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Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform 2023 Ein „Ja, aber“ aus Karlsruhe

Aktuell sitzen 734 Abgeordnete im Deutschen Bundestag – so viele, wie noch nie. Einigkeit besteht darin, dass das Parlament kleiner werden muss. Aber über den Weg wird gestritten. Die von der Regierungskoalition 2023 vorgeschlagene Wahlrechtsreform wurde vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Danach gab es Klagen dagegen. Nun liegt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vor: Die Wahlrechtsreform ist überwiegend verfassungskonform.

Blick auf einen Gerichtssaal. Acht Personen in roten Roben und weißen Halstüchern stehen hinter der Richterbank und verkünden ein Urteil. Die restlichen Personen im Saal haben sich von ihren Plätzen erhoben.

Doris König, die Vorsitzende des Zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht, verkündet das Urteil über die Wahlrechtsreform der Regierungskoalition aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. © picture alliance/dpa | Uli Deck

Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag, den 30. Juli 2024, entschieden, dass das mit der Wahlrechtsreform 2023 eingeführte Zweitstimmendeckungsverfahren im Bundeswahlgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das verkündete der Zweite Senat unter Vorsitz von Prof. Dr. Doris König in seinem Urteil. Allerdings verstoße die Fünf-Prozent-Sperrklausel des Bundeswahlgesetzes derzeit gegen das Grundgesetz. Wir erklären, was das heißt:

Was ist das Zweitstimmendeckungsverfahren?

Jeder Wähler und jede Wählerin hat eine Erststimme für die Wahl eines Wahlkreiskandidaten und eine Zweitstimme für die Wahl der Landesliste einer Partei. Zunächst, so sieht es die Wahlrechtsreform vor, werden die künftig 630 Bundestagssitze auf die Parteien und ihre Landeslisten verteilt: Jede Partei erhält die ihr nach dem bundesweiten Zweitstimmenergebnis zustehende Sitzzahl. Diese Sitze werden dann auf die Landeslisten der jeweiligen Partei anhand ihrer jeweiligen Anteile an dem bundesweiten Zweitstimmenergebnis verteilt.

Danach rücken die Wahlkreisbewerber mit den meisten Erststimmen ihres Wahlkreises in der Rangfolge ihrer Stimmanteile an die Spitze der Landesliste ihrer Partei und werden bei der Vergabe der Bundestagssitze zuerst berücksichtigt. Übersteigt die Zahl der einer Landesliste nach dem Zweitstimmenergebnis zustehenden Sitze die Zahl ihrer erfolgreichen Wahlkreisbewerber, werden die übrigen Sitze an Listenbewerber vergeben. Übersteigt die Zahl der erfolgreichen Wahlkreisbewerber einer Landesliste die Zahl ihrer nach Zweitstimmen gedeckten Sitze, so erhalten die Wahlkreisbewerber mit den geringsten Erststimmenanteilen keinen Sitz zugeteilt – es ist also eine Zweitstimmendeckung notwendig.

Das Zweitstimmendeckungsverfahren wurde mit dem Ziel eingeführt, den Bundestag zu verkleinern und die früher üblichen Überhangmandate zu vermeiden. Diese entstanden, wenn eine Partei in einem Land mehr Direktmandate errang, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustanden. Um bundesweit das Zweitstimmenergebnis bei der Mandatsverteilung abzubilden, mussten Ausgleichsmandate geschaffen werden, was die Zahl der Mandate weiter vergrößerte und nach der Bundestagswahl 2021 zu 736 Abgeordneten im Bundestag führte.

Was hat das Bundesverfassungsgericht noch entschieden?

Das Karlsruher Gericht hat einige Teile der Wahlrechtsreform 2023 als Verstoß gegen das Grundgesetz bewertet. So unter andrem auch die Fünf-Prozent-Sperrklausel, die im Bundeswahlgesetz festgeschrieben ist. Bis zu einer Neuregelung der Reform gilt die Sperrklausel folgendermaßen: Parteien, die bei der Sitzverteilung weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten, werden nur dann nicht berücksichtigt, wenn ihre Bewerber in weniger als drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen auf sich vereinigt haben. Diese Maßgabe orientiert sich an der sogenannten Grundmandatsklausel.

Die Grundmandatsklausel

Aufgrund der Fünf-Prozent-Hürde bleiben Parteien, die weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen im Wahlgebiet erreicht haben, bei der Sitzverteilung grundsätzlich unberücksichtigt. Eine Ausnahme besteht jedoch aufgrund der sogenannten Grundmandatsklausel: Demnach zieht eine Partei, die weniger als fünf Prozent der Stimmen auf sich vereint, dennoch in den Bundestag ein, wenn sie mindestens drei Direktmandate (Grundmandate) erringt. In diesem Fall wird sie bei der Sitzverteilung entsprechend dem Verhältnis der Zweitstimmen berücksichtigt. Das war beispielsweise bei der Bundestagswahl 2021 bei der Partei Die Linke der Fall. In der Wahlrechtsreform 2023 hat der Bundestag beschlossen, die Grundmandatsklausel abzuschaffen.

Bas: Gericht hat für Rechtssicherheit gesorgt

Für Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat das Gericht im zentralen Punkt der Wahlrechtsreform für „die nötige Klarheit und Rechtssicherheit“ gesorgt. Dass ein Wahlkreissieger künftig nicht mehr automatisch in den Bundestag einzieht, sei als verfassungsrechtlich zulässig erachtet worden. Außerdem sei das Beratungsverfahren im Bundestag nicht beanstandet worden. 

„Damit ist die Zahl der Abgeordneten künftig eindeutig auf 630 begrenzt. Das ist auch ein wichtiges Signal an die Wählerinnen und Wähler“, betonte die Bundestagspräsidentin. Es werde kein unkontrolliertes Anwachsen des Deutschen Bundestages mehr geben: „Das begrüße ich als Bundestagspräsidentin, weil dies Planungssicherheit schafft, Kosten begrenzt und die Arbeitsfähigkeit des Bundestages stärkt.“ 

Angesichts der vom Gericht monierten Fünf-Prozent-Sperrklausel in ihrer jetzigen Form gelte es nun, das Urteil in Ruhe abzuwarten, so Bas. Mit Blick auf die nächste Bundestagswahl sei wichtig: „Das neue Wahlrecht funktioniert. Mit dem Urteil haben wir die nötige Rechtssicherheit.“

Hier findest du die Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zum Urteil zur Wahlrechtsreform 2023.

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