Experten-Interview „Eine Art Stimmungstest“
Laura Heyer
Was macht ein Wahlforscher? Und wozu sind Umfragen gut? Diese Fragen hat Laura dem Wissenschaftler Arndt Leininger gestellt.
Herr Leininger, was genau macht ein Wahlforscher?
Wahlforscherinnen und Wahlforscher befassen sich mit dem politischen Verhalten von Menschen und versuchen es zu erklären. Dabei geht es um Fragen wie: Wer nimmt an Wahlen teil und warum? Welche Wahlentscheidungen treffen Wählerinnen und Wähler? Zur Beantwortung dieser Fragen erheben wir Daten und analysieren diese mit statistischen Modellen.
Warum gibt es überhaupt Umfragen und Prognosen in der Politik?
Medien und Politik, aber auch die Bürgerinnen und Bürger selber, haben ein Interesse daran zu wissen, wie es um die Meinung der Öffentlichkeit bestellt ist. Denn in einer Demokratie sind Parlament und Regierung den Wählerinnen und Wählern und deren Interessen verpflichtet. Das heißt, neben dem persönlichen Gespräch oder Veranstaltungen können Umfragen helfen, die Probleme und Wünsche der Bevölkerung abzubilden.
Was ist denn der Unterschied zwischen Umfragen und Prognosen?
Prognosen schauen in die Zukunft und versuchen vorauszusagen, welche Ereignisse eintreten werden und wie genau. Umfragen hingegen bilden die Meinung der Bevölkerung zum Zeitpunkt der Befragung ab. Bei Umfragen funktioniert das, was die Wahlentscheidung anbelangt, häufig über die sogenannte Sonntagsfrage. Dabei werden Wählerinnen und Wähler gefragt, wen sie wählen würden, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre.
Diese Frage bezieht sich nur auf die unmittelbare Zukunft vor der Befragung und gibt damit ein aktuelles Stimmungsbild wieder. Das kann sich aber, wenn die Wahl noch einige Wochen entfernt ist, noch ändern.
Inwieweit nehmen Umfragen Einfluss auf das Wahlergebnis?
Wenn es um die Wahlentscheidung geht, würde ich eher von berücksichtigen als von beeinflussen sprechen. Natürlich können sich Bürgerinnen und Bürger an den Ergebnissen von Umfragen orientieren. Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg 2019 sah es zum Beispiel in den Umfragen so aus, als ob die AfD stärkste Kraft werden könnte. Bei der Wahl hat dann die Partei des jeweiligen Ministerpräsidenten deutlich mehr Stimmen bekommen.
Man kann also vermuten, dass viele Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Wahlentscheidung bewusst das Szenario „die AfD als stärkste Kraft“ vermeiden wollten und sich daher dann doch für eine der großen Parteien entschieden haben.
Prognosen sind nicht exakt. Warum ist das so?
Prognosen und Umfragen sind immer mit Unsicherheiten verbunden. Es gibt Entwicklungen zwischen dem Zeitpunkt der Befragung und der Wahl. Aus meiner Sicht werden fehlerhafte Prognosen oft überbetont, denn wir haben es immer mit einem Schätzwert zu tun, der um ein bis drei Prozentpunkte abweichen kann. Wenn es also um die Fünfprozenthürde geht und die Partei in den Umfragen bei 5 Prozent liegt, könnten es am Ende eben nur 3,5 oder auch 6,5 Prozent sein.
Wie sollte ich dann eine Umfragen lesen?
Man sollte sie als ungefähre Einschätzung lesen, die sich immer noch ändern kann. Ich muss dann überlegen, wie relevant diese Information für mich ist. Das heißt für Wählerinnen und Wähler zum Beispiel, sich zu fragen, wen ich unterstützen möchte, damit eine bestimmte Koalition zustande kommt. So können Wählerinnen und Wähler größerer Parteien wie zum Beispiel der CDU überlegen, ob sie einen kleineren Koalitionspartner (beispielsweise die FDP) unterstützen wollen, um sicherzustellen, dass diese Partei die Fünfprozenthürde erreicht. Aber Prognosen und Umfragen sollten immer nur ein Faktor in der eigenen Entscheidung sein.
In Deutschland sind die großen politischen Umfragen mit Medien verknüpft, das ZDF arbeitet etwa mit der Forschungsgruppe Wahlen, die ARD mit Forsa. Einige Menschen trauen aber den Medien nicht mehr. Ist das ein Problem?
Ja und nein. Es könnte ein Problem sein, wenn das Misstrauen dazu führt, dass die Menschen nicht mehr an Befragungen teilnehmen wollen und dann eben nicht mehr alle Meinungen gleich abgebildet sind. Diese Entwicklung hat sich am Anfang bei AfD-Wählerinnen und -wählern gezeigt. Die neueren Befragungen, die wieder sehr nah an den Wahlergebnissen der letzten Zeit lagen, lassen aber vermuten, dass sich das auch mit der Zeit verändert. Aber die Skepsis gegenüber den etablierten Medien ist natürlich ein Problem für die Demokratie an sich.
In Italien oder Frankreich werden zwei Wochen vor den Wahlen keine Umfrageergebnisse mehr veröffentlicht. Was halten Sie von dieser Vorgehensweise?
Ich bin da eher skeptisch. Diese Maßnahmen scheinen von der Sorge getrieben, dass sich die Bevölkerung sonst zu sehr von den Umfragen beeinflussen lässt. Das ist aus meiner Sicht ein bisschen zu einfach gedacht, da eben verschieden Faktoren bei der Entscheidung eine Rolle spielen können.
Andererseits spielen Umfragen besonders in der Berichterstattung der Medien immer eine große Rolle. Würde man die Veröffentlichung von Umfragen unmittelbar vor der Wahl untersagen, würden die Medien hoffentlich mehr über Sachinhalte berichten. Das wäre dann durchaus positiv zu sehen. Andererseits könnte man ein solche Verbot auch als Einschränkung der Pressefreiheit sehen, weil dann die Medien über bestimmten Dinge, eben Umfragen, nicht berichten dürfen.
Am 14.3. sind Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Haben diese „kleinen Wahlen“ im Jahr der Bundestagswahl Auswirkungen auf das Wählerverhalten auf Bundesebene?
Aus Sicht der Wahlforschung wirkt sich eher die Bundespolitik auf die Landtagswahlen aus. Zur Mitte der Legislaturperiode kann man häufig sehen, dass besonders die Parteien, die die Bundesregierung stellen, in den Ländern an Zustimmung verlieren. Aber natürlich sind Landtagswahlen eine Art Stimmungstest vor der Bundestagswahl. Sie können als solche vor allem Einfluss auf das Machtgefüge in den Parteien selbst nehmen. Der Einfluss auf das Wahlverhalten in der Bundestagswahl ist dann eher indirekt, zum Beispiel darüber wie Wahlkampagnen ausgestaltet werden.
Mehr über Arndt Leininger
Arndt Leininger ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, das nach eigenen Aussagen das größte politikwissenschaftliche Institut der Bundesrepublik ist. Er forscht in der Arbeitsstelle Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland. Leininger beschäftigt sich mit den Themen Vergleichende Politikwissenschaft, Direkte Demokratie und Wahlforschung.
(lh)
Laura Heyer
hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.