Karsten Hilse (AfD) „Es gilt die Macht des Stärkeren“
Hanna Kazmirowski
Wer eine schöne Stadt sehen wolle, müsse nach Bautzen kommen, sagt Karsten Hilse von der AfD-Fraktion. Beim Treffen am Geierswalder See erzählt er, weshalb er sich als Umweltschützer sieht, aber Klimaschutz ablehnt.
Dunkelblau glitzert der Geierswalder See in der drückenden Mittagssonne. In der Ferne sieht man vereinzelt weiße Boote fahren, aber die meisten liegen ruhig am Steg. Es ist Ende Juni, die Sommerferien haben in Sachsen noch nicht begonnen, deshalb ist an diesem künstlich angelegten Badesee bei Hoyerswerda noch nicht viel los. Bald werden hier viele Leute zum Zelten, Baden oder Surfen kommen. Neben einem Restaurant ragt ein dicker rot-weiß gestreifter Leuchtturm auf. Es sieht fast aus wie am Meer. Hier bin ich mit Karsten Hilse verabredet, dem Bundestagsabgeordneten der AfD für den Wahlkreis 156, Bautzen I. Den Wahlkreis gibt es seit der Bundestagswahl 2009. Mehr als 206.000 Menschen sind hier wahlberechtigt und die Wahlbeteiligung lag bei der letzten Bundestagswahl bei 77 Prozent. Stärkste Kraft war bei den Erst- und Zweitstimmen die AfD.
Bautzen – ein ländlich geprägter Wahlkreis
Im Sommer gehe die Sonne genau zwischen den Booten über dem Wasser unter, erzählt Karsten Hilse mir. „Der Flair ist so schön, ich komme hier gerne zum Entspannen hin.“ Er mache deshalb einfach dort Urlaub, erklärt er. In der Lausitz, so heißt die Region, gibt es viele Seen dieser Art. Bevor die riesigen Löcher zu Naherholungsgebieten umgestaltet wurden, wurde dort Braunkohle abgebaut. Der Abgeordnete möchte mir mit diesem See zeigen, dass Braunkohleförderung nur ein temporärer Eingriff in die Natur ist. „Klar, man muss erst mal die Erde aufbuddeln“, sagt er. Aber nach einer Generation entstehe dann so eine Landschaft, „ein Urlaubsparadies“. Und das bringe auch Geld in die Region, denn dort gebe es Ferienhäuser, Strände, Bars und Surfschulen.
„Kinder auf dem Land haben mehr Pflichten“
Wir sitzen unter roten Sonnenschirmen auf der Terrasse des Restaurants, in dem Karsten Hilse Stammgast ist. Da er schon immer in der Gegend gewohnt habe, kenne er seinen Wahlkreis sehr gut: Die Menschen seien bodenständig, gastfreundlich und konservativ. „Die Leute wollen es hier so erhalten, wie sie es kennen.“ Das würden auch schon die jungen Menschen mitbekommen: Kinder auf dem Land hätten mehr Pflichten und würden von Kindheit an dazu erzogen werden, ihr Umfeld in Ordnung zu halten, erklärt Hilse. Deshalb wollten viele auch ihre Traditionen und Sprache behalten.
Gerade die Tradition der Sorben werde hochgehalten, so Hilse. Die Sorben sind eine nationale Minderheit, die in der Lausitz zu Hause ist. Sie sind ein westslawisches Volk. Ihre Traditionen würden sogar von Menschen, die selbst keine Sorben seien, hochgehalten, so Hilse.
Aktive Junge Alternative
Hilse erzählt, dass die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, in Bautzen sehr aktiv sei. Jeden Montag sei sie mit einem Infostand präsent. Hilse werde manchmal zu Podiumsdiskussionen in Gymnasien eingeladen, erzählt er. Kindern und Jugendlichen will er mitgeben, dass sie sich auf verschiedenen Kanälen informieren sollen. „Ich will niemanden missionieren, ich gebe nur alternative Fakten“, sagt er. Welche Alternativen es zu Fakten gibt, lässt er offen und fügt hinzu: Jeder solle sich mit seinem gesunden Menschenverstand ein eigenes Bild machen.
