Ukraine: Lebensmittelversorgung „Die Lage wird immer dramatischer“
Felder können nicht bestellt werden, weil tote russische Soldaten darauf liegen, und die Milch wird zu Fuß in den Dörfern verteilt – Christina Stumpp (CDU/CSU) aus dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft berichtet über die Lebensmittelversorgung in der Ukraine.
In der Ukraine herrscht Krieg. Man hört, dass die Versorgung in vielen ukrainischen Orten immer schwieriger wird. Wie ist die Lage vor Ort?
Gerade in den umkämpften und teils eingekesselten Gebieten wird die Lage natürlich immer dramatischer. Wir hatten letzten Freitag einen ukrainischen Landwirt in unserer Arbeitsgruppe zu Gast. Er bewirtschaftet 15.000 Hektar Weide- und Ackerland und hält 2.000 Milchkühe etwa 200 Kilometer von Kyjiw entfernt. Er selbst ist vom Krieg noch verschont geblieben. Aber er hat von Kollegen berichtet, die eingekesselt sind und in deren Nähe die Versorgungswege so versperrt sind, dass sie beispielsweise ihre Milch nicht mehr abtransportieren können.
Was passiert dann mit der Milch?
Die Landwirte verteilen ihre Milch tatsächlich zu Fuß in die umliegenden Dörfer und geben sie auch an die ukrainischen Soldaten weiter, die in der Nähe stationiert sind. Es wird sogar in örtlichen Mühlen Mehl gemahlen, Bäcker backen daraus Brötchen und verteilen sie an die, die Kriegsdienst leisten. Er meinte, so würde die Versorgung der Soldaten und auch der Bevölkerung aktuell noch ganz gut funktionieren, und die Landwirte würden einen großen Beitrag dazu leisten.
War der Landwirt Ihnen per Video zugeschaltet?
Nein. Er ist extra nach Deutschland gereist, um an die deutsche Politik zu appellieren, wie wichtig es ist, im Krieg zu einer schnellen Lösung zu kommen. Er sagte, die nächsten zwei, drei Wochen seien ausschlaggebend, weil dann noch die Aussaat gemacht werden könnte. Aber um die Äcker zu bestellen, brauchen die Landwirte natürlich auch Diesel für die Traktoren, und der ist derzeit aus unterschiedlichsten Gründen schwer zu bekommen. Außerdem hat der Landwirt sehr drastisch geschildert, dass manche seiner Kollegen ihre Felder nicht bestellen können, weil dort tote russische Soldaten liegen. Oder auch Kriegsminen.
In einer Sondersitzung haben Sie im Ausschuss nicht nur über die Versorgung der Ukrainerinnen und Ukrainer gesprochen, sondern auch über die Folgen, die es für andere Länder hätte, wenn die Ernte in der Ukraine ausfiele. Können Sie das erklären?
Zum Beispiel kommen etwa 18,5 Prozent des Weizens, den wir in der EU verbrauchen, aus der Ukraine. Deshalb müssen wir gemeinsam mit der Europäischen Union im Blick behalten, wie wir es ausgleichen können, dass da wichtige Lieferanten wegfallen – in diesem und in den kommenden Jahren, denn in der Ukraine wurde ja viel zerstört. Auch Öl und Raps werden immer knapper. Das hat vor allem auch enorme Auswirkungen und Folgen auf die Versorgung ärmerer Länder, beispielsweise in Afrika.
Drohen uns hier in Deutschland Engpässe?
Manche meinen ja, die Versorgung sei schon gefährdet, weil in den Supermärkten das Sonnenblumenöl ausgeht. Aber hier gibt es keine echten Engpässe. Das ist so ähnlich wie zu Corona-Zeiten mit dem Klopapier: Die Menschen kaufen das, wovon sie glauben, dass es ausgehen könnte, auf Vorrat und schaffen so eine künstliche Knappheit. Bis jetzt gibt es, wie gesagt, keine Engpässe auf dem deutschen Lebensmittelmarkt.
Was kann Deutschland tun, um hier gegenzusteuern?
Die Union hat die Bundesregierung aufgefordert, einen Krisenstab zur Lebensmittelversorgung einzurichten und eine Strategie zur Sicherung der Ernährungsversorgung zu entwickeln. Man kann zum Beispiel Landwirte in Entwicklungs- und Schwellenländern unterstützen, um rechtzeitig für Ausgleich zu sorgen.
Millionen Menschen fliehen aus der Ukraine. Wie steht es um ihre Lebensmittelversorgung?
Ich war diese Woche im Welcome Center vor dem Berliner Hauptbahnhof. Die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung europaweit und auch in Deutschland ist sehr groß. Darüber freue ich mich sehr. Es gibt so viele Aktionen, Hilfsorganisationen, aber auch Privatpersonen, die Lkws mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln durch die Gegend fahren. Insofern ist die Versorgung der Flüchtlinge gewährleistet. Man muss natürlich schauen, wie sich das Ganze weiterentwickelt. Die Lage wird ja von Tag zu Tag dramatischer.
Grundsätzlich ist Deutschland gut aufgestellt, was die Aufnahme von Flüchtlingen angeht. Wichtig ist jetzt, dass alle zusammenarbeiten, Bund, Land, Kommunen und Freiwillige, damit wir die Menschen schnell aufnehmen und gut integrieren, so dass sie auch ihre Traumata verarbeiten können. Auch hier sehe ich die Bundesregierung, konkret das Bundesinnenministerium, in der Pflicht, einen Krisenstab einzurichten, der die Länder koordiniert und die medizinische, psychologische und schulische Versorgung besser organisiert.
Über Christina Stumpp
Christina Stumpp wurde 1987 in Backnang in Baden-Württemberg geboren. Sie ist Verwaltungswirtin und Steuerrechtlerin. Seit 2021 sitzt sie für die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und ist dort Mitglied des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Mehr erfahrt ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de.
(jk)