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Kriegsverbrechen „Die Schuldigen müssen verurteilt werden“

Wer kann Russland zur Rechenschaft ziehen für den Angriffskrieg gegen die Ukraine? Über einen möglichen Strafgerichtshof beriet kürzlich der Europarat. Frank Schwabe (SPD) war als Delegationsleiter für den Deutschen Bundestag dabei.

Portrait des Abgeordneten Frank Schwabe

„Es könnten sich Länder zusammentun, die auf der Grundlage des Völkerrechts so ein Gericht ins Lebens rufen“, erklärt Frank Schwabe. Foto: Photothek

Aktuell wird über einen möglichen Strafgerichtshof diskutiert, der über die Kriegsverbrechen in der Ukraine urteilen soll. Wie würde dieser vorgehen und was sind die Herausforderungen?

Es geht zum einen um Kriegsverbrechen, die in der Ukraine begangen werden, zum anderen aber auch um das Verbrechen, einen Aggressionskrieg begonnen zu haben. Beide Bereiche müssen umfassend untersucht und die Schuldigen verurteilt werden. Derzeit wird ganz genau überlegt, wie so ein Gericht ausgestattet sein muss. Die Herausforderung ist, das Ganze so zu gestalten, dass Russland kein Veto-Recht hat.

Wer ist denn überhaupt befugt, so ein Gericht ins Leben zu rufen?

Eigentlich wäre der UN-Sicherheitsrat dazu befugt. Das funktioniert aber nicht, weil Russland da eben ganz sicherlich von seinem Veto-Recht Gebrauch machen und das Vorhaben so verhindern würde. Dann gäbe es die Möglichkeit, dass die UN-Generalversammlung so ein Sondertribunal initiieren würde. Dann bräuchte es einen Staat, der das durchführt. Das könnte zum Beispiel die Ukraine sein. Oder es könnten sich Länder zusammentun, die auf der Grundlage des Völkerrechts so ein Gericht ins Lebens rufen. Und da ist eine Überlegung, dass das Mitgliedsstaaten des Europarats sein könnten.

Der Europarat war nochmal…?

… der Europarat ist größer als die Europäische Union. Bis vor Kurzem hatte er 47 Mitglieder, also eigentlich fast alle europäischen Länder. Mittlerweile ist Russland wegen des Krieges ausgeschlossen worden. Der Europarat kümmert sich nicht um wirtschaftliche Fragen, sondern im Kern um Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie – und hat da eine wichtige Beratungs- und Kontrollfunktion in allen 46 Mitgliedsstaaten.

Sie kommen gerade von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Die ist…?

… da treffen sich Abgeordnete aller Mitgliedsstaaten. Aus Deutschland sind das 36 Bundestagsabgeordnete. Wir beschließen in dieser Versammlung gemeinsam Dinge und fordern unsere Regierungen dann auf, tätig zu werden.

Wie verlief die Debatte zum Thema Strafgerichtshof? Und gab es ein Ergebnis?

Wir haben überlegt, was die beste Konstruktion für einen Strafgerichtshof sein könnte. Dazu gab es durchaus unterschiedliche Meinungen. Wir haben ja einen Internationen Strafgerichtshof in Den Haag. Der leistet wichtige Arbeit und den wollen wir nicht schwächen, sondern stärken. Aber die Frage ist, ob er alles, was ermittelt werden muss, ermitteln kann. Und deshalb gab es auch den Vorschlag, aus den Ländern des Europarats in Straßburg einen Gerichtshof zu gründen, besetzt mit Richterinnen und Richtern des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der zum Europarat gehört.

Und wie geht es mit diesen Überleglungen jetzt weiter?

Das ist eine gute Frage. Das liegt jetzt auf dem Tisch und muss sich in einer offenen politischen Debatte herausschälen, in der die Vereinten Nationen bestimmt eine wichtige Rolle spielen werden.

