Wirtschaftsbericht 2022 Ziel: eine soziale und ökologische Wirtschaft
Eric Matt
Zu Beginn jeden Jahres legt die Bundesregierung einen Jahreswirtschaftsbericht vor. Letzte Woche stellte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) den aktuellen Bericht vor. Und musste dazu Kritik aus der Opposition einstecken.
Geld regiert die Welt! Naja, so einfach ist es natürlich nicht. Beim Thema Wirtschaft geht es um viele Faktoren. Und so möchte die Ampel-Koalition beispielsweise soziale Fragen und Nachhaltigkeit stärker berücksichtigen – so jedenfalls steht es in ihrem Jahreswirtschaftsbericht 2022.
Worum es sonst noch geht? Um die anhaltende Inflation, das steigende Wirtschaftswachstum, geringere Arbeitslosigkeit und höhere Löhne. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) sieht „historische“ Herausforderungen, aber auch große Chancen. Die Opposition teilte in der Debatte kräftig aus.
Was steht im Bericht?
Im Jahreswirtschaftsbericht erklärt die Bundesregierung jährlich, was aus ihrer Sicht wirtschaftlich gut läuft, wo es Verbesserungsbedarf gibt und was sie vom neuen Jahr erwartet. Gleichzeitig geht sie auf unterschiedliche Faktoren ein, die die wirtschaftliche Leistung beeinflussen können – beispielsweise die Corona-Pandemie. Zuständig für den 131-seitigen Bericht war das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, das von Robert Habeck geleitet wird.
Der neue Bericht trägt den Titel „Für eine Sozial-ökologische Marktwirtschaft – Transformation innovativ gestalten“. Übersetzt heißt das: Die Regierung möchte unsere Wirtschaft sozial gerechter gestalten und gleichzeitig mehr für Nachhaltigkeit und Klimaschutz tun. Mit zukunftsfähigen Innovationen sollen Wohlstand, Mensch und Umwelt gleichermaßen im Mittelpunkt stehen. Soweit die Zielsetzung der Bundesregierung.
Zahlen, Zahlen, Zahlen
Im Wirtschaftsbericht gibt es vier besonders wichtige Kriterien: das Wirtschaftswachstum, die Inflation, die Arbeitslosigkeit und die Löhne. Fangen wir mit dem Wirtschaftswachstum an, welches dieses Jahr um 3,6 Prozent steigen soll. Das Wirtschaftswachstum wird mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen. Das BIP ist die gesamte wirtschaftliche Leistung (Güter, Waren, Dienstleistungen) eines Staates innerhalb eines Jahres. Der Bericht geht davon aus, dass sich die deutsche Wirtschaft langsam von Corona erholt und im zweiten Halbjahr wieder so stark sein könnte wie vor der Pandemie. Die Inflation ist ein weiteres wichtiges Kriterium. Sie beschreibt den Anstieg des Preisniveaus – also das Teurerwerden von Produkten. Im Jahre 2022 soll die Inflation bei 3,3 Prozent liegen. Dies ist deutlich über dem von der Europäischen Union vorgegebenen Richtwert von knapp zwei Prozent. Laut Minister Habeck aber werde dieses Ziel ab 2023 wieder erreicht.
Im Laufe des Jahres soll sich außerdem die Arbeitslosigkeit von 5,7 Prozent auf 5,1 Prozent reduzieren. Das hieße, dass 400.000 arbeitslose Menschen einen Job fänden. Während es mit der Arbeitslosenquote runtergeht, soll es laut dem Bericht mit den durchschnittlichen Löhnen um 3,5 Prozent hochgehen.
Wirtschaftswachstum
Klar, Pflanzen wachsen, Tiere wachsen und auch wir Menschen wachsen. Aber was heißt es, wenn die Wirtschaft wächst? Sie ist schließlich kein Lebewesen, das größer und stärker werden könnte. Stimmt, genau genommen wächst auch nicht die Wirtschaft, sondern die wirtschaftliche Leistung. Wenn zum Beispiel die meisten Bürgerinnen und Bürger arbeiten, die Arbeitslosigkeit also niedrig ist, dann erhöht das auch die wirtschaftliche Leistung. Gleiches gilt, wenn unsere Industrie beispielsweise viele Autos oder sonstige Produkte ins Ausland verkauft und dadurch Geld einnimmt. Die wirtschaftliche Leistung kann sich jedoch auch verschlechtern: Das ist unter anderem dann der Fall, wenn viele Menschen arbeitslos sind oder wegen der Coronapandemie Restaurants, Hotels und Bars schließen müssen. Für die Messung der wirtschaftlichen Leistung eines Landes wird häufig das Bruttoinlandsprodukt (BIP) herangezogen.
