Parlamentsjahr 2023 Auf ein Neues
Marejke Tammen
Das Jahr 2023 begann mit Panzerlieferungen in die Ukraine und endet mit Raketenbeschuss im Nahen Osten. Kurzum: Ein weiteres Krisenjahr geht vorbei. Doch auch innenpolitisch stand für die Abgeordneten dieses Jahr einiges auf der To-do-Liste.
Ukraine-Krieg: Suche nach dauerhafter Lösung
Das Jahr 2023 begann, wie 2022 aufhörte – mit der Frage: Wie kann der Krieg in der Ukraine beendet werden? Darüber wurde auch ein Jahr nach dem Angriff Russlands hitzig diskutiert. Die Fraktion Die Linke forderte in einem Antrag im Februar mehr Diplomatie statt Panzer und kritisierte, dass die Bundesregierung vor allem auf Waffen setze.
Die SPD-Fraktion warf der Linken daraufhin Scheinheiligkeit und Nähe zu Rechtsextremen vor. Diesem Vorwurf schloss sich die Union an: Die Linke bediene die Narrative Putins und billige dabei den Beifall von Rechtsaußen.
Solidarität mit Israel
So strittig das Thema Ukraine-Krieg diskutiert wurde, so einhellig verurteilten die Fraktionen den Überfall der palästinensisch islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel vom 7. Oktober. Mit einer Schweigeminute gedachten die Abgeordneten der Opfer. Anschließend fand Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) klare Worte: „Wir akzeptieren keinerlei Unterstützung dieser feigen und widerwärtigen Verbrechen. Wie akzeptieren auch nicht, wenn grausamste Verbrechen gegen Kinder, Frauen und Männer bei uns in Deutschland auf den Straßen oder im Netz gefeiert werden, wenn Terror verherrlicht wird.“
Im fraktionsübergreifend angenommenen Entschließungsantrag heißt es: „Der Deutsche Bundestag stellt in dieser schweren Stunde fest, dass Deutschland und Israel heute mehr denn je durch ein dichtes Netz politischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, kultureller und zivilgesellschaftlicher Kontakt eng verbunden sind.“ Dieses müsse vor allem „angesichts des großen menschlichen Leids, das in diesen Tagen über Israel hereingebrochen ist“, geschützt und zugleich intensiviert werden.
Schutz jüdischen Lebens in Deutschland
Am 9. November, 85 Jahre nach der Reichspogromnacht, gab es im Bundestag eine Vereinbarte Debatte zum Thema „Historische Verantwortung wahrnehmen – Jüdisches Leben in Deutschland schützen“. Anwesend im Plenarsaal war auch die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer, die die deutlichen Worte von Bundestagspräsidentin Bas von der Besuchertribüne aus verfolgte: „Die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust muss sich jetzt in konkretem Handeln zeigen. Es liegt an uns, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. ,Nie wieder‘ ist jetzt.“
Der Bundestag wird kleiner
In den vergangenen Jahren wurde der Bundestag immer größer und größer. Statt der gesetzlichen Größe von 598 Sitzen sind es in dieser Wahlperiode 735 Sitze. Das sollte sich ändern, indem zukünftig auf Überhangs- und Ausgleichsmandate verzichtet wird – so sah es der Plan der Ampelkoalition für eine Wahlrechtsreform zur Reduzierung der Abgeordnetenzahl vor.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt befürchtete eine „Politikverdrossenheit“ und bezeichnet die Reform als falsch, fehlerhaft, verfassungswidrig und ein „großes Schurkenstück“. Ähnlich kritische Worte fand auch Jan Korte (zu diesem Zeitpunkt Mitglied der Fraktion Die Linke, inzwischen fraktionslos). Er bezeichnete die Änderungen des Bundeswahlgesetzes als „größten Anschlag“ seit Jahrzehnten auf das Wahlrecht, dem entscheidenden Grundpfeiler der parlamentarischen Demokratie. Doch trotz scharfer Kritik aus den Oppositionsreihen konnten die Ampelfraktionen ihre Pläne für die Wahlrechtsreform mit 399 Ja- gegen 261 Nein-Stimmen und 23 Enthaltungen am 17. März durch das Parlament bringen. Zukünftig wird es im Plenarsaal daher wohl nur noch 640 Sitzplätze geben.
