Bundeskanzler „Raum der Freiheit, des Friedens und der Stabilität“
Bevor Bundeskanzler Olaf Scholz nächste Woche zum Europäischen Rat nach Brüssel reist, richtete er sich gestern mit einer Regierungserklärung an den Bundestag. Im Zentrum stand dabei die Sicherheitsstrategie der Bundesregierung.
Am 29. und 30. Juni werden die Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel zusammenkommen. Der Bundeskanzler sprach in seiner Regierungserklärung über das bevorstehende Treffen und ging auch auf den Nato-Gipfel ein, der am 11. und 12. Juli im litauischen Vilnius stattfinden wird.
Bundeskanzler: „Auf Deutschland ist Verlass“
Die wichtigste Aufgabe des Staates sei es, für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu sorgen, sagte Olaf Scholz zu Beginn seiner Rede. Denn: „Ohne Sicherheit kann es keine Freiheit und keinen Wohlstand geben.“ Europa solle „ein Raum der Freiheit, des Friedens und der Stabilität“ bleiben. Sein Ziel sei ein „geopolitisch handlungsfähiges Europa“, aber auch, Deutschland gegen Bedrohungen zu schützen. Deshalb habe seine Regierung die erste Nationale Sicherheitsstrategie entwickelt. Er wolle damit auch den Bündnispartnern zeigen: „Auf Deutschland ist Verlass.“
Beim Europäischen Rat werde es natürlich um die weitere Unterstützung der Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland und um den Wiederaufbau des Landes gehen. Auch die Verteidigungskraft Europas und seine Rolle innerhalb der Nato seien wichtige Themen.
Über den Nato-Gipfel sagte Scholz, er sei der „festen Überzeugung, dass neben Finnland auch Schweden mit am Tisch sitzen sollte“. Schweden möchte Teil der Nato werden, was derzeit aber von der Türkei verhindert wird. Scholz appellierte an den türkischen Präsidenten Erdoğan, den Weg für einen Beitritt Schwedens freizumachen.
Für die Ukraine sei ein Nato-Beitritt keine Option, solange der Krieg andauere, erklärte Scholz, darüber sei man sich einig. Deshalb solle man sich nun darauf konzentrieren, die militärische und wirtschaftliche Widerstandskraft der Ukraine zu stärken. Gemeinsam mit seinen Partnern werde Deutschland dafür sorgen, „dass der Krieg nicht zu einer Auseinandersetzung zwischen Russland und der Nato eskaliert“, versprach der Kanzler.
Über China sagte Scholz, Deutschland wolle sich nicht von China „abkoppeln“, wohl aber wirtschaftliche Abhängigkeiten vermeiden. Wer Europas Wettbewerbsfähigkeit stärken wolle, brauche „mehr Handel und noch breitere Beziehungen“. Das „umfassende Konzept von Sicherheit“, das der Nationalen Sicherheitsstrategie zugrunde liege, schließe auch wirtschaftliche Sicherheit ein.
„Wir müssen die offenen Fragen innerhalb der EU überwinden, die uns seit Jahren spalten und schwächen“, mahnte der Kanzler. Der „größte Spaltpilz“ sei dabei der Umgang mit dem Thema Flucht und Migration. Er begrüßte, dass Europa vor einer „historischen Einigung“ stehe, die wichtig sei, „weil unser bisheriges System völlig dysfunktional ist“. Deutschland werde durch das „neue und faire System“ entlastet werden.
Union: „Stehen in Europa heute nicht da, wo wir stehen müssten“
Friedrich Merz, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, kritisierte die Nationale Sicherheitsstrategie, die national wie international „auf ein sehr verhaltenes Echo gestoßen“ sei, weil die Bundesregierung sie ohne die Bündnispartner, aber auch ohne die Bundesländer entwickelt habe. Es gebe zudem keinen Plan für die Umsetzung und auch keinen für eine Weiterentwicklung der Strategie.
Merz warf der Bundesregierung vor, mit ihren internen Streitigkeiten den „Fortschritt Europas“ zu verhindern. „Sie sind dafür verantwortlich, dass wir in Europa heute nicht da stehen, wo wir eigentlich gemeinsam stehen müssten“, rief er dem Kanzler zu.
Grüne: „Wir stehen in der Verantwortung, Sorge zu tragen, dass es Verbesserungen gibt“
Die Vorsitzende der Grünenfraktion Britta Haßelmann betonte, Deutschland und Europa dürften nicht nachlassen in ihrem Engagement für die Ukraine. Die Sprengung des Staudamms in Cherson sei nicht nur eine Katastrophe für die Menschen vor Ort, sondern habe auch „massive ökologische Auswirkungen“. „Es wird Jahrzehnte dauern, bis sich dieses Land – die Menschen, das Land und das ganze ökologische System – erholen“, mahnte Haßelmann. Deshalb sei es so wichtig, jetzt schon den Wiederaufbau zu planen.
Zum Thema Flucht und Migration sagte sie: „Menschen ertrinken im Mittelmeer. Das ist grausam.“ Es gebe „so menschenunwürdige Zustände in vielen Lagern“, dass es dringend notwendig sei, eine Einigung auf europäischer Ebene zu finden. „Wir stehen in der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass es Verbesserungen gibt“, so Haßelmann.
AfD wird Bundesregierung „Deindustrialisierung und Wirtschaftszerstörung“ vor
Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, behauptete, in der Welt nehme Deutschland niemand mehr ernst. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) nannte sie den „Bundesminister der Deindustrialisierung und Wirtschaftszerstörung“ und konstatierte: „Seine Politik dient weder diesem Land noch seinen Bürgern.“
Weidel kritisierte den Atomausstieg, die Förderung von E-Autos und den Umgang mit Geflüchteten in Deutschland: „Wer kommt, wird vollversorgt.“ Diese Politik könne Deutschland sich nicht mehr leisten, sagte Weidel, und forderte einen „Abschied vom grünen Narrenschiff“.
FDP: „Die europäische Asylpolitik ist einen entscheidenden Schritt weiter gekommen“
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr betonte die Bedeutung der wirtschaftlichen Widerstandskraft Deutschlands und Europas. Er freue sich, dass diese Woche „endlich“ ein Planungsbeschleunigungsgesetz im Bundestag besprochen werde, dass zu weniger Bürokratie und schnelleren Entscheidungen führen werde. Und er begrüßte ebenso, dass ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf dem Plan stehe, das Einwanderung auf den Arbeitsmarkt erleichtern werde. Auch die gemeinsame europäische Asylpolitik sei „mit dieser Bundesregierung einen entscheidenden Schritt weitergekommen“.
Linke: „Legen Sie eine europäisch abgestimmte Friedensinitiative vor!“
Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Linksfraktion, bescheinigte der Bundesregierung: „Ihre Bilanz ist mies.“ Für alle Themenbereiche, etwa Krieg, Klima und Migration, gelte: „Ihre Politik zieht aktuell das Land wie Blei nach unten.“
Ein „schwerer Fehler“ sei es, dass es seitens Europa keine Initiative für Frieden in der Ukraine gebe. Wenn die Bundesregierung an der Position „Keine Verhandlung, bis der letzte Russe abgezogen ist“ festhalte, drohe der Krieg noch Jahre zu dauern, mahnte Bartsch. Und forderte: „Der Europäische Rat ist eine wunderbare Gelegenheit: Legen Sie eine europäisch abgestimmte Friedensinitiative vor!“
Hier seht ihr die Regierungserklärung und die anschließende Aussprache im Video: