Vertrauensfrage, konstruktives Misstrauensvotum, Neuwahlen Alle Wege führen zu Neuwahlen – oder?
Was ist der Unterschied zwischen Vertrauensfrage und konstruktivem Misstrauensvotum? Wie oft wurde die Vertrauensfrage in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland schon gestellt? Und sind immer Neuwahlen das Ziel?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat angekündigt, dass er am Mittwoch, den 11. Dezember 2024, den Antrag stellen wird, dass ihm der Bundestag das Vertrauen aussprechen möge. Am Montag, den 16. Dezember, sollen die Bundestagsabgeordneten dann über die sogenannte Vertrauensfrage abstimmen. Erwartbar ist, dass die Mehrheit der Abgeordneten dem Kanzler das Vertrauen verweigern wird. Tritt dieser Fall ein, wird Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier „auf Vorschlag des Bundeskanzlers“ innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen.
Warum stellt der Bundeskanzler die Vertrauensfrage?
Es kann verschiedene Gründe geben, warum sich ein Bundeskanzler dazu entscheidet, die Vertrauensfrage zu stellen. Es kann sein, dass die Regierung die Mehrheit verloren hat oder sich das Parlament an einem umstrittenen politischen Vorhaben aufreibt. In diesem Fall kann die Vertrauensfrage auch mit einer konkreten Gesetzesvorlage verbunden werden. Olaf Scholz will nach dem Bruch der Ampelkoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP die Vertrauensfrage stellen, um Neuwahlen zu ermöglichen. Zum aktuellen Zeitpunkt kann sich die Regierung im Parlament nur auf die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen stützen und hat damit nur eine parlamentarische Minderheit hinter sich. Für die Umsetzung ihrer politischen Vorhaben wäre sie also auf die Unterstützung von Oppositionsfraktionen angewiesen. Damit sich eine neue Regierung bilden kann, die eine Mehrheit im Bundestag hat, muss neu gewählt werden. Damit das früher als im September 2025 passieren kann, muss der aktuelle Bundestag aufgelöst werden.
Da das Grundgesetz kein Selbstauflösungsrecht des Bundestages vorsieht, war bei früheren Vertrauensfragen umstritten, ob diese darauf abzielen dürfen, den Bundestag aufzulösen. Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Organstreitverfahren entschieden, dass eine „auflösungsgerichtete“ Vertrauensfrage zulässig ist, wenn sie dazu dient, eine ausreichend parlamentarisch verankerte Bundesregierung wiederherzustellen. Das sei der Fall, wenn die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers so beeinträchtigten oder lähmten, dass er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll verfolgen könne.
Laut Bundesverfassungsgericht muss der Bundespräsident zunächst prüfen, ob das Vorgehen des Bundeskanzlers verfassungsgemäß war und dabei dessen weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum respektieren. Eine auf die Auflösung des Parlaments gerichtete Vertrauensfrage sei „zweifelsfrei“ gegeben, wenn der Kanzler zuvor seine Mehrheit im Bundestag verloren habe, etwa durch den Fraktionswechsel von Abgeordneten oder durch das Auseinanderbrechen der Regierungskoalition.
Vertrauen Sie mir?
Fünfmal ist in der Geschichte der Bundesrepublik die Vertrauensfrage gestellt worden. In drei Fällen (Willy Brand 1972, Helmut Kohl 1982 und Gerhard Schröder 2005) wurde dem jeweiligen Bundeskanzler das Vertrauen versagt und der Bundestag aufgelöst. In zwei Fällen (Helmut Schmidt 1982 und Gerhard Schröder 2001) sprach eine Mehrheit im Bundestag dem Kanzler das Vertrauen aus, sodass er weiterregieren konnte.
Es liegt im Ermessen des Bundeskanzlers, ob und wann er die Vertrauensfrage stellt und ob er sie mit einer politischen Sachfrage verbindet. Auch wenn der Antrag des Bundeskanzlers im Bundestag keine Mehrheit findet, er die Vertrauensfrage also „verliert“, sieht das Grundgesetz nicht automatisch vor, dass es zu Neuwahlen kommt.
Wenn der Bundestag dem Bundeskanzler nicht das Vertrauen ausspricht, kann dieser dem Bundespräsidenten vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. Weitere Optionen wären, vom Amt des Bundeskanzlers zurückzutreten oder als „Minderheitsregierung“ weiterzumachen. Schlägt der Kanzler die Auflösung des Bundestages vor, kann der Bundespräsident innerhalb von drei Wochen nach der Abstimmung über die Vertrauensfrage die Auflösung anordnen. Das Recht, den Bundestag aufzulösen, erlischt, wenn die Abgeordneten mit Mehrheit einen neuen Bundeskanzler wählen.
Ordnet der Bundespräsident die Auflösung an, bedeutet dies nicht, dass der Bundestag nicht mehr besteht. Es bedeutet nur, dass die Wahlperiode vorzeitig endet und es zu einer vorgezogenen Neuwahl kommt. Der „alte“ Bundestag bleibt mit all seinen Rechten und Pflichten bestehen, bis der neue Bundestag zusammentritt. Eine „parlamentslose Zeit“ gibt es also nicht.
Der Bundestag kann weiterhin Gesetze beschließen und auch seine Gremien, wie etwa Untersuchungsausschüsse, bestehen bis zum Ende der Wahlperiode fort. Auch die Regierungsmitglieder bleiben bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages im Amt. Auf „Ersuchen“ des Bundespräsidenten führen sie die Geschäfte anschließend bis zur Ernennung ihrer Nachfolger weiter.
Welche Optionen gäbe es noch?
Das Parlament kann selbst, wenn kein Vertrauen in den Bundeskanzler besteht, handeln. Mit dem konstruktiven Misstrauensvotum ist es den Abgeordneten möglich, den amtierenden Bundeskanzler abzuwählen und einen neuen Regierungschef zu berufen – daher auch die Bezeichnung „konstruktiv“. Damit dies geschehen kann, muss, wenn die Mehrheit der Parlamentarier dem Bundeskanzler das Misstrauen ausgesprochen hat, mindestens ein Viertel der Abgeordneten des Deutschen Bundestages den Bundespräsidenten um die Entlassung des Bundeskanzlers und die Ernennung eines Nachfolgers bitten. Der Bundespräsident ist verpflichtet, diesem Ersuch nachzukommen. Zwischen dem Antrag und der Wahl des vorgeschlagenen neuen Regierungschefs müssen 48 Stunden liegen. Scheitert das Parlament an der Abwahl des amtierenden Kanzlers, bleiben dieser und seine Regierung weiterhin im Amt.
Vorgezogene Neuwahl: Was hier anders läuft
Bei der Anordnung von Neuwahlen legt der Bundespräsident den Wahlsonntag innerhalb der vorgegebenen Frist von 60 Tagen fest. Die meisten der im Bundeswahlgesetz vorgesehenen Fristen können bei einer vorgezogenen Neuwahl nicht eingehalten werden. Dazu gehören die Fristen zur Anzeige der Beteiligung an der Wahl und zur Errichtung von Kreiswahlvorschlägen und Landeslisten. Das Bundesinnenministerium ist deshalb ermächtigt, die im Bundeswahlgesetz und in der Bundeswahlordnung festgelegten Fristen und Termine durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates abzukürzen. Nach der letzten Vertrauensfrage 2005 wurden die meisten Fristen ungefähr halbiert.