte, Freiheit und Demokratie demonstriert hätten. „Ohne den Mauerfall wäre die Wiedervereinigung nicht möglich gewesen“, sagte die Bundestagspräsidentin.
Angenommener Antrag von SPD, Grünen und FDP
Es sei „von zentraler Bedeutung, dass die Menschen selbst in der DDR in der Friedlichen Revolution die Diktatur überwunden und sich eigenständig demokratisiert haben“, schreiben SPD, Grüne und Liberale in ihrem angenommenen Antrag. Darin heißt es weiter, man habe „im geeinten Deutschland noch keine gemeinsame Erzählung zu diesen für unser Land so wichtigen Ereignissen und Geschehnissen gefunden“. Oft werde die Friedliche Revolution nur als Vorgeschichte der Deutschen Einheit angesehen, die dann im Wesentlichen dank des entschlossenen Handelns des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) geschaffen worden sei.
In dieser Erzählung drohe „leicht der aktive Anteil der Ostdeutschen ins Hintertreffen zu geraten, die sich nur noch als Objekt des Geschehens wiederfinden“. Es bleibe jedoch festzuhalten und „für das Selbstverständnis der ehemaligen DDR-Bürger von großer Bedeutung zu verstehen, dass Friedliche Revolution und Deutsche Einheit nicht ein Schicksal waren, das sie ereilte, sondern sie selbst Subjekt und Handelnde in diesem für das vereinte Deutschland und Europa so wichtigen Prozess waren“.
Die heutige Gedenkkultur stelle den Mauerfall vom 9. November 1989 vielfach so dar, als wäre „mit diesem überraschenden Ereignis die Deutsche Einheit nicht nur auf die politische Tagesordnung gekommen, sondern schon auf den sicheren Weg gebracht“, führen die Koalitionsfraktionen ferner aus. Die „Geschichte einer verhandelten Einheit, in welcher auch die Ostdeutschen Subjekt und Akteur dieses Prozesses sind“, werde bis heute weithin nicht erzählt. Mehr als bisher gelte es, „den Prozess der Deutschen Einheit als Selbstbestimmungsprozess der Ostdeutschen und als Verhandlungsprozess zu beschreiben und ernst zu nehmen“.
„Glücksstunde der Deutschen im 20. Jahrhundert“
Zugleich wird in dem Antrag die Herstellung der Deutschen Einheit als „Glücksstunde der Deutschen im 20. Jahrhundert“ gewürdigt, an der die Ostdeutschen einen zentralen Anteil hatten. Dass dies stärker als bisher wahrgenommen wird und sich auch im öffentlichen Gedenken abbildet, habe für das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen eine wesentliche Bedeutung.
Die Bundesregierung wird in der Vorlage aufgefordert, die Erinnerungskultur in Bezug der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR zwischen 1945 und 1990 zu stärken, „insbesondere mit Ausrichtung auf die gemeinsame deutsche Demokratiegeschichte“. Auch soll die Bundesregierung dem Antrag zufolge das geplante „Forum Opposition und Widerstand 1949-1990“ einrichten sowie die Arbeit und bauliche Errichtung des Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation aktiv unterstützen.
Zudem fordern die Koalitionsfraktionen die Bundesregierung auf, die Forschung im Bereich DDR und SED-Unrecht zu stärken sowie „die Transformation des Stasi-Unterlagen-Archivs in das Bundesarchiv weiter voranzutreiben, insbesondere die Außenstandorte des Bundesarchivs finanziell und baulich auszustatten“
Abgelehnter Antrag der Unionsfraktion
Die CDU/CSU-Fraktion würdigt in ihrem abgelehnten Antrag den „Sturz der Berliner Mauer am 9. November 1989 durch die Menschen im Osten Deutschlands“ als eines der „glücklichsten Ereignissen der deutschen Geschichte“. Die Überwindung der kommunistischen Diktaturen in der DDR und in Osteuropa sei ein Höhepunkt der europäischen Freiheitsgeschichte. Der daraus möglich gewordene Prozess der europäischen Integration habe vielen Menschen ein Leben in Freiheit und Sicherheit eröffnet, schreibt die Fraktion. Aus dieser Erfahrung erwachse die Verantwortung, „auch heute denen zur Seite zu stehen, die noch immer darum kämpfen“.