Inflation
Wenn ihr an eure Kindheit zurückdenkt, wie viel kostete eine Kugel Eis? Je nachdem, wie alt ihr seid, vielleicht zwischen 80 Cent und einem Euro? Wer hingegen heute in die Eisdiele geht, zahlt oftmals bis zu 1,50 Euro. Woran das liegt? An der sogenannten Inflation. Inflation ist die „anhaltende allgemeine Erhöhung des Preisniveaus und der dadurch bedingte Rückgang der Kaufkraft einer Währung“, schreibt der Duden. Umgangssprachlich sagt man zu Inflation auch, dass das „Geld an Wert verliert“, da die Preise allgemein steigen und man so für das gleiche Geld nicht mehr dieselbe Menge kaufen kann. Die Vorgabe der Europäischen Union ist, dass die Inflation bei knapp unter zwei Prozent liegen soll. Alles, was deutlich drunter oder drüber liegt, schadet der Wirtschaft.
Wirtschaftsminister Habeck erklärte: „Wir haben eine große Aufgabe vor uns. Aber dass sie möglich ist, beweist dieser Bericht, das beweist die Vergangenheit. Legen wir die Hände nicht in den Schoß, sondern packen wir an.“
Doch wie bewerteten unsere Volksvertreter den Bericht?
CDU/CSU: „Beenden Sie dieses Chaos“
Als erstes sprach der CDU/CSU-Abgeordnete Jens Spahn, der seit dieser Legislaturperiode in seiner Fraktion für Wirtschaft und Klima zuständig ist. „Sie übernehmen ein Land mit sehr niedriger Arbeitslosigkeit, ein Land auf dem Wachstumspfad, ein Land, das fast ein Jahrzehnt des Aufschwungs hinter sich hat“, kommentierte Spahn. Daher habe Minister Habeck ein erfolgreiches Erbe einer 16-jährigen unionsgeführten Regierung übernommen. Aktuell gebe es viele Krisen zu bewältigen, die sich auf die Wirtschaft auswirkten und die Menschen verunsicherten. In einer solchen Lage brauche „das Land Führung, braucht die Wirtschaft Sicherheit, Verlässlichkeit, Vertrauen“. Die neue Regierung aber sorge für ein Desaster und habe „keinen Sinn für die Bürgerinnen und Bürger“. So liefere der Wirtschaftsbericht beispielsweise keine Antworten auf Inflation oder Wachstum. Spahn erklärte: „Herr Habeck, beenden Sie dieses Chaos und legen Sie endlich einen Plan vor.“
SPD: „Philosophiewandel“
„Wir haben in der Wirtschaft immer auf das reine Mehr an Einkommen geschaut“, begann SPD-Abgeordnete Verena Hubertz ihre Rede. Es sei jetzt an der Zeit, „andere Kennzahlen“ in den Blick zu nehmen. Zum Beispiel die Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen oder die Nachhaltigkeit von Investitionen. Wie der Titel des Jahreswirtschaftsbericht schon sage, sei das Ziel der neuen Wirtschaftspolitik eine sozial-ökologische Marktwirtschaft: „Dieses Dreieck muss uns in Zukunft gelingen.“ Dieses Umdenken nannte Hubertz einen „Philosophiewandel“.
Grüne versprechen „kraftvollen Aufschlag“
Laut dem Grünen-Abgeordneten Dieter Janecek kann man Opposition dazu nutzen, „um kluge Konzepte zu entwickeln, sich an der Regierung abzuarbeiten.“ Die Unionsfraktion aber kritisiere dort, wo die Ampel deren Fehler ausbade. Deutschland stehe wirtschaftspolitisch vor großen Herausforderungen. „Noch immer belastet die Pandemie den Einzelhandel, Tourismus, Gastronomie und Kulturwirtschaft“, so Janecek. Auch in anderen Teilen der Wirtschaft stehe Deutschland ein „ruppiges“ Jahr bevor, weshalb es umso wichtiger sei, dass die Regierung mit dem Jahreswirtschaftsbericht einen „kraftvollen Aufschlag“ gemacht habe. Janecek versprach ein Jahrzehnt der großen Zukunftsinvestitionen, was auch Unternehmen forderten. „Da haben wir eine Gemeinsamkeit zwischen Wirtschaft und Regierung, dass wir das gemeinsam voranbringen wollen.“ Wichtig sei außerdem, Einwanderung zu ermöglichen, um den Fachkräftemangel zu beenden.
