Lebensverhältnisse „Stadt und Land nicht gegeneinander ausspielen“
Überall in Deutschland soll man gut leben können. Um das sicherzustellen, wollte die Union einen Parlamentarischen Beirat für gleichwertige Lebensverhältnisse einsetzen. Der Antrag wurde im Bundestag abgelehnt. André Berghegger erklärt, wie er sich trotzdem weiter für das Thema stark machen will.
Was bedeutet das genau: gleichwertige Lebensverhältnisse – und warum ist es wichtig, dass es sie gibt?
Jeder Mensch, der in Deutschland lebt, und zwar egal, wo genau, soll dort gut leben können. Das verbirgt sich hinter dem Stichwort.
Das durchzieht alle Lebensbereiche. Für Jugendliche zum Beispiel fängt das an mit der Schullandschaft: Ich muss überall in Deutschland eine angemessene Schulausbildung bekommen. Dann geht es weiter mit Kultur- und Freizeitangeboten – bis hin zur Gesundheitsversorgung.
In all diesen Bereichen muss der Staat für gleichwertige Rahmenbedingungen sorgen, auf dem Land genauso wie in den großen Städten. Damit jeder nach seiner persönlichen Neigung entscheiden kann: Will ich den Trubel einer Großstadt, in der nahezu alles schnell erreichbar ist, oder den ländlichen Bereich mit weiteren Wegen, dafür aber mit schöner Landschaft, Ruhe und Entspannung? Man darf beides nicht gegeneinander ausspielen oder sagen: Das eine ist besser als das andere.
Ein Jugendlicher, der auf dem Dorf lebt, hat natürlich nicht die gleichen Bildungs- und Freizeitangebote wie jemand in der Großstadt. Wie kann man das ausgleichen?
Wir reden über gleichwertige Lebensverhältnisse – nicht über gleiche. Das ist ein wichtiger Unterschied. Es geht um eine Art Grundversorgung, die überall da sein muss.
Natürlich hat ein Jugendlicher auf dem Dorf nicht so eine große Auswahl an Schulen und Freizeitangeboten wie einer in Berlin. Aber dann muss dort zumindest zu den passenden Zeiten ein Bus zum nächsten Oberzentrum fahren. Man muss die Mobilität so anpassen, dass jeder Zugang zu entsprechenden Angeboten hat. Dafür ist gerade in ländlichen Räumen auch das Auto wesentliche Grundlage gleichwertiger Lebensbedingungen.
Steckt dahinter auch der Wunsch, zu verhindern, dass alle Menschen, vor allem junge, nur in die Großstädte wollen?
Auf jeden Fall. Eine Gesellschaft, in der alle Leute, insbesondere alle jüngeren, in die Großstädte wollen, funktioniert doch nicht. Dann stellt sich zum Beispiel auch die rein praktische Frage, was mit der Infrastruktur im ländlichen Raum, also Strom-, Wasser-, Abwasser- oder Gasleitungen passiert, die noch gut ist, aber nicht mehr genutzt wird. Die muss dann in den Städten gedoppelt werden.
Natürlich will man sich als junger Mensch die Hörner abstoßen, das ist normal. Nach der Schule verlässt man das Elternhaus und will was anderes kennenlernen. Wenn ein junger Mensch studieren will, wird er eine Weile in der Großstadt leben, denn da sind die Hochschulen. Und danach kann er sich entscheiden: Schätzt er die Vorzüge der Großstadt so, dass er dort bleiben möchte, oder geht er zurück in den ländlichen Raum? Und da muss man attraktive Rahmenbedingungen schaffen.
Gerade heute kommen Städte und ländliche Gegenden durch die digitalen Möglichkeiten doch immer näher zusammen. Ich muss nicht mehr jeden Tag im Büro sein, um meine Arbeit erledigen zu können. Wenn die technischen Rahmenbedingungen auch im ländlichen Raum passen, dann kann ich auch dort sein. Wenn junge Leute sich mit der Familiengründung beschäftigen, werden sie im ländlichen Raum große Vorteile entdecken: mehr Platz, günstigerer Wohnraum, vielfältigere Spielmöglichkeiten für die Kinder.
