Menschenrechtsverletzungen Vereinbarte Debatte zum Todestag von Jina Mahsa Amini
Jasmin Nimmrich
Frau, Leben, Freiheit - das ist der Slogan der iranischen Protestbewegung, die seit dem Tod von Jina Mahsa Amini viele Menschen für die Rechte von Frauen auf die Straße bringt. Vor rund einem Jahr starb die junge Frau in einer Polizeiwache in der iranischen Hauptstadt. Das hat der Bundestag zum Anlass genommen, um Amini zu gedenken und über die Unterstützung für die iranische Freiheitsbewegung zu debattieren.
Am 16. September jährte sich zum ersten Mal der Todestag der 22-jährigen Jina Mahsa Amini. Die junge Kurdin war drei Tage zuvor in der iranischen Hauptstadt Teheran von der Sittenpolizei, die die strengen iranischen Kleidungsvorschriften im öffentlichen Raum überwacht, festgenommen worden. Der Vorwurf lautete, sie habe ihr Kopftuch (Hidschab) nicht korrekt getragen. Auf der Polizeiwache fiel sie vermutlich als Folge von Gewaltanwendung ins Koma und starb anschließend im Kasra-Krankenhaus in der iranischen Hauptstadt. Der Vorfall führte zu der größten Protestbewegung im ganzen Iran seit Jahrzehnten. Als Reaktion auf die regimekritischen Proteste nahmen staatliche Kontrolle und Gewalt im vergangenen Jahr noch zu. Doch die Iranerinnen und Iraner protestieren weiter, denn sie wollen, dass ihr Staat sich verändert.
SPD: „Ruf nach Freiheit gehört in die Zukunft, nicht in den Knast”
In der Vereinbarten Debatte am 20. September griffen die Abgeordneten dies auf. Für die SPD sprachen die Abgeordnete Gabriela Heinrich, Dr. Nils Schmid und Derya Türk-Nachbaur. Sie betonten einheitlich, dass die Vereinbarte Debatte dem Gedenken an Jina Mahsa Amini und dem Einsatz der iranischen Protestierenden für Freiheit und Demokratie gewidmet sei. Gabriela Heinrich gab jedoch auch zu Bedenken: „Applaus allein genügt nicht.” Gerade deshalb seien die Sanktionspakete gegen den Iran, die die EU bisher verabschiedet habe, so wichtig. Sie setzten ein Zeichen, dass Menschenrechtsverletzungen nicht ungesehen und ungestraft blieben. Der Fall des Irans zeige die „Begrenztheit und Komplexität von Außenpolitik” auf, so Nils Schmid. Dass man ein Jahr nach Aminis Tod die iranische Protestbewegung weiterhin unterstützen müsse, stünde außer Frage. Doch eine Revolution passiere nicht von heute auf morgen. Gerade um die atomare Aufrüstung der islamischen Republik und weitere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, müsse man weiterhin auf Diplomatie setzen. Als letzte Sprecherin in der knapp 40-minütigen Debatte hatte Derya Türk-Nachbaur das Wort: „Es geht heute nicht um die Instrumentalisierung von Leid, sondern um die Menschen im Iran.” Ihr sei wichtig, das Leid und die Opfer unter den Protestierenden nicht zu vergessen. Sie berichtete von Mehdi Mohammadi Fard, ihrem politischen Paten im Iran. Das letzte Mal habe sie von ihm gehört, nachdem er das Todesurteil im Gefängnis erhalten hatte. „Der Ruf nach Freiheit gehört in die Zukunft und nicht in den Knast”, und deshalb sei es so wichtig, dem iranischen Volk weiterhin Aufmerksamkeit und Unterstützung zu schenken.