FDP: „Gigantische Herausforderung“
Der FDP-Abgeordnete Reinhard Houben bemängelte, dass sein Vorredner Spahn so viel an der Regierung kritisierte, obwohl diese erst wenige Wochen im Amt sei. „Jeder Hammer, den man wirft, kommt irgendwann zurück“, kommentierte Houben. Die Empörung, neben dem BIP weitere Faktoren einzubeziehen, könne er nicht verstehen. Immerhin bleibe das BIP auch in Zukunft das entscheidende Kriterium. Fraktionskollege Lukas Köhler ergänzte: „Wir stehen vor der Herausforderung, Ökologie, Ökonomie und die soziale Frage miteinander zu verbinden.“ Dieses Ziel zu erreichen, sei eine „gigantische Herausforderung“, bei der man vieles bedenken müsse. Wichtig sei dabei vor allem, dass erneuerbare Energien kostengünstiger und klimaschädliche Rohstoffe teurer würden. Daher brauche es die richtigen Rahmenbedingungen und eine CO2-Steuer. Köhler forderte: „Wir brauchen ein Jahrzehnt der Investitionen in neue Ideen, und die müssen klimaneutral sein.“
AfD: „Öko-religiöse Planwirtschaft“
„Sie haben viel von Mangel gesprochen. Ich habe den Eindruck, es mangelt an wirtschaftspolitischem Sachverstand in der Bundesregierung“, bemerkte Enrico Komning von der AfD-Fraktion. Was Wirtschaftsminister Habeck sagte, sei „gelinde gesagt sehr abenteuerlich“. Der Bericht bedeute das Ende für Freiheit, Soziale Marktwirtschaft und Wohlstand. Dass die Ampel-Koalition anstrebe, mehr Faktoren als das BIP einzubeziehen, sei ein „Indikatoren-Wirrwarr“. Die Regierung stelle die „Weichen für eine unsoziale, öko-religiöse Planwirtschaft und ein Jahrzehnt der Volksverarmung“. So beeinträchtige die Bundesregierung die Wirtschaft und schaffe eine „links-grüne Käseglocke, fernab jeglicher Realität“. Darunter würden Bevölkerung und Wirtschaft „ersticken, und zwar nicht an zu viel CO2“, so Komning.
Linke: „Sozial ungerechte Politik“
„Es ist ein Fortschritt, dass erstmalig im Jahreswirtschaftsbericht die soziale Ungleichheit skizziert wird“, merkte der Linken-Abgeordnete Christian Leye an. Jedoch müsse dies nun auch Folgen für die Politik haben. So wachse jedes dritte Kind in Armut auf, während 45 Familien so viel Geld wie die Hälfte der Gesellschaft besäßen. „Diese Verhältnisse sind auch das Ergebnis der Politik in diesem Hohen Hause.“ So hätten SPD, Union, Grüne und FDP die Gesellschaft bereits vor der Pandemie durch eine „sozial ungerechte Politik“ gespalten. Leye kritisierte, dass das Leben immer teurer werde: 18 Prozent mehr für Energie, sechs Prozent mehr für Lebensmittel und 41 Prozent mehr für Heizöl. Daher müsse ökologische Nachhaltigkeit auch sozial nachhaltig sein. Der Eigentümer von Lidl beispielsweise sei während der Pandemie um 25 Milliarden Euro reicher geworden. „Zum Vergleich: Eine Kassiererin müsste für diese Summe rund 847.000 Stunden arbeiten“, rechnete Leye vor.
Die komplette Bundestagsdebatte seht ihr hier im Video, das Protokoll findet ihr wie immer auf bundestag.de.
Eric Matt
... ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zurzeit macht er ein Auslandssemester in Israel.