In der letzten Legislaturperiode hatte die Bundesregierung eine Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ eingesetzt. Was kam dabei heraus und wird das nun umgesetzt?
Die Kommission hat Ergebnisse zu verschiedenen Themenbereichen erarbeitet: Wirtschaft, Technik, Teilhabe, etc. Aber das ist ja nicht abschließend. Die Gesellschaft entwickelt sich ja weiter. Der logische nächste Schritt wäre, diese Ergebnisse weiter zu diskutieren und in die Umsetzung zu bringen. Dieses Prinzip wurde leider nicht verfolgt. Die Ergebnisse sind in der Schublade gelandet, und das ist sehr, sehr schade. Denn da haben ja viele Experten Zeit investiert und gute Ideen eingebracht.
Deshalb hätte Ihre Fraktion gerne einen Parlamentarischen Beirat für gleichwertige Lebensverhältnisse eingesetzt. Was hätte der bewirken können?
Die Kritiker sagen natürlich: Wir brauchen nicht noch eine Runde, die ausführlich darüber redet. Wir haben unsere Ausschüsse, wir haben unsere Strukturen im Parlament. Das wäre nur eine zusätzliche Diskussionsrunde.
Ein Parlamentarischer Beirat hätte zwei Vorzüge gehabt. Zum einen wäre es von keinem anderen Gremium abhängig gewesen, sondern hätte frei darüber entscheiden können, womit er sich beschäftigt. Zum anderen hätte er Zeit gehabt, sich mit wichtigen Themen zu befassen. In den Ausschüssen konzentriert man sich meist auf die Fragen, zu denen man eine Entscheidung fällen muss. Für alles andere fehlt es dann einfach an Zeit zur ausführlichen Beschäftigung.
Der Beirat hätte mit Experten zusammen Empfehlungen und Stellungnahmen erarbeiten können. Die hätten die Ausschüsse, die sich mit den jeweiligen Themen befassen, dann als Grundlage für ihre Beratungen nehmen können.
Antrag und Debatte
40 Minuten sprachen die Bundestagsabgeordneten am 16. März über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die die Einsetzung eines Parlamentarischen Beirats für gleichwertige Lebensverhältnisse forderte. Nachlesen könnt ihr das hier. Der Antrag wurde mit der Mehrheit von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, AfD und Die Linke gegen das Votum der Unionsfraktion abgelehnt. Die Debatte könnt ihr euch hier im Video anschauen.
Ihr Antrag wurde im Plenum abgelehnt. Wie wollen Sie das Thema gleichwertige Lebensverhältnisse nun weiterverfolgen?
Wir werden jetzt sicher nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern weiterhin für gleichwertige Lebensverhältnisse werben – im Osten, im Westen, in strukturstarken wie strukturschwächeren Gegenden, in großen Städten wie in kleinen ländlichen Gemeinden. Bei jedem Thema, das die Bundesregierung angeht, werden wir darauf achten.
Beispiel Breitband- und Mobilfunkversorgung: Wir dürfen nicht nur darauf achten, dass ein großer Teil der Fläche versorgt ist. Am Ende wird’s spannend: wenn die letzten Splittersiedlungen, wo nur noch wenige Leute wohnen, genauso versorgt werden sollen. Wir werden darauf achten, dass es bei all diesen Themen keine faktische Bevorzugung einzelner Regionen und keine Benachteiligung anderer gibt.
Zur Person
André Berghegger, geboren 1972 in Osnabrück, ist Jurist. Er war sieben Jahre lang Bürgermeister der Stadt Melle, bevor er 2013 für die CDU/CSU in den Bundestag einzog. Dort ist er aktuell Mitglied des Haushaltsauschusses und des Vertrauensgremiums. In seiner Fraktion ist er Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.
(jk)