Kirsten Kappert-Gonther „Die Legalisierung von Cannabis für Erwachsene funktioniert“
In den USA und Kanada hat der Gesundheitsausschuss sich kürzlich über die dortige Cannabis-Politik informiert. Im Interview erklärt die stellvertretende Vorsitzende, warum die Legalisierung in Deutschland aus ihrer Sicht dem Jugend- und dem Gesundheitsschutz helfen würde.
Der Gesundheitsausschusses war vergangene Woche in den USA und Kanada. Es ging unter anderem um Fragen zur Legalisierung von Cannabis. Welche Erfahrungen hat man dort damit gemacht?
Die Reise hat uns gezeigt, dass die Legalisierung von Cannabis für Erwachsene funktioniert. Sie ist gesellschaftlich breit anerkannt. Der Konsum hat sich durch die Legalisierung nicht wesentlich verändert, aber die Bedingungen sind besser. Unser Ziel ist die Stärkung von Jugend- und Gesundheitsschutz.
Hat Sie in Ihren Gesprächen dort etwas überrascht?
Mich hat die Einigkeit in entscheidenden Fragen positiv überrascht. Niemand hat sich für die Prohibition, also das Verbot von Cannabis, ausgesprochen.
Die Ampelkoalition hat schon zu Beginn der Wahlperiode angekündigt, den Umgang mit Cannabis liberalisieren zu wollen. Nun hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages darauf hingewiesen, dass es rechtliche Schwierigkeiten geben könnte. Worum geht es?
Es ist lange bekannt, dass EU-Verträge die Legalisierung verkomplizieren. Die aktuelle Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes ist kein Rechtsgutachten. Die Situation wird von Verfassungsjuristen durchaus unterschiedlich bewertet. Ziel der Ampelkoalition ist die kontrollierte Freigabe von Cannabis für Erwachsene zu ermöglichen. Das bedeutet, den Anbau, Vertrieb und Verkauf in lizensierten Fachgeschäften zu legalisieren. Eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe befasst sich derzeit mit einer Lösung.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat kürzlich angekündigt, ein Gesetzentwurf zum Thema sei schon in Arbeit. Wird das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes Einfluss auf diesen Entwurf haben?
Das Gesundheitsministerium hat für diesen Herbst ein Eckpunktepapier angekündigt, in dem die wesentlichen Aspekte der künftigen Gesetzgebung benannt werden – vom Anbau über den Handel bis hin zum Verkauf von Cannabis-Produkten für Erwachsene. Die kontrollierte Freigabe wird den Gesundheitsschutz deutlich verbessern. Das internationale Recht verfolgt auch das Ziel des Gesundheitsschutzes, somit gehe ich davon aus, dass wir zu einer konsistenten, guten Gesetzgebung kommen. Auf dem Schwarzmarkt gibt es weder Jugend- noch Gesundheitsschutz. Darum ist es so wichtig, dass wir den illegalen Cannabismarkt in staatliche Kontrolle überführen. Auch andere EU-Länder gehen in diese Richtung.
Die Legalisierung von Cannabis wird kontrovers diskutiert. Welche verschiedenen Positionen gibt es im Gesundheitsausschuss zur Legalisierung von Cannabis?
Grundsätzlich gibt es zwei gegensätzliche Positionen mit einigen Schattierungen dazwischen. Es gibt die Parteien, die davon ausgehen, dass ein Verbot Menschen vom Konsum abhalten würde, während eine Legalisierung dazu verleiten würde, Cannabis zu konsumieren. Aber das stimmt nicht. Die Entwicklung in Kanada zeigt, dass sich diese Befürchtungen nicht bewahrheitet haben. Der Konsum hat sich nach der Legalisierung nicht signifikant verändert, insbesondere unter jungen Menschen hat der Konsum nicht zugenommen.
Und wie stehen Sie persönlich dazu? Sie sind ja auch Ärztin: Sehen Sie Risikofaktoren beim Konsum von Cannabis, insbesondere für Jugendliche?
Je später mit dem Konsum von Substanzen begonnen wird, die auf das Nervensystem wirken, umso besser – das gilt für Cannabis genau wie für Alkohol. Die Prohibition erhöht die Risiken für Konsumierende. Denn auf dem Schwarzmarkt werden dem Cannabis neben Streckmitteln auch synthetische Cannabinoide beigemischt. Diese sind gefährlich. Ich rate allen vom Konsum von Produkten auf dem Schwarzmarkt ab. Als Fachärztin setzte ich mich aus Gründen des Gesundheitsschutzes für die kontrollierte Freigabe von Cannabis für Erwachsene ein.
Auf Ihrer Reise ging es auch um andere Themen, etwa um die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Können wir da etwas von den USA und Kanada lernen?
Die Digitalisierung ist in beiden Ländern deutlich fortgeschrittener als hier. Wir haben eine Reihe vielversprechender Ansätze kennengelernt, insbesondere aus der richtungsweisenden Forschung zu künstlicher Intelligenz in Gesundheitsanwendungen.
Zur Person
Kirsten Kappert-Gonther, 1966 in Marburg geboren, hat Medizin studiert und als Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie gearbeitet, bevor sie 2017 für Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag einzog. Derzeit ist sie stellvertretende Vorsitzende im Gesundheitsausschuss und Berichterstatterin ihrer Fraktion für seelische Gesundheit, Bioethik und die Legalisierung von Cannabis. Mehr erfahrt ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de.
(jk)