Das Ende der Linksfraktion
Es wurde gemunkelt, Mutmaßungen angestellt, mögliche Auswirkungen diskutiert. Mitte Oktober war es dann so weit: Sahra Wagenknecht verkündete, noch als Mitglied der Linksfraktion, die Gründung einer neuen Partei – das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Dem war der Austritt Wagenknechts aus der Partei Die Linke vorausgegangen – und mit ihr verließen neun weitere Bundestagsabgeordnete die Partei – mit Folgen für die Fraktion im Bundestag: Denn die zehn Mitglieder mussten folglich auch die Fraktion verlassen. Damit erfüllte die Linksfraktion nicht mehr die Mindestgröße für eine Fraktion von 37 Abgeordneten im aktuellen Bundestag. Am 6. Dezember löste sich die Linksfraktion auf. Im kommenden Jahr wird sich zeigen, wie es weitergehen wird und ob dann zwei Gruppen im Bundestag vertreten sein werden, von denen die eine die Partei Die Linke repräsentiert und die andere das BSW.
Bundestag stimmt Heizungsgesetz zu
Ein großes Streitthema im Sommer war das Gebäudeenergiegesetz (GEG), mit dem die Import-Abhängigkeit fossiler Energien verringert, der Klimaschutz gestärkt und Preissprünge bei Öl und Gas vermieden werden sollen. Ursprünglich sollte es noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. Doch das Gesetzgebungsverfahren ging einigen Abgeordneten wie Thomas Heilmann zu schnell. Der CDU-Politiker sah in den kurzen Fristen eine Verletzung seiner Rechte als Bundestagsabgeordneter und reichte einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht ein – mit Erfolg.
Damit kam es nicht mehr vor der Sommerpause, sondern im September zum erwarteten Schlagabtausch zwischen den Fraktionen: Katharina Dröge (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete das Gesetz als einen „Riesenschritt für den Klimaschutz“. Jens Spahn (CDU/CSU) hingegen kritisierte das Gesetz als ein „Konjunkturprogramm für die Populisten in unserem Land“. Matthias Miersch (SPD) warf der Union daraufhin vor, zu kritisieren, ohne eigene Ideen zu haben. Auch die FDP-Fraktion schloss sich der Kritik an: Die Union habe in ihrer Regierungszeit alle „Klimaziele gerissen“ (Lukas Köhler, FDP). Die AfD warf der Union vor, „den Leuten Sand in die Augen zu streuen“ (Steffen Kotré, AfD). Dietmar Bartsch (im September noch Mitglied der Linksfraktion, mittlerweile fraktionslos) übte wiederum Kritik am Gesetzentwurf und bezeichnete ihn als ein „kommunikatives Desaster, klimapolitisches Desaster und parlamentarisches Desaster“ und forderte besseren Mieterschutz.
Offenes Ende bei der Kindergrundsicherung
Nach langem Ringen in der Koalition hatte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) Ende November einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Kindergrundsicherung vorgestellt. Ziel sei es, möglichst viele Kinder aus der Armut zu holen. Konkret sollen mit dem Gesetz die bisherigen finanziellen Leistungen Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder zusammengeführt werden.
In einer Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Mitte November übten die Sachverständigen deutliche Kritik. Zwar sei die Grundidee, die verschiedenen Leistungen zusammenzuführen, begrüßenswert, doch würde auch die Schaffung eines „Familienservices“ die Mehrfachzuständigkeiten nicht beseitigen. Auch die Opposition zeigte sich skeptisch. Die Verabschiedung durch den Bundestag steht noch aus.
Teillegalisierung von Cannabis verzögert sich
Die bisher illegale Droge Cannabis soll teilweise legalisiert werden – so steht es im Koalitionsvertrag. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) legte daher im August einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vor, der trotz heftigem Widerstand seitens der Opposition vom Bundestag auf den Weg gebracht wurde.
Doch die ursprünglich geplante Teillegalisierung zum 1. Januar 2024 wird es nicht geben. Zu kurz sei die Beratungszeit gewesen, wie die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses Kirsten Kappert-Gonther Ende November mitteilte. „Das ist ein sehr komplexes Vorhaben. Es ist immerhin ein Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik der Bundesrepublik Deutschland.“ Das Gesetz soll nun am 1. April 2024 in Kraft treten.
Eine Frage des Geldes
Bisher ebenfalls nicht beschlossen ist der Haushalt für kommendes Jahr. Die finale, ursprünglich für Anfang Dezember geplante Abstimmung über den Bundesetat 2024 war nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kurzfristig abgesagt worden. Über die notwendigen Einsparungen und geplanten Ausgaben wird daher erst kommendes Jahr entschieden. Bis dahin wird es eine vorläufige Haushaltsführung geben, die lediglich für die Verwaltung und rechtliche Verpflichtungen vorgesehen ist. Alle anderen politischen Projekte werden aufgeschoben.
Eins ist also sicher: Auch im kommenden Jahr stehen im Bundestag viele wichtige Entscheidungen an, über die wir euch auf dem Laufenden halten werden.