Corona-Pandemie Brauchen wir eine Impfpflicht?
Eric Matt
Diese Frage wird seit einiger Zeit heiß diskutiert. Die Meinungen gehen weit auseinander – auch im Bundestag. Das hat eine Orientierung im Plenum gezeigt.
Geimpft oder nicht geimpft – diese Frage kann inzwischen heftigen Streit in Freundeskreise und Familien auslösen. Seit zwei Jahren bestimmt die Coronapandemie nun unser Leben. Tausende Menschen sind schwer erkrankt und gestorben. Sich impfen zu lassen, ist eine Möglichkeit, sich gegen das Virus zu schützen. Aber nicht alle wollen sich impfen lassen. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Bis jetzt haben sich 74 Prozent der erwachsenen Bevölkerung vollständig impfen lassen. Fast 53 Prozent sind geboostert, haben also eine dritte Impfung zur Auffrischung bekommen. Das reicht aber nicht, um eine sogenannte Herdenimmunität zu erreichen, sagen viele Wissenschaftler. Herdenimmunität würde bedeuten, dass genug Menschen durch eine Impfung oder eine frühere Erkrankung immun gegen das Virus geworden sind, so dass jede Infektionskette schnell wieder abbricht.
Kein Vorschlag aus der Regierung
Aber soll man Menschen deshalb gesetzlich dazu verpflichten, sich impfen zu lassen? Diese Frage wird seit Wochen kontrovers diskutiert. Obwohl sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sich öffentlich für eine Impfpflicht ausgesprochen haben, hat die Bundesregierung im Dezember angekündigt, keinen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen. Stattdessen sollen die Abgeordneten des Bundestages Vorschläge erarbeiten und anschließend darüber abstimmen. Das Thema wurde zur Gewissensfrage erklärt, das bedeutet, dass die Abgeordneten ohne Fraktionsdisziplin abstimmen, frei nach ihrem eigenen Gewissen.
Die erste Orientierungsdebatte fand nun letzte Woche statt. Fast vier Stunden lang legten Abgeordnete aller Fraktionen ihre persönlichen Haltungen dar. Die Meinungen deckten die ganze Bandbreite von einem klaren „Ja“ zur Impfpflicht über „Ich weiß es noch nicht“ bis hin zum vehementen „Nein“ ab.
Bundestagspräsidentin Bas forderte eine „faire Debatte"
Bevor Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die Debatte eröffnete, sprach sie als Chefin des Hohen Hauses ein paar einleitende Worte: „Eine Impfpflicht wirft fachlich schwierige und rechtlich wie ethisch kontroverse Fragen auf. Sie zwingt uns zu komplexen Abwägungen. Heute tauschen wir uns darüber aus, was für eine allgemein verpflichtende Impfung spricht – und was dagegen.“ Sie wünsche sich „eine faire, respektvolle und konstruktive Debatte“.
Dagmar Schmidt (SPD): „Kein kleiner Schritt“
Die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt gehört zu denjenigen in der Ampelkoalition, die sich schon öffentlich für eine allgemeine Impfpflicht vom 18. Lebensjahr an ausgesprochen hatten.
„Man kann sich irgendwas zusammen schwurbeln, dabei immer gegen ‚die da oben‘ hetzen und den Leuten dummes Zeug erzählen“, kommentierte Schmidt in Richtung der Impfgegner. Ein solches Verhalten aber nutze nur denjenigen, die „unsere demokratischen und wissenschaftlichen Institutionen zerstören wollen“. Besser sei es, zu diskutieren, abzuwägen und letztendlich auf die Wissenschaft zu hören. Dennoch sei eine Impfpflicht „kein kleiner Schritt“, da man diese lange ausgeschlossen hatte. Sie jedoch halte sie für nötig, sagte Schmidt, da die Alternativen nicht zufriedenstellend seien: Entweder würde man „es laufen lassen“, was viele Tote zur Folge hätte. Oder es bräuchte weiterhin Kontaktbeschränkungen bis hin zum Lockdown, den auch keiner wolle. Schmidt erklärte daher: „Die Impfpflicht ist ein milderes Mittel als die Gefährdung der Gesundheit durch Durchseuchung und auch als weitere Einschränkungen.“
Tino Sorge (CDU/CSU): „Impfpflicht der falsche Weg“
Tino Sorge von der CDU/CSU-Fraktion kritisierte, dass die Bundesregierung keinen konkreten Vorschlag gemacht habe. „Das erinnert mich so ein bisschen an ein Versteckspiel. Man spielt zusammen Verstecken und hofft, dass irgendjemand ein Konzept zur Impfpflicht vorlegt“, so Sorge. Auch wenn er die Debatte grundsätzlich begrüße, hätte diese bereits vor Weihnachten stattfinden müssen. Die aktuelle Krise habe „historische Ausmaße“.
Daher sei es wichtig, nicht nur für oder gegen eine Impfpflicht zu sein, sondern auf die konkrete Ausgestaltung komme es an. So müsse man beispielsweise verfassungsrechtliche und medizinische Fragen miteinander abwägen oder auch neue Varianten berücksichtigen. Sorge fasste zusammen: „Das beste Instrument, um aus der Pandemie herauszukommen, ist das Impfen. Aber solange kein Instrument mit absolutem Schutz zur Verfügung steht, wäre eine Impfpflicht der falsche Weg.“
Kirsten Kappert-Gonther (Die Grünen): „Gesellschaftliche Befriedung"
„Impfen ist der Weg aus der Pandemie. Impfen ist der Schlüssel dafür, die Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden“, sagte Kirsten Kappert-Gonther von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dafür brauche es jedoch eine höhere Impfquote, da Deutschland im europäischen Vergleich nur mittelmäßig sei. „Jetzt stehen wir in der Verantwortung, die bestehenden Impflücken zu schließen. Ich halte die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 für richtig“, erklärte die Medizinerin. Es brauche aber auch mehr Kommunikation und Aufklärung sowie „hinausgehende Gesprächsangebote“ für Menschen, die skeptisch seien. Dass eine Impfpflicht zu einer größeren gesellschaftlichen Spaltung führe, glaube Kappert-Gonther nicht. „Ich gehe eher davon aus, dass eine klare und eindeutige staatliche Regel, die für alle gleichermaßen gilt, dabei hilft, eine gesellschaftliche Befriedung herbeizuführen“, so die Grünen-Abgeordnete.
Tino Chrupalla (AfD): „Geht es Ihnen eigentlich noch um unser Land?"
Der AfD-Abgeordnete Tino Chrupalla kritisierte: „Wir erleben eine Zeit, in der eine deutsche Regierung versucht, ihre autoritären Bestrebungen durch das Parlament zu bringen. Es wird nur noch diffamiert.“ Laut dem Fraktionsvorsitzenden sei die Regierung wie ein „verwundetes Tier“, welches „aggressiv um sich beißt, sobald jemand versucht, sich ihr argumentativ zu nähern“. Es sei der Punkt gekommen, an dem Impfstoffe „schon fast eine religiöse Stellung“ erhielten. Chrupalla bemängelte, dass ungeimpfte Abgeordnete nicht in den Plenarsaal dürften, sondern ihre Reden von der Tribüne aus halten müssen. Die Bundesregierung verhalte sich daher „demokratiegefährdend“ und der Umgang mit dem Grundgesetz werde immer „schamloser“. Er fragte: „Geht es Ihnen eigentlich noch um unser Land oder um den bloßen Beweis, wer eigentlich die Machthaber sind?“
Dass die AfD-Fraktion eine Impfpflicht geschlossen ablehnt, machte auch seine Fraktionskollegin Alice Weidel deutlich.
Marco Buschmann (FDP): „Noch keine abschließende Meinung“
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wollte im Plenum bewusst als Abgeordneter sprechen, nicht als Minister. Er lobte, in der Debatte könne „jede Kollegin und jeder Kollege absolut frei von allen Sorgen seine Argumente vortragen“. Dabei widersprach er seinem Vorredner Chrupalla: Die Debatte zeige, dass es nicht um Macht, sondern um die „Logik des Arguments und des frei gesprochenen Wortes“ gehe. Es sei wichtig, die Ziele einer Impfpflicht klar zu nennen, anstatt nur über „gute oder schlechte Bürger“ zu sprechen. „Worum es gehen muss, ist der Schutz des öffentlichen Gesundheitssystems, die Verteidigung der Intensivstationen und der normalen Stationen vor Überlastung“, so Buschmann. Jedoch sei dies eventuell auch mit „milderen Mitteln“ möglich. Der Justizminister traue sich daher „noch keine abschließende Meinung zu“.
Später sprach auch Wolfgang Kubicki (FDP), der schon früh einen Gruppenantrag gegen eine Impfpflicht initiiert hatte. Er begann seine Rede damit, dass er geimpft und geboostert sei und dabei eine große Erleichterung verspürt habe, weil er nun gegen schwere Verläufe besser geschützt sei. Eine Pflicht halte er dennoch nicht für den richtigen Weg. Er verwies darauf, dass man mit einer Impfpflicht die aktuelle Omikron-Welle nicht brechen könne.
Kathrin Vogler (Die Linke): „Völlig verzerrte Wahrnehmung“
„In der Gesellschaft ist eine zum Teil völlig verzerrte Risikowahrnehmung. Die Gefahr, durch Covid-19 schwer zu erkranken oder gar zu sterben, wird massiv unterschätzt“, merkte Kathrin Vogler von der Fraktion Die Linke an. Stattdessen fürchteten sich viele Menschen vor den sicheren Impfstoffen. Zu dieser Verunsicherung habe die Politik von CDU/CSU und SPD selbst beigetragen. Bis heute habe es die Bundesregierung nicht geschafft, „die Bevölkerung über den Nutzen der Impfung so aufzuklären, dass die Corona-Leugner, die das Internet mit Desinformationen fluten, gegen eine Wand der Solidarität laufen“. Eine Impfpflicht müsse zwar die letzte Möglichkeit sein, jedoch könne sie „nicht nur verfassungsgemäß, sondern unter Umständen sogar zwingend geboten sein“. Voraussetzung dafür aber sei, dass man das Impfen so einfach wie möglich mache – beispielsweise durch leichte Impfangebote, aktive Einladungen und verständliche Informationen.
Die komplette Bundestagsdebatte seht ihr hier im Video, das Protokoll findet ihr wie immer auf bundestag.de.
Eric Matt
... ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zurzeit macht er ein Auslandssemester in Israel.