Innenausschuss „Ein Glück, dass es den Internationalen Strafgerichtshof gibt“
Mit dem Innenausschuss war Lars Castellucci (SPD) in den Niederlanden. Hier erzählt er vom Kampf gegen organisierte Kriminalität, der Suche nach vermissten Personen und neuen Ideen für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Im Oktober waren Sie mit dem Innenausschuss in den Niederlanden. Warum dieses Reiseziel?
Zunächst mal sind die Niederlande unsere Nachbarn. Und es ist immer gut, seine Nachbarn zu kennen, in gutem Kontakt mit ihnen zu stehen und sich auch mal gegenseitig zu besuchen.
Dann sind in den Niederlanden aber auch ganz viele europäische Institutionen angesiedelt, etwa in Den Haag. Die Stadt trägt den Beinamen „Stadt des Rechts“ – und das Thema ist im Stadtbild auch wirklich sehr präsent, etwa in öffentlichen Kunstwerken. Wir haben in Den Haag Europol besucht, also quasi die europäische Variante des Bundeskriminalamts, Eurojust, die Institution für die juristische Zusammenarbeit, und auch den Internationalen Strafgerichtshof.
An den Internationalen Strafgerichtshof denkt man vielleicht als Erstes, wenn man an Den Haag denkt. Um welche Themen ging es bei Ihrem Besuch dort?
Es ist ein Glück, dass es den Internationalen Strafgerichtshof gibt, dass man Verantwortliche für Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord vor ein internationales Gericht stellen kann – und nicht nur auf nationale Gerichte angewiesen ist, die mühsam schauen müssen, ob sie für den jeweiligen Fall überhaupt zuständig sind.
Deutschland unterstützt den Internationalen Strafgerichtshof nach Kräften. Wir sind einer der Hauptgeldgeber. Bei unserem Besuch haben wir einen Richter getroffen, der aus Deutschland stammt. Er hat uns erzählt, dass es keinerlei staatlichen Einfluss darauf gibt, wer dort Richter wird, sondern dass man sich in einem sehr aufwendigen Prozess bewerben und durchsetzen muss. Das war ein gutes Gespräch. Ich habe persönlich eine Initiative gestartet, die ich am Internationalen Strafgerichtshof zur Sprache bringen wollte, und das konnte ich im Gespräch mit diesem Richter tun.
Worum geht es dabei?
Im letzten Jahr haben wir vor allem an der Grenze von Polen zu Belarus gesehen, wie Menschen, die auf der Flucht waren, instrumentalisiert wurden. Der belarussische Diktator Lukaschenko hat Geflüchtete angelockt, dann ins Niemandsland im Grenzgebiet bringen und mehr oder weniger dort aussetzen lassen. Sicherheitsbeamte haben gezielt die Grenzzäune beschädigt, so dass Polen dann gesagt hat: Das ist eine Notsituation, wir setzen das Asylrecht aus und schließen die Grenzen. Das waren ein paar Hundert Menschen, die niemals eine Bedrohung für Europa hätten darstellen können. Das Ziel war, Durcheinander in Europa zu stiften – und das ist leider auch gelungen.
Mein Anliegen ist, in solchen Fällen die Verursacher zu belangen. Wer zieht den Diktator Lukaschenko zur Rechenschaft, der das mit bösen Absichten angezettelt und Menschen an der Grenze ausgesetzt hat? Es ist verboten, Tiere auszusetzen, aber offenbar ist es nicht verboten, Menschen auszusetzen. Das darf so nicht bleiben! Da ist eine Lücke im Statut für den Internationalen Strafgerichtshof und meine Frage ist, ob wir dieses Statut erweitern, ob wir neues und ergänzendes Recht schaffen können, damit der Internationale Strafgerichtshof auch für solche Verfahren zuständig wird.
Wenn man so eine politische Idee hat, ist es gut, wenn man sie mit Experten bespricht – und wer sollte dafür besser geeignet sein als ein Richter des Internationalen Strafgerichtshofs?
Und wie war seine Einschätzung?
Er hat gesagt, es wird schwierig, denn es muss eine einstimmige Entscheidung aller Mitgliedstaaten vorliegen. Aber es ist möglich. Der Richter sagte, anfangs habe auch niemand an die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs geglaubt, und doch gibt es ihn heute. Deshalb sei es gut, solche Ideen auszuarbeiten, um sie zur rechten Zeit zur Hand zu haben. Wenn man eine große Herausforderung angehen will, muss jemand den ersten Schritt machen. Wir sind jetzt bei den ersten Schritten und werden dran bleiben.
