Karoline Otte (Bündnis 90/Die Grüne) „Ein gutes Leben für alle“
Kolja Richter
Karoline Otte ist mit 26 Jahren eine der jüngsten Abgeordneten im deutschen Bundestag. Sie kommt vom Dorf und möchte sich besonders für Jugendliche auf dem Land stark machen.
Ich steige in Braunschweig aus dem Zug. Es ist bewölkt, aber trotzdem ein schöner Tag in der niedersächsischen Großstadt. Ich bin aus Berlin angereist, um Karoline Otte zu treffen. Sie zog bei der Bundestagswahl 2021 für die Grünen über die Landesliste in den Bundestag ein. Wir treffen uns zwar in Braunschweig, doch ich weiß schon, dass Braunschweig eigentlich gar nicht im Wahlkreis von Karo Otte liegt. Dennoch fällt die Stadt in ihr Verantwortungsgebiet als Abgeordnete. Warum das so ist und wieso ihr die Stadt trotzdem sehr am Herzen liegt, werde ich noch erfahren.
Braunschweig für Otte „leider eine autofreundliche Stadt“
Auf meinem Weg zu unserem Treffpunkt im Theaterpark schlendere ich noch ein wenig durch die Altstadt Braunschweigs und erkunde die kleinen Straßen und Gassen. Braunschweig liegt im Südosten Niedersachsens und hat knapp 251.000 Einwohner. Nach Hannover ist es die zweitgrößte Stadt des Bundeslandes.
Karo Otte erscheint einige Minuten zu spät an unserem vereinbarten Treffpunkt. Sie entschuldigt sich: „Bahn verpasst“, kann passieren. Sie ist locker gekleidet, hustet noch ein wenig, denn sie erholt sich gerade von einer Erkältung. Wir befinden uns vor dem Staatstheater in Braunschweig, einem schönen Gebäude auf einem schönen Platz, „leider stark befahren“, sagt sie mir. Überhaupt sei Braunschweig eine sehr autofreundliche Stadt. Wir gehen ein paar Schritte und setzen uns zum Reden in den Park und blicken ins Grüne.
Warum treffen wir uns hier?
Jetzt brennt es mir wirklich unter den Nägeln: Ich möchte unbedingt wissen, was es mit dem ihrem Zuständigkeitsgebiet auf sich hat und wieso wir uns nicht in ihrem Wahlkreis treffen. Karo Otte erklärt mir, dass ihr Wahlkreis eigentlich der Wahlkreis 52, Northeim – Goslar – Osterode ist. Dort ist die junge Politikerin geboren und auch aufgewachsen. „Wir als Grüne sind allerdings nicht in jedem Wahlkreis mit Abgeordneten vertreten“, erzählt sie weiter. Deswegen sei man teilweise für Regionen außerhalb des regulären Wahlkreises zuständig, um auch dort präsent und ansprechbar zu sein. „Ich bin aber noch in der Kennenlernphase mit Braunschweig.“ Ein- bis zweimal im Monat sei sie hier und möchte mit den Leuten ins Gespräch kommen. „Ich höre zu, was sie zu erzählen haben und was ihnen auf der Seele liegt“, sagt Otte.
Wenig junge Leute im Wahlkreis
Ich frage, ob es viele junge Leute gibt, denn ich möchte wissen, wie die Menschen so sind – hier und in ihrem Wahlkreis. „Ach, da steht Braunschweig noch gut da!“, sagt sie und lacht. Hier sind rund sieben Prozent der Bevölkerung zwischen 20 und 25 Jahre alt. In Northeim sind es nur 4,9 Prozent. Braunschweig sei eine relativ große Stadt mit Hochschule und einer guten Infrastruktur. „Mein Wahlkreis ist das absolute Gegenteil davon“, sagt Karo Otte. Fast 203.000 Wahlberechtigte leben im Wahlkreis mit der Nummer 52. Bei der letzten Bundestagswahl war die SPD die stärkste Kraft.
Nur selten fährt ein Bus
Für Jugendliche ist die Situation hier allerdings eher schwierig. „Ich liebe meinen Wahlkreis, meine Heimat“, sagt Karo Otte. Aber die schönen Seiten habe sie als Jugendliche nicht wirklich sehen können. „Die wunderschöne Landschaft konnte mich nicht hinter dem Ofen vorlocken“, sagt sie und lacht erneut. Der Bus komme typischerweise nur ein- oder zweimal am Tag und es gebe keine bis wenige Orte für Jugendliche, gerade auf den Dörfern, wenn man nicht auf Buswartehäuschen steht, erzählt Karo Otte. „Es ist ein sehr ländliches und sehr strukturarmes Gebiet.“
Im Bundestag möchte sie deshalb dazu beitragen, dass es Landstrichen wie ihrer Heimat besser gehe. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Wohnen Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen. „Ich möchte mich für eine starke Unterstützung der Kommunen aus dem Bund heraus einsetzen“, so Karo Otte.
