Aufenthaltsrecht Neue Möglichkeiten für Geduldete
Ausländer, die seit Jahren in Deutschland geduldet werden, sollen die Chance auf ein Bleiberecht bekommen. Nach einer hitzigen Debatte verabschiedete der Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Deutschland gilt für viele Menschen als sicheres Land. Deshalb suchen Menschen aus Ländern, in denen beispielsweise Krieg herrscht oder bestimmte Gruppen verfolgt werden, hier Zuflucht. Häufig ist es aber gar nicht so leicht, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Wer Asyl beantragt, muss oft lange warten. Manche Menschen hangeln sich so von einer „Duldung“ zur nächsten, die eine Abschiebung lediglich vorrübergehend hinauszögert.
Eckpunkte des neuen Gesetzes
Am 2. Dezember 2022 hat der Bundestag nun einen Gesetzentwurf der Bundesregierung verabschiedet. Dieser sieht vor, die Chancen auf ein Bleiberecht für Ausländer, die schon lange in Deutschland geduldet werden, zu vereinfachen.
Wer bereits seit fünf Jahren in Deutschland lebt, soll künftige die Möglichkeit bekommen, ein 18-monatiges Aufenthaltsrecht zu beantragen. In dieser Zeit können dann Voraussetzungen erfüllt werden, die ein Bleiberecht möglich machen. Dazu gehört zum Beispiel, dass diese Menschen in der Lage sein müssen, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Außerdem müssen sie über Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und ihre Identität nachweisen können.
Nicht erfüllte Voraussetzungen
Falls die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht erfüllt sind, sollen die Betroffenen in den Status der Duldung zurückfallen.
Straftäter sollen vom Chancen-Aufenthaltsrecht grundsätzlich ausgeschlossen bleiben. Die Rückführung von Straftätern und sogenannten Gefährdern soll konsequenter durchgeführt werden als bisher. Gefährder sind Menschen, bei denen die Sicherheitsbehörden annehmen, dass sie etwa politisch motivierte Straftaten begehen könnten.
Bleiberecht für junge Menschen
Das Gesetz beinhaltet auch einige Regelungen, die speziell junge Menschen betreffen. So sollen gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige schon nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland die Möglichkeit auf ein Bleiberecht bekommen. Diese Regelung soll bis zum 27. Lebensjahr gelten.
Namentliche Abstimmung
Am 2. Dezember 2022 votierten 371 Abgeordnete in namentlicher Abstimmung für das Gesetz. 226 stimmten dagegen. 57 Abgeordnete enthielten sich, darunter neben den Abgeordneten der Linksfraktion auch 20 Mitglieder der Unionsfraktion.
Zusätzlich wurde ein Gesetzentwurf zur Beschleunigung von Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren beschlossen, den die Koalitionsfraktionen vorgelegt hatten.
Anpassung des Entwurfs
Der Gesetzentwurf für das Chancen-Aufenthaltsrecht wurde erstmals am 19. Oktober 2022 im Bundestag diskutiert. Der ursprüngliche Entwurf sah eine Gültigkeitsdauer des Chancen-Aufenthaltsrechts von einem Jahr vor. Außerdem sollte es für Menschen gelten, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland lebten. Nach einem angenommenen Antrag der Koalitionsfraktionen wurde der Stichtag auf den 31. Oktober 2022 verschoben und die Gültigkeitsdauer des Chancen-Aufenthaltsrechts auf 18 Monate verlängert.
SPD: „Gesetz der Vernunft“
„Unwürdig“, nannte Helge Lindh von der SPD-Fraktion den Zustand, den viele Menschen in den vergangenen Jahren ertragen mussten, wenn sie sich im „Zustand der Kettenduldung“ befanden. Es gebe derzeit 137.000 Menschen, die sich bereits mehr als fünf Jahre in Deutschland aufhielten. Deshalb sei dieses Gesetz ein „Gesetz der Vernunft“, so Lindh.
Er kritisierte, dass man in der CDU/CSU-Fraktion teilweise „Opposition übe“, obwohl einige der vorgesehenen Maßnahmen zuvor bereits als sinnhaft anerkannt worden waren.
Es sei ein Kompliment für dieses Land, dass Menschen hier Deutsch lernen und leben wollten, betonte Lindh. Änderungen im Aufenthaltsgesetz seien kein Grund, weshalb Menschen sich auf die Flucht begäben. Wer behauptete, dass man die deutsche Staatsangehörigkeit ‚verramsche‘, habe das nicht begriffen.
CDU/CSU: „Keine Fehlanreize setzen“
In Deutschland brauche man einen Rechtsstaat, der keine Fehlanreize setzte, befand Andrea Lindholz (CDU/CSU). Diese Voraussetzungen seien mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht erfüllt. Deutschland gehöre seit Jahren zu den wichtigsten Aufnahmeländern und diese humanitäre Leistung lasse sich nicht unbegrenzt ausweiten.