„Der größte Einfluss auf das Klima ist die Sonne“
Im Bundestag ist Karsten Hilse klimapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der AfD. Mit dem Wort Klimaschutz könne er aber nichts anfangen, sagt er und ergänzt, dass er als Hobbyastronom viel über die Erdgeschichte gelesen habe. Zwar beeinflusse der Mensch das Erdklima etwas, aber nicht über CO2-Emissionen. „Den größten Einfluss hat die Sonne,“ sagt er. Wenn man das Klima schützen wolle, müsse man über einen langen Zeitraum das Wetter schützen, sagt Hilse. Damit meint er, dass man das Wetter beeinflussen müsse. Was er sich genau darunter vorstellt, wird mir nicht ganz klar. Er sei eigentlich „der Umweltschützer vor dem Herrn“, fährt er fort. Denn er habe eine Solarthermieanlage, eine Wiese statt einem Rasen zu Hause und fange sein Regenwasser auf.
Braunkohle jetzt, Kernkraft in Zukunft
Von erneuerbaren Energien hält der 59-Jährige nicht viel. Er ist der Meinung, Windkraft- und Solaranlagen verbrauchten zu viel Material und Fläche. Zudem würden sie sich nach wenigen Jahrzehnten nicht mehr lohnen, weil der Staat sie dann nicht länger subventioniere.
Ich möchte von Karsten Hilse wissen, welche Energiequelle er stattdessen vorschlägt, wenn fossile Brennstoffe wie Kohle in maximal 100 Jahren voraussichtlich aufgebraucht sein werden. „Kernenergie ist die Zukunft“, ist er sich sicher. Genauer gesagt plädiert er für Flüssigsalzreaktoren, denn deren Atommüll soll nach bereits 300 Jahren ungefährlich sein. In China würden die Reaktoren bereits getestet.
Klimafolgenanpassung statt Klimaschutz
„Wir sollten aufhören, so viel Geld für sinnlose Klimaschutzmaßnahmen zu verschwenden, dass wir kein Geld mehr haben, um uns an die Klimaveränderung anzupassen“, sagt er. Wie diese Anpassung aussehen könnte, weiß Hilse auch: Wenn es künftig etwa zu wenig regne, könne man beispielsweise anfangen, Meerwasser zu entsalzen, sagt er. Das verbrauche zwar enorm viel Energie, aber man würde sich so nicht mehr nur auf Mutter Natur verlassen. Und bei Hitzewellen sei es wichtig, dass sich insbesondere alte Menschen in gekühlte Räume zurückziehen könnten.
Vom Polizisten zum Politiker
Karsten Hilse wurde 2017 in den Bundestag gewählt, bis dahin war er Polizist. Der Beruf bringe einen dazu, pragmatisch zu denken und mit Leuten in Kontakt zu treten, die sonst nicht Teil des eigenen sozialen Umfelds seien. „Ich bin dort sehr oft auf Familien gestoßen, die jeden Cent umdrehen“, erzählt er. „Wenn ich dann nach Hause kam, habe ich gemerkt, mir geht’s richtig gut.“ Im Bundestag will der AfD-Politiker den Menschen eine Stimme geben. Deshalb lasse er manchmal deren Beschwerden und Sorgen in seine Reden miteinfließen, auch wenn sie provokant und überspitzt seien.
22 Wochen im Jahr arbeitet Karsten Hilse in Berlin. Wenn er nicht gerade auf Dienstreise in anderen Bundesländern ist, verbringt er den Rest der Zeit in seinem Wahlkreis. Ich frage ihn, wo er lieber sei, in Berlin oder Bautzen. „Man ist natürlich lieber bei Menschen, die einen mögen“, antwortet er und meint seine Heimat. „Wenn man das Direktmandat holt, hat man gleich ein anderes Gefühl: Ich weiß, dass ich die Wähler in Bautzen im Rücken habe.“ Im Bundestag hingegen sei ein großer Teil der Menschen anders als er. Bei den Grünen und Sozialdemokraten stoße er auf taube Ohren, sagt Hilse. Nur mit einigen Kollegen aus der CDU verstehe er sich ganz gut.
