Regierungserklärung Bundeskanzler Scholz wirbt für wichtige Gesetze vor Neuwahlen
Die Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ist zerbrochen. Bundeskanzler Olaf Scholz will die Vertrauensfrage an das Parlament am 16. Dezember stellen, als Datum für Neuwahlen steht der 23. Februar im Raum. Doch woran und wie werden die Abgeordneten bis dahin weiter arbeiten?
Nach dem Ampel-Aus hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch, 13. November 2024, im Bundestag eine Regierungserklärung zur aktuellen Lage abgegeben. Dabei standen die Neuwahl des Bundestages und eine Regierungsbilanz im Mittelpunkt. Die zweistündige Debatte hat einen Vorgeschmack auf den bevorstehenden Wahlkampf gegeben. Bundeskanzler Scholz beschwor in seiner Rede den sozialen Zusammenhalt und warnte vor Rentenkürzungen und „Verteilungskämpfen“ für den Fall eines Regierungswechsels. Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU/CSU) forderte eine „grundlegend andere Politik“ in Bereichen wie Wirtschaft, Migration und Energie.
Scholz: Entscheidung war unvermeidlich
Bundeskanzler Scholz verteidigte seinen Schritt zur Auflösung der Ampel-Koalition: „Diese Entscheidung war richtig und sie war unvermeidlich“, sagte er. Trotz Ampel-Aus forderte der Kanzler das Parlament auf, noch eine Reihe von Gesetzesvorhaben zu verabschieden. Konkret nannte Scholz Entlastungen bei der sogenannten kalten Progression der Einkommensteuer, die dafür sorgen soll, dass Angestellt mehr Gehalt in der Tasche haben und potentielle Gehaltserhöhungen nicht von steigenden Steuern aufgefressen werden. Geplant war die Einführung der Entlastungen zum 1. Januar 2025.
Nötig sei zudem, schnellstmöglich viel von der vorgesehenen Regierungsinitiative für mehr Wachstum zu beschließen. Auch eine Kindergelderhöhung solle Anfang 2025 kommen. Der Kanzler nannte außerdem eine Grundgesetzänderung, um das Bundesverfassungsgesetz stärker gegen mögliche politische Einflussnahmen zu wappnen.
„Wir sind besser dran, wenn wir zusammenhalten“
Scholz warnte vor einer Spaltung des Landes. Dies sei die zentrale Frage bei der anstehenden Neuwahl im Februar. „Ich will vermeiden, dass es zu Verteilungskämpfen jeder gegen jeden kommt“, sagte der Bundeskanzler. „Selbst wenn wir unterschiedliche politische Vorstellungen haben – eins ist klar: Wir leben in einem Land. Wir sind besser dran, wenn wir zusammenhalten; wenn wir uns auch nach einer Auseinandersetzung noch in die Augen schauen können. Das gilt für die Politik, das gilt für unser ganzes Land“, sagte er im Vorgriff auf den beginnenden Wahlkampf.
Die Wahlkampfstrategie der SPD blitzte kurz auf, als Scholz versicherte, er wolle „keine Rentenkürzungen“ und beteuerte: „Nicht mit mir.“ Auch bekräftigte er, die von Russland überfallene Ukraine zwar weiter zu unterstützen, aber dem Land auch in Zukunft keine Taurus-Marschflugkörper zu liefern.
Union: Sie spalten das Land, Herr Bundeskanzler
Unions-Kanzlerkandidat Merz antwortet direkt und scharf auf Scholz. Er sprach dem Bundeskanzler jede Regierungs- und Führungskompetenz ab. „Sie spalten das Land, Herr Bundeskanzler. Sie sind derjenige, der für diese Kontroversen und für diese Spaltung in Deutschland verantwortlich ist. So kann man ein Land einfach nicht regieren.“ Scholz habe seit einer Woche keine Mehrheit mehr im Bundestag. „Die logische Folge hätte sein müssen, dass Sie sofort und unverzüglich die Vertrauensfrage stellen“, fügte Merz hinzu.