Lindholz kritisierte, dass die Ampel so tue, als hätten ausreisepflichtige Ausländer, die sich gut integriert haben, in Deutschland bisher keine Chance. Das sei falsch. Auch mit der Union seien in der vergangenen Legislaturperiode Lösungen gefunden worden.
Aber für die Union gelte: Erst Identitätsklärung, dann Chance, stellte Lindholz fest. Die Ampel wolle mit diesem Prinzip brechen. Denn sie wolle ausreisepflichtigen Menschen auch dann ein Aufenthaltsrecht geben, wenn sie in Bezug auf ihre Identität aktiv getäuscht hätten.
Grüne: „Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik“
Der Gesetzentwurf sei ein Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik, sagte Filiz Polat von der Grünenfraktion. Es gehe dabei um Reformen, die von der Zivilgesellschaft, den Kirchen, Gewerkschaften und der Wirtschaft seit Jahren als längst überfällig erachtet worden seien.
Mit dem Entwurf ziehe man die Konsequenzen daraus, dass die Bleiberechtsregelungen aus 16 Jahren von der Union geführten Innenpolitik ins Leere gelaufen seien. Mit dem neuen Gesetz bekämen alle, die seit fünf Jahren geduldet in Deutschland lebten, in dem Chancenjahr einen gesicherten Status. Dann könnten sie die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht erfüllen. Unter anderem für die Wirtschaft sei klar: „Ausbildung statt Abschiebung!“, so Polat.
FDP: „Einwanderung als Chance“
Deutschland sei ein Einwanderungsland und das sei schon seit Jahrhunderten so, sagte Stephan Thomae von der FDP-Fraktion. Man müsse lernen, Einwanderung als Chance und Notwendigkeit zu verstehen, um auf fehlende Arbeitskräfte zu reagieren.
Dafür brauche es eine wirksame Migrationskontrolle, aber auch eine bessere Integrationsförderung. Viele Menschen in Deutschland seien seit mehr als fünf Jahren geduldet, könnten nicht abgeschoben werden, bekämen aber auch keinen Aufenthaltstitel, so Thomae. Somit hingen sie im Sozialsystem fest, statt in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.
AfD: „Aus Illegalen sollen Legale werden“
Bernd Baumann von der AfD-Fraktion hielt der Ampelkoalition vor, sie wolle die Einwanderung nach Deutschland noch leichter machen. Das gehe gegen den Willen der Deutschen, so Baumann, denn 80 Prozent der Deutschen forderten einen besseren Grenzschutz. Baumann sprach davon, dass hunderttausende Migranten Deutschland schon seit Jahren verlassen haben müssten, da sie ausreisepflichtig seien. Nun sollten aus Illegalen aber Legale werden. Dies sei eine „Verhöhnung des Rechtstaates“ und der „totale Ausverkauf“.
Linke: „Asylpakete eine Riesenenttäuschung“
Die Asylpakete der Ampelkoalition seien eine „Riesenenttäuschung“, sagte Clara Bünger von der Linksfraktion. Der geplante Gesetzentwurf schaffe keine Chancen. Sie merkte an, dass die Rechte von Geflüchteten in Deutschland bereits maximal eingeschränkt seien und die Bundesregierung dies nun fortsetze. Bünger kritisierte auch das Vorhaben, Anhörungen im Asylverfahren per Videotechnik zu ermöglichen. Für traumatisierte Geflüchtete sei das nicht möglich.
Vorlagen der Linken abgelehnt
Büngers Fraktion hatte zwei Vorlagen eingebracht, die abgelehnt wurden. Einen Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes, in dem es um den soganannten Ehegattennachzug ging. Denn bisher mussten ausländische Ehegatten einen Nachweis deutscher Sprachkenntnisse erbringen, um zu ihren Partnern nach Deutschland zu kommen. Im Koalitionsvertag ist vereinbart, dass der erforderliche Sprachnachweis auch nach Ankunft erbracht werden kann. Die Linksfraktion hatte nun mit ihrem Gesetzentwurf gefordert, dieses Vorhaben schnellstmöglich umzusetzen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass der Familiennachzug von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern erleichtert werden soll, indem auf einen Sprachnachweis der Ehegatten künftig verzichtet werden soll.
Außerdem hatte die Linksfraktion einen Antrag mit dem Titel „Keine Abschiebungsoffensive – Für ein wirksames Bleiberecht“ gestellt. Darin forderten die Abgeordneten unter anderem, einen „Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem alle Formen von Abschiebungshaft ersatzlos gestrichen werden“.
Die komplette Bundestagsdebatte seht ihr hier im Video, das Protokoll findet ihr wie immer auf bundestag.de.
(Mira Knauf)