Die Friedliche Revolution von 1989/1990 bleibe beispiellos, heißt es in dem Antrag weiter. Jegliche vereinnahmenden Vergleiche mit heutigen Protestbewegungen seien geschichtsvergessen „und verbieten sich“. Den Menschen, die in der SED-Diktatur aus Überzeugung und unter Einsatz ihres Lebens oder Inkaufnahme von Repressionen Widerstand geleistet haben, gebühre Hochachtung und Wertschätzung. Noch immer litten viele Opfer unter den Folgen von politischer Verfolgung, Zersetzung und Repression. Und noch immer gebe es gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Verbesserung der Anerkennung und persönlichen Situation der Opfer.
Zugleich mahnt die Fraktion, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Erhalt einer dezentralen Erinnerungslandschaft ein „Schwerpunkt unserer Erinnerungskultur bleiben“ müsse. Daneben hebt sie hervor, dass sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag unter anderem als Ziele gesetzt hätten, die Bewilligung von Leistungen für Opfer der SED-Diktatur zu erleichtern, die SED-Opferrente zu dynamisieren und die Bundesstiftung Aufarbeitung zu stärken. „Die konkrete Umsetzung dieser Forderungen bleibt aber auch nach drei Jahren Regierungszeit aus“, fügt die Fraktion hinzu und fordert die Bundesregierung auf, noch in dieser Legislaturperiode die dafür notwendigen Entscheidungen zu treffen.
Erster Antrag der AfD
Im ersten überwiesenen Antrag fordert die AfD-Fraktion die Bundesregierung unter anderem auf, ein Forschungsförderungsprogramm in Höhe von fünf Millionen Euro aufzulegen, um die personellen Kontinuitäten in den Jugendämtern, Familiengerichten und allen an den Adoptionen in der DDR und davor in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) beteiligten Institutionen und Organisationen zu untersuchen.
Die Zusammenarbeit mit der SED-Opferbeauftragten und Vereinen wie der Interessengemeinschaft gestohlene Kinder der DDR und dem Verein zur Aufklärung des DDR-Unrecht & ungeklärtem Säuglingstod zu stärken, um Opfer von Kindesraub in der DDR und SBZ zu unterstützen.
Zweiter Antrag der AfD
Im zweiten überwiesenen Antrag fordert die AfD die Bundesregierung unter anderem auf, den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 zu einem Feiertag zu erheben und zu prüfen, welcher Feiertag im Zuge der Einführung des 17. Juni als Feiertag zum Gedenktag umgewandelt werden kann. Am Tag des Mauerbaus, den 13. August 1961, solle der Opfer der politischen Verfolgung besonders gedacht werden. In Zusammenarbeit mit den Ländern solle vor allem Zeitzeugen und Opfern politischer Verfolgung an Schulen, Universitäten und Kultureinrichtungen Gehör gegeben werden.
Die bisherige Umsetzung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes solle in Bezug auf ihre Wirksamkeit und die gesteckten Ziele bei der Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Deutschland überprüft werden, heißt es weiter. Auch solle die Regierung darauf hinwirken, dass der Bau des Mahnmals für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft in Deutschland am Standort Spreebogenpark begonnen und abgeschlossen wird. Im Gestaltungswettbewerb sollte laut AfD sichergestellt werden, dass die verschiedenen Opfergruppen in der Gestaltung des Mahnmals besonders gewürdigt und im Dokumentationszentrum mit Zahlen, Daten und Fakten benannt werden.
Die komplette Debatte
Dieser Beitrag erschien zuerst auf bundestag.de.