Merz nannte die Regierungserklärung von Scholz einen Beleg dafür, dass der Kanzler „in geradezu rüder und rücksichtsloser Weise“ und allein, um einen vermeintlichen parteitaktischen Vorteil der SPD zu erreichen, versuche, seine „Amtszeit noch über die Zeit zu schleppen und noch einmal zu verlängern“. Das sei „inakzeptabel“.
Lobende Worte fand Merz für die Grünen. Er bedankte sich für ihre Zusammenarbeit in den vergangenen Tagen mit Blick auf die Neuwahl. Konkret nannte er die beiden Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge. Unmissverständlich machte Merz klar, dass es keinerlei Zusammenarbeit von CDU/CSU und der AfD geben wird.
Außenministerin verteidigt Habecks Wirtschaftspolitik
Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) verteidigte die Bilanz der Ampel-Regierung und mahnte, „Deutschland nicht schlechtzureden“. Es gehe in schwierigen Zeiten darum, das Land zu stärken, dazu brauche es „Anstand, Rückgrat und Verantwortung“, sagte die Grüne.
Die Außenministerin verteidigte die Wirtschaftspolitik ihres Parteikollegen, Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck, der aufgrund eines defekten Flugzeugs in Portugal festsitze und deshalb nicht im Bundestag reden könne.
FDP: Bundeskanzler hat keine Agenda
FDP-Chef Christian Lindner war seine Verbitterung über den Rauswurf durch Scholz anzumerken. Er rechnete mit dem Bundeskanzler ab. Die Regierung Scholz sei auch daran gescheitert, „weil wir nicht mehr über dasselbe Land gesprochen haben“, sagte Lindner. In dem Moment wendete sich Scholz demonstrativ von seinem früheren Finanzminister ab und redete mit seinen Ministern Wolfgang Schmidt und Boris Pistorius, die hinter ihm auf der Regierungsbank saßen.
Lindner rief Scholz zu: „Manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung.“ Zudem kritisierte der FDP-Chef den Bundeskanzler, weil der „keine Agenda“ habe, das sei bei der Regierungserklärung wieder deutlich geworden.
SPD fordert Union zur Zusammenarbeit auf
SPD-Fraktionsvorsitzender Dr. Rolf Mützenich forderte Friedrich Merz zur Zusammenarbeit auf. Noch vor den Neuwahlen solle das Parlament mehreren Gesetzesvorhaben zustimmen. „Schlagen Sie sich dort nicht in die Büsche. Es ist wichtig, dass die Menschen Sicherheit haben“, sagte Mützenich mit Blick auf die Erhöhung des Kindergelds, die Abmilderung der kalten Progression, das Deutschland-Ticket und Gesetzesvorhaben zur Entlastung der Wirtschaft.
Bei FDP-Fraktionschef Christian Dürr bedankte er sich dafür, dass man versucht habe, „Brücken zu bauen“. An seine eigenen Reihen gerichtet, gestand er: Er habe der SPD-Fraktion viel abverlangt, das aber sei notwendig gewesen.
AfD attackiert Bundeskanzler und Union
AfD-Fraktionschefin Dr. Alice Weidel machte sowohl dem Bundeskanzler als auch der CDU/CSU schwere Vorwürfe. „Das, was Ihre Regierung diesem Land und seinen Bürgern angetan hat, ist beispiellos“, sagte sie. Die Ampel habe wie keine Regierung zuvor Wohlstand zerstört und das Land geschädigt. Weidel sprach von einer „aberwitzige(n) Politik der grünen Transformation“ und einer Deindustrialisierung und griff die Regierung wegen ihrer Migrationspolitik an. „Auf den Straßen toben sich importierte Judenhasser aus“, sagte Weidel.