CDU/CSU: „Politik des Händeschüttelns mit dem Regime”
Auch für Norbert Röttgen stand fest, dass die Vereinbarte Debatte „zur Erinnerung an diejenigen [diene], die wegen ihres Kampfes für Freiheit und Würde ins Gefängnis gesteckt und ermordet wurden". Gleichzeitig klagte er jedoch an, dass die bisherigen politischen Bemühungen der Bundesregierung nicht aufrichtig und effektiv seien. Zwar seien Sanktionen beschlossen worden, doch vor Ort würden diese nur wenig beeindrucken. Er vermisse die wertegeleitete und feministische Außenpolitik, die der Situation im Iran gerecht werden würde und mit dem Amtsantritt von Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) erwartet worden sei. Aktuell sei eine „Politik des Händeschüttelns mit dem Regime” zu beobachten, welche die iranische Regierung nur in ihrer Propaganda bestärke, dass die Europäer hinter ihr stünde. Dorothee Bär (CDU/CSU) blickte auf das vergangene Jahr seit dem Tod von Jina Mahsa Amini. Auf viel Hoffnung in die Bemühungen der Bundesregierung sei Enttäuschung gefolgt. Man habe sich für einen „Kuschelkurs mit dem iranischen Regime” entschieden und legitimiere damit die Regierung und Präsident Ebrahim Raisi.
Bündnis 90/Die Grünen: „Wir werden ihr Schicksal nie vergessen”
Agnieszka Brugger kam in der Debatte als Erste zu Wort. Sie bat darum, die Abwesenheit der Außenministerin Annalena Baerbock zu entschuldigen, die sich zeitgleich bei der Hauptversammlung der Vereinten Nationen in New York unermüdlich für die internationale Solidarität mit den Menschen im Iran einsetze und dafür, dass Opfer wie Jina Mahsa Amini nicht in Vergessenheit gerieten. „Wir werden ihr Schicksal und ihren Namen nie vergessen”, und dies verdeutlichten auch die politischen Bemühungen der Bundesregierung. Woran es fehle, sei ein einfaches und schnelles Verfahren zur Listung der islamischen Revolutionsgarden, also der iranischen Armee als Terrororganisation, da sie für einen Großteil der Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sei. Auch Max Lucks griff diesen noch ausbleibenden Schritt auf und bat die Oppositionsparteien um Unterstützung: „Kämpfen Sie mit uns, dass es dazu kommt.”
FDP: „Wir müssen die großen Veränderungen im Iran anerkennen”
Bijan Djir-Sarai betonte, dass man für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden müsse, egal ob man Staatsoberhaupt sei oder Mitglied der Regierung oder der Revolutionsgarden. „Wir müssen die großen Veränderungen im Iran anerkennen”, lautete sein Appell. Denn die Menschen im Iran wollten keine punktuellen Veränderungen, sondern die komplette Abschaffung der islamischen Republik. Dies sei auch im Interesse Deutschlands und der Europäischen Union, denn es seien „ unsere Werte, die die Menschen im Iran hochhalten.” Es fehle dafür jedoch weiterhin an einer wirksamen Strategie.
AfD: „Wann kommt die deutsche Antwort?”
Jürgen Braun wies besonders auf die Festnahmen von Protestierenden hin, insbesondere auch zu den Versammlungen anlässlich des ersten Todestages von Jina Mahsa Amini. Unter den Inhaftierten seien viele deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, so auch der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd, der im Februar diesen Jahres zum Tode verurteilt worden war. Sein Schicksal und ähnliche Schicksale würden von der Bundesregierung zu wenig beachtet, was Braun dazu führte zu fragen: „Wann kommt die deutsche Antwort?” Er prangerte ebenfalls an, dass es dem iranischen Staat zunehmend gelinge, Terror und Gewalt auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen zu verüben. Die Bundesregierung müsse sich daher erst der Islamisierung in der Bundesrepublik widmen, um dem Regime etwas entgegenzusetzen
Die Linke: „Die islamische Republik ermordet ihre Zukunft”
Für die Fraktion Die Linke trat Dietmar Bartsch ans Rednerpult und bezeichnete den Tod von Jina Mahsa Amini als Ermordung. Als Reaktion auf diese habe die Bundesregierung auf die ersten Solidaritätsbekundungen und das Gedenken viel zu wenig Taten folgen lassen. Die Regierungskoalition sei angetreten mit dem Versprechen einer wertebasierten Außenpolitik, dem sie bisher nicht gerecht geworden sei. Es fehle der Protestbewegung im Iran an konkreter Unterstützung und der Preis des Nicht-Handelns sei hoch, denn „die islamische Republik ermordet gerade ihre Zukunft”.