Nach der Wahl Alles auf Anfang
Eric Matt
Nach der Bundestagswahl am 26. September werden die Karten neu gemischt. Dann gibt es Parlamentsneulinge, die Ausschüsse verändern sich und Gesetzesvorschläge müssen neu eingebracht werden – so will es das Diskontinuitätsprinzip.
Was haben Schüler und Abgeordnete gemeinsam? Beide müssen ab diesem Herbst wieder neu beginnen. Bei den Schülerinnen und Schülern nämlich zählen die Noten des Vorjahres nicht mehr und auch bei den Abgeordneten wird nach der Bundestagswahl der „Neustart-Knopf“ gedrückt – so will es das sogenannte Diskontinuitätsprinzip. Doch was ist das?
Neustart im Parlament
Diskontinuität ist das Gegenteil von Kontinuität, was etwa Beständigkeit oder Fortbestehen heißt. Diskontinuität bedeutet, dass nicht alles stetig weiterläuft, sondern es eine Unterbrechung gibt. In der deutschen Politik ist die Bundestagswahl eine solche Unterbrechung.
So steht in Artikel 39 Absatz 1 des Grundgesetzes: „Der Bundestag wird vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen auf vier Jahre gewählt. Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages.“ Das bedeutet, dass der Bundestag immer nur für vier Jahre – also diskontinuierlich beziehungsweise zeitlich begrenzt – besteht. Danach gibt es einen Neustart.
Zum Diskontinuitätsprinzip zählt beispielsweise, dass die Bürgerinnen und Bürger ein neues Parlament wählen, neue Ausschüsse gebildet oder auch ein neuer Bundestagspräsident gewählt wird. Außerdem müssen alle Gesetzentwürfe, Anträge oder sonstige Initiativen, die der Bundestag noch nicht beschlossen hat, neu verhandelt werden.
Beim Diskontinuitätsprinzip unterscheidet man zwischen drei verschiedenen „Arten“: Erstens gibt es die personelle Diskontinuität. Zweitens die organisatorische Diskontinuität. Und drittens die sachliche Diskontinuität.
Personelle Diskontinuität
Unter personeller Diskontinuität versteht man, dass die Bundestagsabgeordneten nur für eine Legislaturperiode gewählt werden – und dann erneut kandidieren müssen. Denn durch die konstituierende Sitzung des neu gewählten Bundestages verlieren die Parlamentarier, die bis dahin Volksvertreter waren, ihr Mandat.
Die konstituierende Sitzung ist das erste Treffen des neuen Parlaments. Die personelle Diskontinuität ist besonders wichtig für unsere Demokratie: Durch regelmäßige Wahlen nämlich können wir unsere Volksvertreter bestätigen oder auch abwählen – je nach Gefallen oder Missfallen. Somit können alle Wahlberechtigten mitentscheiden, wer bestimmt, wo es lang geht in Deutschland und wie die Zukunft gestaltet werden soll.
Organisatorische Diskontinuität
Das Herzstück unserer Demokratie ist das Parlament – und dort vor allem der Plenarsaal. Wenn die Abgeordneten aber nicht gerade am Rednerpult im Plenarsaal stehen oder als Zuhörer auf den blauen im Halbkreis angeordneten Stühlen sitzen, dann sind sie oft in den Ausschüssen anzutreffen. Von diesen Ausschüssen gibt es eine ganze Menge. Sie alle sind spezialisiert auf gewisse Themen, diese reichen von Auswärtiger Politik und Europäischer Union über Tourismus, Gesundheit und Kultur bis etwa zu Familie und Landwirtschaft.
Durch die organisatorische Diskontinuität müssen all diese Ausschüsse nach der Bundestagswahl neu gebildet werden. Dabei können die Abgeordneten gemeinsam entscheiden, welche Ausschüsse es geben soll – und welche nicht. So gab es im ersten Deutschen Bundestag im Jahr 1949 beispielsweise 40 Ausschüsse, während es in der aktuellen Legislaturperiode „nur“ 24 gibt.
Es gibt aber vier Ausschüsse, die laut Grundgesetz in jeder Wahlperiode bestehen müssen. Dazu gehört der Verteidigungsausschuss, der Petitionsausschuss, der Auswärtige Ausschuss und der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Rechtlich vorgeschrieben sind außerdem noch der Haushaltsausschuss und der Geschäftsordnungsausschuss.
Übrigens: Die Rede ist von „ständigen“ Ausschüssen, die meist für die gesamte Wahlperiode eingesetzt sind. Es gibt aber auch Untersuchungsausschüsse oder Sonderausschüsse für eine bestimmte Zeit und gewisse Themen.
Aus dem Lexikon
Sachliche Diskontinuität
Wenn man die Hausaufgaben im vergangenen Schuljahr nicht abgegeben hat, dann ist es im neuen Schuljahr auch zu spät. So ähnlich ist das auch bei unseren Volksvertretern, wenn es um Gesetzentwürfe, Anträge, Anfragen oder andere Vorschläge geht: Alle Vorlagen, die vom alten Bundestag noch nicht beschlossen wurden, müssen neu eingebracht und verhandelt werden.
Wenn der alte Bundestag also beispielsweise über ein neues Klimagesetz debattierte, dieses aber nicht verabschiedete, dann ist es so, als hätte es den Vorschlag nie gegeben. Jedoch gibt es zwei Ausnahmen: Petitionen und Angelegenheiten der Europäischen Union aus der alten Legislaturperiode sind auch nach der Wahl noch gültig.
Für die Tonne?
Aktuell betrifft die Diskontinuität etwa den Entwurf für den Bundeshaushalt 2022, also jenen Plan, in dem steht, wofür die Regierung wieviel Geld ausgeben dürfen soll. Den Gesetzentwurf dazu brachte die Bundesregierung im Sommer ein, beraten wird er allerdings nicht mehr vom jetzigen Bundestag. Die neue Bundesregierung muss deshalb diesen oder einen anderen Haushaltsentwurf erneut einbringen.
Eric Matt
... ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zurzeit macht er ein Auslandssemester in Israel.