Wirtschaftsforscher „Trend der Gehälter setzt sich fort“
Gloria Timm
Die Kluft zwischen Normal- und Topverdienern wird größer, sagt Stefan Liebig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Warum er trotzdem gegen eine Deckelung von Managergehältern ist, hat er Gloria im Interview erklärt, die dabei auch etwas über Traumlöhne erfahren hat.
Geht es in Deutschland sozial gerecht zu? Was sagen Sie?
So pauschal kann man darauf nicht antworten. An diese Fragestellung kann man nämlich auf mindestens zwei Weisen herangehen: Zum einen, indem man prüft, ob die Verhältnisse in unserem Land dem entsprechen, was bestimmte philosophische oder auch politische Konzepte über soziale Gerechtigkeit fordern.
Zum anderen, indem man die Menschen, die in Deutschland leben, fragt, ob sie der Meinung sind, in einer gerechten Gesellschaft zu leben. Genau das letztere machen wir, wenn wir uns als Soziologinnen und Soziologen mit der Frage nach einer gerechten Gesellschaft beschäftigen. Wir versuchen über repräsentative Bevölkerungsumfragen herauszufinden, was die Menschen darüber denken, wie es um die Gerechtigkeit in unserem Land bestellt ist.
Wie gehen Sie dabei genau vor?
Dazu fragen wir die Menschen etwa "Wie gerecht empfindest du dein eigenes Gehalt?" oder "Wie gerecht empfindest du dieses oder jenes Gehalt?". Die Ergebnisse aus derartigen Befragungen legen nahe, dass das eigentliche Problem nicht die Differenz zwischen Gehältern an sich ist, sondern die Höhe dieser Differenz. 10- bis 45-mal mehr Geld für Manager im Vergleich zu einem durchschnittlichen Arbeiter wird vom Großteil der Deutschen als gerecht empfunden. Einkommensunterschiede an sich empfindet die Gesellschaft also nicht per se als ungerecht.
Woran liegt das?
Weil die Vorstellung weit verbreitet ist, dass Einkommen sich am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit orientieren sollen. Das bedeutet, dass zum Beispiel Menschen mit Studium, Menschen die schon lange Zeit in einem Betrieb arbeiten, größeres Engagement zeigen oder auch größere Belastungen oder Verantwortung haben, ein höheres Gehalt erhalten sollten als Menschen ohne Ausbildung, Menschen die neu in einem Betrieb einsteigen oder Menschen, die weniger Belastungen oder Verantwortung haben.
Warum gibt es dann die Debatte über Managergehälter?
Zunächst muss man natürlich erstmal feststellen, dass die in den Medien oftmals diskutierten Managergehälter von hohen siebenstelligen Einkommen, nur für einen sehr kleinen Kreis von Managern gelten. Für die meisten Manager, also leitende Führungskräfte in Unternehmen, sind ganz andere, nämlich deutlich niedrigere Einkommen normal. Generell gilt aber, dass in einer Marktwirtschaft Angebot und Nachfrage den Preis der Arbeit bestimmen. Das heißt, die Löhne bilden sich vor dem Hintergrund des Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt. Wenn Personen Kompetenzen und Fähigkeiten haben, die auf dem Arbeitsmarkt knapp und gefragt sind und es nur wenige gibt, die über diese Kompetenzen und Fähigkeiten verfügen, dann ist der Preis dieser Arbeitskraft auch höher. Personen mit selteneren Fähigkeiten und Kompetenzen haben dann auch eine bessere Verhandlungsmacht und können höhere Einkommen für sich durchsetzen.
Ist das gerecht?
Das ist für sich genommen erst mal weder gerecht noch ungerecht. So funktionieren Märkte. Als ungerecht wird es erst wahrgenommen, wenn die Regeln des Marktes nicht für alle in gleicher Weise gelten und sich einzelne Gruppen auf Kosten schwächerer Vorteile verschaffen. Als ungerecht wird es auch empfunden, wenn für das hohe Einkommen keine entsprechende Leistung erbracht wird.
Was halten Sie vor dem Hintergrund von der (von der Linke und den Grünen im Bundestag geforderten) Höchstgrenze für Managergehälter?
Durch eine solche Deckelung würde der Wettbewerb behindert und es würde auch das Problem nicht lösen. Denn wie wird eine solche Deckelung bestimmt, ab welcher Einkommenshöhe soll sie gelten? Das lässt sich objektiv nicht festlegen und würde auch einen beständigen Steuerungsbedarf nach sich ziehen. Wohin derartige, vom Markt und vom Wettbewerb abgekoppelten Löhne oder Preise letztendlich führen, kann man historisch in den Planwirtschaften des ehemaligen Ostblocks beobachten.
Wie sollte das Problem stattdessen angegangen werden?
Wenn man es für politisch sinnvoll ansieht, dass man extrem hohe Einkommen begrenzen muss, dann hat der Staat dafür die Möglichkeit der Besteuerung. Dadurch wird die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen nicht beschnitten. Über die steuerlichen Eingriffe werden ja heute schon Einkommensungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt massiv reduziert.
Wie sähe denn eine ideale Verteilung aus?
In unseren Studien haben wir die Menschen gefragt, welches Gehalt sie für sich selbst als gerecht empfinden würden. Das Ergebnis: zwar läge das Wunschgehalt bei vielen um ein paar Prozent höher, die Unterschiede in den Einkommen würden jedoch weitgehend bestehen bleiben. In einer von den Befragten als gerecht empfundenen Welt würde nicht jeder das Gleiche verdienen, sondern es würden durchaus Ungleichheiten weiterbestehen.
Was glaube Sie, wie sich die Managergehälter in Zukunft entwickeln werden?
In den letzten Jahren konnte man beobachten, dass die Gehälter der obersten Einkommensgruppen, das heißt unter anderem auch der Spitzenmanager, anstiegen. Und zwar stärker als die der untersten Einkommensgruppen. Diese Entwicklung lässt sich wieder mit den "knappen" Kompetenzen, die Manager beherrschen, sowie der großen Verhandlungsmacht dieser Gruppe begründen.
Zudem kommt hinzu, dass Einkommen nicht nur vom Beruf, sondern auch von der Branche abhängig ist. Einkommenszugewinne sind in Branchen größer, die höhere Profite erzielen können und sich schnell weiterentwickeln. Logischerweise folgt daraus, dass Zukunftstechnologien andere Gehaltsstrukturen aufweisen als Branchen mit geringeren Zuwächsen. Aus diesen Gründen vermute ich, dass sich der ansteigende Trend der Gehälter, wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß, fortsetzen wird.
Über Stefan Liebig:
Stefan Liebig, 56, hat in Heidelberg Evangelische Theologie und Soziologie studiert. Heute ist er Professor für Soziologie in Bielefeld und Direktor des Sozio-oekonomischen Panels am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), eine der größten Haushaltsbefragungen der Welt.
Gloria Timm
Gloria Timm
ist 18 und studiert in Heidelberg Molekulare Biotechnologie. Sie liebt Sport und Reisen, hat einen eigenen Blog und verbringt möglichst viel Zeit in der Natur.