Auf Ihrer Reise ging es unter anderem auch um Herausforderungen für die innere Sicherheit durch den Krieg in der Ukraine. Welche Herausforderungen sind das und hat der Austausch darüber neue Impulse gebracht?
Wir sind stark gefordert seit Beginn des Krieges und zwar auf verschiedenen Ebenen. Wir unterstützen zum einen die Ukraine mit allen Mitteln in ihrem Verteidigungskrieg. Wir nehmen sehr viele Menschen auf, die aus der Ukraine fliehen. Es gibt aber auch Sicherheitsfragen, die uns beschäftigen, etwa eventuelle Cyber-Angriffe aus Russland. Über diese Fragen haben wir uns ausgetauscht und überlegt, wie man hier über die europäischen Behörden, die in Den Haag angesiedelt sind, gut zusammenarbeiten kann.
Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt Ihrer Reise war die Bekämpfung von organisierter Kriminalität und internationalem Terrorismus. Wie arbeiten Deutschland und die Niederlande da zusammen?
Wir arbeiten natürlich schon allein deshalb zusammen, weil wir eine gemeinsame Grenze haben. Die Niederlande sind so etwas wie die Drogen-Drehscheibe Europas, zum einen durch die Häfen, zum anderen aber auch durch eine tief verwurzelte organisierte Kriminalität. In diesem Bereich kann offenbar sehr viel Geld verdient werden, auch durch kleine „Dienstleistungen“ wie die Annahme oder den Transport von Waren. Schon junge Menschen werden in der Schule dafür angeworben. Es ist schwer, ihnen eine legale Alternative zu bieten, weil man solche Geldsummen auf legalem Weg einfach nicht verdienen kann. Das ist ein Riesenproblem.
In dem Zusammenhang haben wir auch über die geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland gesprochen. Die Kollegen aus den Niederlanden haben uns davor gewarnt, die kriminellen Strukturen im Hintergrund, etwa beim Anbau von Cannabis und auf internationalen Transportwegen, zu vernachlässigen, sonst könnte es dort zu einem Anstieg der Kriminalität kommen.
Einer Ihrer Gesprächspartner war die Internationale Kommission für vermisste Personen. Wie arbeitet sie?
Das ist eine sehr wichtige Einrichtung, die hilft, Menschen zu identifizieren. Es geht insbesondere um Opfer von Krieg oder Naturkatastrophen. Wenn eine Leiche gefunden wird, untersuchen die Experten sie im Labor und gleichen dann mit Datenbanken ab, um wen es sich handeln könnte.
Ich bin das erste Mal auf dieses Thema gestoßen, als ich 2014 mit einer Delegation der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe nach Lampedusa geflogen bin. Die Insel Lampedusa liegt ja im Mittelmeer und leider kommen dort immer wieder Menschen auf der Flucht um. Bei unserem Besuch haben wir erfahren, wie schlimm es für die Angehörigen ist, keine Gewissheit darüber zu haben, ob ein Vermisster gestorben ist. Deshalb gibt es Projekte, oft von Universitäten oder anderen Forschungseinrichtungen, die Untersuchungen anstellen, wenn jemand geborgen wird. Das ist eine ganz wichtige Arbeit, die kaum finanziert ist.
Die Internationale Kommission für vermisste Personen ist zwischenstaatlich organisiert, von zehn Mitgliedstaaten, die das etwas systematischer angehen und dabei Kompetenzen aufbauen können. Bis heute konnten mit der Unterstützung der Kommission schon mehr als 20.000 Personen identifiziert werden. Wir haben das Labor besucht und den Direktor für Politik und Koordination getroffen, der uns erzählt hat, wie die Kommission entstanden ist und vor welchen Herausforderungen sie steht. Denn natürlich ist das Thema viel größer, als ein einziges Labor es allein bewältigen könnte. Es geht darum, diese Arbeit dauerhaft zu finanzieren und zu verstetigen.
Zur Person
Lars Castellucci, 1974 geboren, hat Politische Wissenschaft, Mittlere und Neuere Geschichte und Öffentliches Recht studiert. Er ist Professor für Nachhaltiges Management. Seit 2013 sitzt er für die SPD im Bundestag. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschuss für Inneres und Heimat. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.
(jk)