Expertin zu China „Die EU muss neue Antworten finden“
Lara Schwalb
Nach innen zunehmend autoritär, nach außen durchsetzungsfähiger, so beschreibt Lucrezia Poggetti China. Die Expertin vom „Mercator Institute for China Studies“ erklärt das mächtigste Land Asiens.
Wenn Sie drei Adjektive wählen müssten, um China zu beschreiben, welches wären das?
Wenn wir über China sprechen, müssen wir zwischen dem chinesischen Parteistaat und China als Land unterscheiden. Zum Parteistaat fallen mir zwei Adjektive ein: Nach innen zunehmend autoritär und nach außen durchsetzungsfähiger. Der chinesische Parteistaat hat in den letzten Jahren sichtbare Schritte unternommen, um die Kontrolle im Land zu verschärfen und seine Interessen in den internationalen Beziehungen durchzusetzen. Ein Beispiel dafür ist die Verabschiedung neuer, strenger Gesetze. Sie sollen der nationalen Sicherheit dienen und die Verbreitung von Ideen verhindern, die die Kommunistische Partei Chinas als Bedrohung ihrer Herrschaft ansieht. In Hongkong hat zum Beispiel das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz dazu geführt, dass bekannte Demonstranten verhaftet wurden.
Was das Land China selbst betrifft, so würde ich das Adjektiv dynamisch verwenden. Es beschreibt ein Land, das unglaublich schnell gewachsen ist und eine unglaublich reiche Kultur hat.
China und die EU-Länder haben unterschiedliche politische Systeme und Werte. Welche Werte sind das?
Eine Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, ist ein Blick auf das sogenannte Dokument Nr. 9. Das ist ein internes Dokument der herrschenden Kommunistischen Partei Chinas, das 2013 bekannt wurde. Es gibt einen Einblick in das ideologische Verständnis der Partei. So wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass China die westliche Verfassungsdemokratie, die unter anderem auf Gewaltenteilung und einer unabhängigen Justiz beruht, als Bedrohung betrachtet. Die Partei sieht auch die Förderung universeller Werte wie Menschenrechte und Freiheiten als Versuche an, ihre Macht zu untergraben. Dasselbe gilt für wirtschaftliche Liberalisierung, die Pressefreiheit und die Rolle der Zivilgesellschaft.
Bleiben wir beim Thema Menschenrechte: Die chinesische Regierung unterdrückt zum Beispiel Minderheiten wie die Uiguren oder hindert Menschen in Hongkong daran, zu demonstrieren. Was ist eine angemessene Reaktion der EU darauf?
Die EU hat sich bisher vor allem auf die Arbeit vor Ort in China, einen Menschenrechtsdialog mit Peking und symbolische Erklärungen verlassen, um Menschenrechte zu fördern. Dies hat manchmal zur Freilassung von Menschenrechtsanwälten und -verteidigern geführt.
Doch es gab in den letzten Jahren Ereignisse, die deutlich gemacht haben, dass die EU neue Antworten finden muss. Zum Beispiel Enthüllungen zum Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang oder der Umgang mit den Demonstrationen in Hongkong, gegen die die Kommunistische Partei mit aller Härte vorgegangen ist. Deshalb hat die EU die Schaffung eines globalen Systems von Menschenrechtssanktionen vorgeschlagen, um gegen die Urheber von Menschenrechtsverletzungen vorzugehen.
Sie ist auch dabei, ihre Gesetze zur Kontrolle von Exporten zu überarbeiten. Damit soll sichergestellt werden, dass europäische Unternehmen keine Technologie außerhalb der EU verkaufen, die zur Überwachung und Spionage durch autoritäre Regime genutzt werden kann.
China ist ein wichtiger Handelspartner für die EU und auch für Deutschland, wie wir jetzt in der Coronakrise sehen, wenn es zum Beispiel um die Produktion von Masken geht. Wie beeinflussen diese wirtschaftlichen Abhängigkeiten die Kritik an China?
Die Wahrnehmung, dass Europa, und insbesondere Deutschland, von China abhängig ist, hat dazu geführt, dass die EU-Länder sehr zurückhaltend in ihrer Kritik an China geworden sind. Im Falle Deutschlands sind es einige wenige Sektoren, die übermäßig von der chinesischen Wirtschaft abhängen, etwa die deutsche Automobilindustrie.
Doch die Abhängigkeit verläuft in beide Richtungen: Die EU ist Chinas größter Handelspartner. Das gibt ihr die Möglichkeit, diese Wirtschaftsmacht in den Beziehungen mit Peking einzusetzen, um die eigenen Interessen zu fördern. Gleichzeitig hat die Pandemie gezeigt, dass Europa bei bestimmten Materialien, wie Gesichtsmasken und wichtiger medizinischer Ausrüstung, von China abhängig ist. Dadurch hat man erkannt, dass es wichtig ist, mit verschiedenen Partnern zu handeln. So kann man vermeiden, von autoritären Staaten wie China abhängig zu sein.
1975 nahm die EU ihre Beziehungen zu China auf. Wie werden die politischen Beziehungen zu China in Zukunft aussehen?
Seit Beginn der Beziehungen zwischen der EU und China drehten sich die Themen vor allem um Handel und Investitionen. Die EU und ihre Mitglieder haben jedoch in den letzten Jahren erkannt, dass China nicht nur als ein wichtiger wirtschaftlicher Akteur betrachtet werden kann, sondern ein aufstrebender Akteur in Geopolitik und Sicherheitsfragen ist. Dazu hat die EU im März 2019 ein Strategiepapier veröffentlicht, in dem China gleichsam als Partner, wirtschaftlicher Wettbewerber und Systemrivale, der für ein autoritäres Regierungssystem wirbt, beschrieben wird.
Auf der einen Seite scheint Europa erkannt zu haben, dass es sich stärker behaupten muss, wenn seine Werte und Interessen von China in Frage gestellt werden. Andererseits ist man sich bewusst, dass Europa und China in globalen Fragen, wie der Eindämmung des Klimawandels, zusammenarbeiten müssen. Und auch der Dialog über Themen wie Standards und Normen für neue Technologien spielt in Zukunft eine Rolle. Diese Einsichten ergänzen die Beziehungen zwischen China und Europa, die auf politischem, wirtschaftlichem und zwischenmenschlichem Austausch fußen.
Über die Expertin
Lucrezia Poggetti ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am „Mercator Institute for China Studies“. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung vor allem mit den EU-China-Beziehungen, insbesondere mit Public Diplomacy, politischem Marketing und Desinformationsaktivitäten in Europa. Vor ihrem Einstieg bei MERICS war sie in der Delegation der Europäischen Union in China tätig. Sie machte ihren Masterabschluss in Sinologie an der „School of Oriental and African Studies“ in London und studierte Mandarin in Mailand, Peking, Hangzhou und London.
Lara Schwalb
ist 20, lebt in Freiburg in Baden-Württemberg und studiert dort Politikwissenschaften und VWL.