Sie haben schon erwähnt, dass Russland auch zum Europarat gehörte – bis zum Ausschluss am 16. März dieses Jahres. War es ein Fehler, Russland trotz zunehmender Spannungen so lange im Europarat zu halten?

Ob es ein Fehler war, weiß ich nicht. Der Europarat war in einer komplizierten Situation. Russland hat in der Parlamentarischen Versammlung schon nicht mehr mitgemacht, auf Regierungsebene aber schon. Es war ein letzter Versuch, Russland im Sinne der Menschen dort im System zu halten, weil sie sonst keinen Zugang mehr zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben. Dieser Versuch ist dramatisch gescheitert.

Auf der Tagesordnung stand auch die Frage, wie die Staaten die Ukraine weiter unterstützen könnten. Welche Ideen wurden konkret beratschlagt?

Der Europarat ist keine Militärorganisation. Trotzdem haben wir uns dahingehend geäußert, dass wir weitere Waffenlieferungen an die Ukraine brauchen und auch die Sanktionen gegen Russland weiter verschärfen müssen. Vor allem aber kann der Europarat helfen bei der Bewältigung der Flüchtlingssituation und beim Aufbau eines Rechtsstaats in der Ukraine nach dem Krieg. Und wir können der ukrainische Generalstaatsanwältin helfen bei der Dokumentation von Kriegsverbrechen.

Sie haben es eben kurz erwähnt: Millionen Menschen fliehen derzeit aus der Ukraine in andere europäische Länder. Haben Sie darüber gesprochen, wie sie verteilt werden sollen?

Wir haben gefordert, dass es eine gerechte Verteilung gibt. Vor allem aber ist uns wichtig, dass die Rechte der Geflüchteten gewahrt werden. Und natürlich macht es Sinn, die Länder zu unterstützen, in denen besonders viele Menschen aus der Ukraine ankommen, mit Hilfsgütern zum Beispiel. Die Republik Moldau steht da besonders im Fokus.

Auch die Energie-Abhängigkeit von Russland war ein Thema. Nach Polen und Bulgarien liefert Moskau seit dieser Woche kein Gas mehr. Deutschland wird dagegen weiter beliefert. Hat das für Dissens gesorgt?

Nein. Es gibt natürlich die Diskussion, wer macht was für die Ukraine – und da gibt es schon Kritik an Deutschland. Aber die ist deutlich geringer geworden seit der Bundestag entschieden hat, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Andererseits wissen die anderen Länder auch um die besonders schwierige Lage Deutschlands bei der Energie-Versorgung. Was aber erwartet wird, ist Solidarität mit einem Land wie Bulgarien, das jetzt wirklich große Probleme hat durch fehlende Erdgas-Lieferungen.

Der Krieg in der Ukraine war nicht das einzige Thema der Versammlung. Welche anderen Themen waren aus Ihrer Sicht besonders wichtig?

Wir mussten uns mit einem Thema beschäftigen, das gar nicht auf der Tagesordnung stand, nämlich mit dem Fall Osman Kavala in der Türkei. Das ist ein intellektueller, anständiger Mensch, der nichts anderes tut, als sich für Menschenrechte und Demokratie einzusetzen. Und dafür ist er jetzt zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen verurteilt worden. Das hat den Europarat schockiert, zumal es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht dazu gibt, das die Türkei jetzt einfach ignoriert hat. Wir fordern das Minister-Komitee des Europarats auf, das Verfahren gegen die Türkei, das zu ihrem Ausschluss führen könnte, konsequent weiterzuverfolgen.

Zur Person

Frank Schwabe, 1970 geboren, hat Volkswirtschaftslehre, Landespflege, Geschichte, Politikwissenschaften und Soziologie studiert. Zunächst war er als Abgeordneten-Mitarbeiter tätig, seit 2005 sitzt er für die SPD selbst im Bundestag. Er ist Obmann im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Schwabe ist Leiter der Delegation der Bundestagsabgeordneten zur Parlamentarischen Versammlung des Europarats, die aus 18 Mitgliedern aller Fraktionen besteht. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.

(jk)

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