„Politik wird im Parlament gemacht“
Trotzdem sei die politische Arbeit in der Hauptstadt wichtig. Das hat der ehemalige Streifenpolizist schon vor seiner Zeit als Politiker erkannt: „Ich bin früher dem Irrglauben verfallen, dass man nur alle vier Jahre zur Wahl gehen braucht und dann machen die anderen das schon.“ Von den Großdemonstrationen 2014 und 2015 bei Pegida sei er begeistert gewesen, aber irgendwann zu der Erkenntnis gekommen, dass Politik in den Parlamenten gemacht werde. Als es dann die AfD gab, habe Karsten Hilse in ihrem Parteiprogramm das wiedergefunden, was ihm damals bei der CDU fehlte.
2016 ist er der AfD beigetreten. Dass er innerhalb der Partei so schnell aufsteigen würde, habe er aber nicht erwartet. „Ich dachte, ich werde ein normales Parteimitglied und gehe an die Infostände“, so Hilse. Aber er sei sofort sehr aktiv gewesen und so hätten ihm die Leute Vertrauen zugesprochen.
Zu kurze Fristen sind „ein Skandal“
Weil Karsten Hilse aus einem Braunkohlegebiet stamme, sei er in den Ausschuss für Klima und Energie gewählt worden, erklärt er. „Ich beschäftige mich privat schon seit 15 Jahren mit Klima und Energie, weil ich sehr physikaffin bin“, erklärt Hilse. Er spiele auch gern Volleyball, aber dafür habe er mittlerweile keine Zeit mehr.
Der Abgeordnete sei mit der Erwartung nach Berlin gekommen, dass man sich in den Ausschüssen näherkommen und an den Gesetzestexten noch etwas ändern könne. In der jetzigen Regierung gelte aber „die Macht des Stärkeren“, sagt er. Gesetzesvorlagen mit mehr als 200 Seiten würden manchmal erst zwei Tage vorher zur Verfügung gestellt. So habe man keine Chance, sich rechtzeitig einzuarbeiten. „Das ist ein Skandal“, kritisiert Hilse. In der Opposition will er seine Rechte wahrnehmen und kritische Nachfragen stellen können. Das mache eine Demokratie schließlich aus.
Keine Sommerpause geplant
Irgendwann neigt unser Gespräch sich dem Ende zu. Zwei Stunden haben wir geredet und diskutiert. Die Terrasse ist mittlerweile gut gefüllt, der junge Kellner kommt längst nicht mehr nur an unseren Tisch, um Wasser nachzuschenken. Für heute hat Karsten Hilse keine weiteren Termine mehr. Sommerpause macht er trotzdem nicht. Er fährt zu Fraktionssitzungen und Vorträgen und möchte jeden Bürgermeister seines Wahlkreises persönlich treffen. „57 insgesamt“, sagt er.
Karsten Hilse
Karsten Hilse wurde 1964 in Hoyerswerda geboren. Nach der Schule wurde er Elektromonteur und später Polizist. Von 1986 bis 1990 war Hilse bei der Deutschen Volkspolizei in der DDR. Ab 1990 war er Polizeibeamter bei der Landespolizei Sachsen. Seit 2016 ist Hilse Mitglied AfD, seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Hilse ist Obmann im Ausschuss für Klimaschutz und Energie.
Mehr Informationen findet ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.
Hanna Kazmirowski
Hanna Kazmirowski studiert Interkulturelle Europa- und Amerikastudien in Halle und Paris und hat ein Faible für Französisch und Englisch. Wenn sie mal keine Texte schreibt, Podcasts hört oder mit Leuten spricht, macht sie gerne Sport, Fotos oder Musik. Sie freut sich über alle kleinen und großen Dinge, die sie in der Welt und im Alltag neu entdeckt und lernt.