Ärztemangel Raus aufs Land
Maxi Köhler
Es ist eines der großen Probleme in vielen ländlichen Regionen: Ärztemangel. Um das zu ändern, hat sich die Universität in Frankfurt am Main etwas überlegt. Ärztin Sandra Herkelmann erzählt, wie sie junge Mediziner dazu bewegen will, rauszuziehen.
Die ländliche Idylle: Kühe auf einer Weide, in der Luft der Duft von frischgemähtem Gras und Vogelgezwitscher. Landleben kann so beruhigend sein – wenn man dort Urlaub macht. Viele, vor allem junge Menschen, zieht es zum Studieren oder Arbeiten eher in die Großstädte – und dort bleiben sie dann oft. Das trifft auch auf junge Mediziner zu. Die Folge: In vielen ländlichen Regionen mangelt es an Ärzten.
Problem erkannt
"Es gibt in Deutschland große regionale Unterschiede in der medizinischen Versorgung. Während die Menschen in Ballungsgebieten von vielen Ärzten in ihrer näheren Umgebung profitieren können, sieht es im ländlichen Raum oft sehr schlecht aus", sagt Sandra Herkelmann, Kinder- und Jugendärztin am Institut für Allgemeinmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Ein Arzt, 700 Patienten
Unter anderem deshalb hat das Institut das Projekt "Landpartie 2.0" für Medizinstudierende ins Leben gerufen. Die 35-jährige Sandra Herkelmann organisiert derzeit das Projekt und ist beteiligt an der Planung der Seminare, die begleitend zu den Praktika in Landarztpraxen stattfinden. Außerdem betreut sie mit ihren Kollegen die Bewerbungsphase für das Projekt und steht den teilnehmenden Studenten mit Rat und Tat zur Seite.
"Seit dem Wintersemester 2016/17 starten pro Jahr 15 Studierende mit dem Projekt, bei dem sie pro Semester regelmäßige zwei- bis fünftägige Praktika in ausgewählten Hausarztpraxen in ländlichen Gebieten rund um Frankfurt absolvieren", erzählt sie. Während in Frankfurt am Main selbst auf 100.000 Einwohner etwa 250 Ärzte kommen, sind es beispielsweise in der Region Fulda in der Umgebung nur 144 Ärzte. Das heißt rein rechnerisch: Ein Arzt ist für 700 Patienten zuständig. Das belegen Zahlen aus einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) von 2016.
Eigenständig arbeiten
Das Ziel des Projektes ist, den Medizinstudenten schon während des Studiums einen Einblick in das ärztliche Arbeiten im ländlichen Raum zu bieten. Die Teilnahme ist freiwillig und man bewirbt sich mit einem Motivationsschreiben.
Die "Landpartie 2.0" begleitet die teilnehmenden Studenten über drei Jahre ihres Studiums. "Wir haben das Projekt so aufgebaut, dass alle allgemeinmedizinischen Pflichtveranstaltungen automatisch abgedeckt werden", so Sandra Herkelmann. Für die Teilnehmer entstehe kein Mehraufwand. In den Praxisphasen betreut je ein Lehrarzt einen der angehenden Ärztinnen und Ärzte persönlich. So können diese schon früh zunehmend eigenständig arbeiten und lernen, wie sie mit Patienten umgehen.
Die Landkreise Fulda, Bergstraße und Hochtaunuskreis unterstützen das Kooperationsprojekt. Herkelmann: "Anfahrts-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten während der Praxisphasen werden von diesen Landkreisen übernommen und es gibt als zusätzlichen Anreiz zum Beispiel Büchergutscheine im Wert von 50 Euro pro Semester".
"Schwieriges" Landleben
Sandra Herkelmann bekommt auch Vorurteile zu hören, wenn sie mit Studierenden über das Leben und die Arbeit auf dem Land spricht. "Einige stellen es sich extrem schwierig vor, wissen aber gar nicht, wie es wirklich ist", sagt sie.
Natürlich gebe es auch Herausforderungen auf dem Land, zum Beispiel eine oft schlecht ausgebaute Infrastruktur. "Die öffentlichen Verkehrsmittel fahren zu selten, das Kino oder das Café sind zu weit weg und viele Läden schließen. Da muss auf jeden Fall etwas getan werden", so Herkelmann. Die Infrastruktur im ländlichen Raum müsse dringend ausgebaut und die ärztliche Versorgung besser werden. Wenn es darum gehe, Regionen weiterzuentwickeln und die ungleichen Lebensbedingungen innerhalb Deutschlands einander anzunähern, spielten viele Faktoren zusammen.
Befriedigende Arbeit
Allerdings gibt es auch einige Anreize, um auf dem Land zu arbeiten, findet die Ärztin. "Als Hausarzt auf dem Land ist die Wertschätzung natürlich eine ganz andere, als in der Stadt. Man kennt seine Patienten und betreut meist auch die ganze Familie. Man ist der erste Ansprechpartner, was den Menschen Sicherheit gibt und die ärztliche Arbeit sehr befriedigend macht", sagt sie.
Alle unter einem Dach
Außerdem bekomme man als Landarzt ein breiteres Spektrum der Medizin zu sehen, als es in hochspezialisierten Unikliniken der Fall ist. Herkelmann setzt auch darauf, dass die Digitalisierung Kollegen auf dem Land das Arbeiten bald noch angenehmer macht. Außerdem erzählt sie von innovativen Gesundheitsmodellen, zum Beispiel medizinischen Versorgungszentren, in denen mehrere Hausärzte, Fachspezialisten und Psychotherapeuten unter einem Dach arbeiten können. "Das hat den Vorteil, dass der Arbeitsalltag für die Ärztinnen und Ärzte viel familienfreundlicher ist. Sie haben die Möglichkeit, als Angestellte oder in Teilzeit zu arbeiten und die Praxis muss nicht bei jedem Urlaub geschlossen werden", sagt sie.
Stadtfrust
Herkelmann hat das Gefühl, dass bei den Studenten langsam ein Umdenken stattfindet. "Von mindestens einer Studentin, die noch im Projekt ist, weiß ich ganz sicher, dass sie Feuer und Flamme ist, auf dem Land zu leben und zu arbeiten", erzählt sie. Generell sehe sie so etwas wie einen "Stadtfrust", vor allem, wenn die Studierenden über ihre weitere Lebensplanung und Familie nachdenken. "Ich denke, dass sich das auch in den nächsten Jahren noch weiter ausprägen wird", so Herkelmann.
Eine Weiterentwicklung für das Projekt "Landpartie 2.0" sei auf jeden Fall geplant. Beispielsweise
soll den Studierenden auch der letzte Abschnitt des Medizinstudiums, das Praktische Jahr, auf dem Land angeboten und in Zukunft gegebenenfalls noch mehr Regionen in Hessen berücksichtigt werden. Auch in anderen Bundesländern gibt es ähnliche Programme. Die Brandenburger Landesregierung lockt Medizinstudenten beispielsweise mit einer monatlichen Prämie von 500 Euro. Außerdem soll es Weiterbildungsprogramme für Fachärzte geben.
Maxi Köhler
Maxi Köhler
Maxi studiert in Kiel Politikwissenschaft und Soziologie und besitzt die magische Eigenschaft, 24h Hunger zu haben zu können und sehr ungemütlich zu werden, wenn sie nicht sofort etwas zu essen bekommt.