An die CDU/CSU gewandt, hielt Weidel der Union vor, 16 Jahre für die Regierungspolitik verantwortlich gewesen zu sein. Unionsfraktionschef Merz warf sie „Heuchelei“ vor. Er wolle keine Politikwende für Deutschland. „Ihnen geht es ganz allein um sich selbst, um Ihre Macht, um Parteitaktiererei, und vor allen Dingen um Ihre Eitelkeit. Mit Ihnen als ,Ersatz-Scholz' kommt Deutschland nicht voran.“ Merz sei keine Alternative zu dieser Regierung und diesem Kanzler, sagte Weidel und attackierte Merz wegen der Absage der Union an eine Zusammenarbeit mit der AfD. „Sie stellen die Brandmauer über Deutschland – was für ein Ausbund an demokratischer Unkultur!“
Ministerpräsident Söder: Ampel hat das Land gespalten
Der Geräuschpegel stieg weiter an, als der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu seiner ersten Rede im Bundestag ans Rednerpult trat. „Sie haben das Land in die Sackgasse geführt“, kritisierte Söder die Ampel. Was Scholz in der Regierungserklärung abgeliefert habe, sei „totaler Realitätsverlust“.
Keine Regierung habe das Land tiefer gespalten als die Ampel-Regierung. Er bezeichnete die Ampel-Koalition als „die schlechteste Regierung, die das Land je hatte“. Wirtschaftsminister Habeck forderte er auf, wegen Erfolglosigkeit „sofort zurückzutreten“, anstatt als Kanzlerkandidat anzutreten. Zur AfD gerichtet sagte Söder: „Sie sind keine Patrioten. Sie sind die Handlanger Putins.“
Ministerpräsident Weil: Blick nach vorne richten
Weniger kämpferisch, sondern um Beruhigung und Ausgleich bemüht präsentierte sich der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Er riet dazu, „den Blick nach vorne zu richten“, und rief die demokratischen Kräfte dazu auf, an die Arbeit zu gehen, um die Krise zu bewältigen.
Vor allem wirtschaftlich brauche es neue Impulse. Keinem sei in der aktuellen Lage geholfen, wenn die politische Auseinandersetzung zum „Schlamm-Catchen“ verkomme.
Grüne: Eingeschlagenen Weg fortführen
Dem Appell schloss sich Britta Haßelmann, Co-Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen, an. Sie verteidigte den Kurs der Ampel und forderte, den eingeschlagenen Weg fortzuführen. Es sei nicht möglich, mit Antworten aus den 1990er Jahren die Aufgaben von heute zu lösen. Sie sei froh, dass man in konstruktiver Weise einen Termin für Neuwahlen gefunden habe und es danach vorangehe.
Auch sie drückte die Hoffnung aus, dass der Bundestag in der ihm verbleibenden Sitzungszeit bis zu einer Neuwahl noch die Reform zur Sicherung der Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts beschließen kann. Auch die Finanzierung des Deutschlandtickets könne hoffentlich noch gesichert werden. „Die Länder rechnen fest mit dem vom Bund zugesagten Geld“, betonte sie.
Linke kritisiert Gezerre um Neuwahl-Termin
Heidi Reichinnek (Gruppe Die Linke) attackierte vor allem die Union und deren Kandidaten Friedrich Merz. Er habe in der Diskussion um einen Termin für die Neuwahl zur Eile gemahnt, dabei sei es wichtig, dass Wahlen ordentlich vorbereitet würden und geregelt abliefen.
Zudem sei es notwendig, den Menschen während des Wahlkampfes die verschiedenen Argumente mitzuteilen, dafür sei Zeit nötig.
BSW teilt gegen Koalition und Union aus
Dr. Sahra Wagenknecht (Gruppe BSW) kritisierte den Bundeskanzler und die in der Regierung verbliebenen Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dass die „Existenzangst der Menschen sie nicht kümmert“.
Doch Kanzler Scholz, Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner wollten ins nächste Kabinett. „Da können normale Leute, die sich jeden Tag in ihren Job bewähren müssen, doch nur fassungslos mit dem Kopf schütteln“, so Wagenknecht. Und die Union habe „auch nichts zu bieten“.
Die komplette Regierungserklärung mit anschließender Debatte
Dieser Beitrag erschien zuerst auf bundestag.de.