Stadt, Land, Berlin
Der Kontrast zwischen ihrer Heimat und Berlin sei stark, erzählt sie außerdem. In Berlin habe sie relativ zentral eine Wohnung und gehe in Sitzungswochen auch abends nochmal raus, wenn es die Zeit zulasse. „Im Friedrichshain ist nachts ja immer was los“, das gebe es bei ihr auf dem Dorf nicht. Schön finde sie beides. Braunschweig liege irgendwo zwischen den beiden Extremen.
Gesetze im Reality-Check
Ich frage mich, was sie meint, wenn sie sagt, dass sie die Kommunen stärken will. Ich erinnere mich: Kommunen, das sind die Gemeinden, Städte und Landkreise. In vielen Fällen ist das die Ebene, auf der politische Entscheidungen ausgeführt werden. Wir bekommen davon meistens gar nicht so viel mit, aber die Kommunen sind die Schul- und Bildungsträger. Sie sind verantwortlich für den öffentlichen Personenverkehr, regeln die Straßenbeleuchtung und gerade jetzt, im Hinblick auf die Versorgungsknappheit, haben viele Stadtwerke die Verantwortung für die Gasversorgung. Die Kommunen sind erstmal dafür da, die Daseinsversorgung zu sichern. Und sie setzen Gesetze um, die auf Bundesebene beschlossen wurden.
„Mir als Bundespolitikerin ist vor allem wichtig, dass wir uns folgende Fragen stellen: Wie sehen die Gesetze, die wir im Bundestag beschließen, aus, wenn sie bei den Menschen ankommen?“, erklärt Karo Otte. Denn da hapere es oft noch, weil nicht mitgedacht und nicht berücksichtigt werde, dass den Kommunen oft das Geld fehle. „Da sind noch dicke Bretter zu bohren.“
Große Herausforderung: Mobilität
Ich frage nach den Herausforderungen, die ihr in ihrem Alltag begegnen: „Ein ganz großes Thema bei uns ist Mobilität.“ Viele seien noch auf das Auto angewiesen. Das 9-Euro-Ticket habe Entlastung gebracht. Zwar komme der Bus nur zweimal am Tag, aber wenigstens hätten die Menschen dieses Angebot nutzen können, ohne sich Sorgen machen zu müssen, ob sie sich die Fahrt in die Stadt leisten können. In ihrem Wahlkreis seien viele dankbar für das Angebot gewesen. „Ich habe ganz viel gehört, dass Menschen das erste Mal so richtig ihren Ort für etwas anderes als den Arztbesuch verlassen haben.“ Normalerweise könnten viele sich das nämlich nicht leisten.
Vertrauensvorschuss als „MdB“
Gutes Leben für alle schaffen – das möchte Karo Otte erreichen. Auch in ihrer Region. Dafür möchte sie mit Menschen ins Gespräch kommen, aber das sei gar nicht so leicht, sowohl vor Ort als auch im Bundestag. „Als junge Frau in der Politik wird meine Kompetenz oft in Frage gestellt“, berichtet sie. Immerhin: „Außerhalb des Bundestages bekomme ich jetzt einen deutlichen Vertrauensvorschuss, nur weil eben ‚MdB‘ vor meinem Namen steht.“ Und so hätten sich auch einige der Gespräche mit den Menschen verändert. „Manche begegnen einem erst jetzt wirklich auf Augenhöhe, andere freuen sich, ein ihnen bekanntes Gesicht im Parlament zu sehen.“ Manchmal allerdings begegneten die Leute ihr auch mit einer gewissen Ehrfurcht vor dem Amt und trauten sich nun gar nicht mehr, mit ihr zu sprechen. Das sei mehr als befremdlich: „Ich versuche immer ein sehr niedrigschwelliges Angebot zu schaffen.“
Kraftreserven managen
„Und der Stress, wie geht man damit um?“, frage ich. Sie nickt, als Abgeordnete gerate man in dem ganzen Trubel schnell mal in Stress. Auch weil man sich mit anderen Abgeordneten vergleiche: „Dann sieht man auf Instagram, wie viele Termine die anderen wahrnehmen.“ Aber Kraftreserven einteilen, das helfe ihr bei der Stressbewältigung. Und ihr zweijähriges Kind habe auch seine Bedürfnisse, auch deshalb müsse sie es ab und zu auch mal gut sein lassen.
Zur Person
Karoline Otte wurde 1996 in Göttingen geboren. Nach dem Abitur machte sie ein duales Studium zur Verwaltungsbetriebswirtin. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst beim Landkreis Göttingen. Bei der Grünen Jugend ist Otte seit mehr als 10 Jahren aktiv. Bei der Bundestagswahl 2021 zog sie über die Landesliste in den Bundestag ein. Otte ist Obfrau im Ausschuss für Tourismus und Mitglied im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen. Mehr erfahrt ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de.
Kolja Richter
ist Schüler in Berlin und hat für mitmischen unter anderem schon viele Abgeordnete per Video interviewt.