Marianne Schieder (SPD) „Das richtige Leben kennenlernen“
„Ein Auslandsjahr ist eine große Chance“, sagt Marianne Schieder (SPD). Die Abgeordnete engagiert sich für das Parlamentarische Patenschafts-Programm. Worauf sie bei ihrer Auswahl achtet, verrät sie im Interview.
Ich finde, das Parlamentarische Patenschafts-Programm ist ein super Programm für junge Menschen aus Deutschland und den USA, um das jeweilige andere Land richtig kennenzulernen.
Im Rahmen des Programmes wird viel darüber diskutiert, wie sich die politischen Systeme in Deutschland und den USA unterscheiden. So lernen die jungen Menschen auch einiges über Politik und das Programm leistet einen Beitrag zur Förderung der Demokratie. Das PPP macht Politik für junge Menschen erlebbar – und die Politik braucht junge Menschen.
Nein, vom Ansatz unterscheiden sich die beiden Sparten des Programmes nicht sehr. In beiden Fällen leben die jungen Menschen in einer Gastfamilie. Die Schüler besuchen eine Schule, berufstätige Teilnehmer besuchen ein College und machen ein Praktikum in einem Betrieb. Ich habe schon vielen Schülerinnen und Schülern ermöglichen können, ein Jahr in den USA zu verbringen und auch schon jungen Berufstätigen. Beide Programm-Varianten sind sehr wichtig.
Ich würde mir wünschen, dass der Teil des Programms für berufstätige Jugendlichen noch mehr Gewicht bekäme. Ich glaube, dass es für die jungen Menschen sehr gewinnbringend ist, die unterschiedlichen Berufsleben kennenzulernen, mit allem, was dazu gehört: Wie läuft die Mitbestimmung der Mitarbeiter in den USA ab? Wie hoch ist der Mindestlohn? Welche Regulierungen gibt es dort auf dem Arbeitsmarkt, die es hier nicht gibt?
Ich würde gerne mehr junge Berufstätige für das Programm aussuchen, aber es gibt nur wenige Bewerber. Mein Eindruck ist, dass sie sich vielleicht nicht trauen. Deshalb wünsche ich mir, dass das Interesse der berufstätigen Jugendlichen noch mehr gefördert wird.
Das Programm fordert die jungen Menschen heraus, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie ihr eigenes Land darstellen und vertreten können.
Ich bin selbst aus Bayern und die bayrischen Mädchen, die in die USA gehen, berichten oft, dass man dort unbedingt die Dirndl sehen möchte. Eine Teilnehmerin hat mir sogar erzählt, dass sie ihr Dirndl nicht mitgenommen hatte, aber die Gasteltern so enttäuscht waren, dass die Mutter es doch hinterhergeschickt hat.
Aber natürlich gibt es viele andere, auch ernste, Aspekte der deutschen Kultur und Geschichte, die man den Amerikanern näherbringen kann. Ich finde es gut und spannend, wenn sich junge Menschen darüber Gedanken machen müssen, was ihr Land ausmacht.
Ich habe beispielsweise mit einer deutschen Schülerin zu tun gehabt, die hier in der Oberstufe an einem Seminar teilgenommen hat, das sich intensiv mit dem Leben von Anne Frank und in dem Zusammenhang natürlich auch mit dem Holocaust und der NS-Zeit beschäftigt hat. Ich hatte sie bereits für das Programm ausgewählt und denke, dass eine solche Grundlage sehr hilfreich sein wird. Denn das Thema wird meiner Erfahrung nach auch in Amerika viel diskutiert.
Wir als Paten und Patinnen sind da, um zu unterstützen, wenn es nötig ist. Oft geht es für mich darum, bei bestimmten Härtefällen zu helfen, wenn zum Beispiel eine Angelegenheit mit einem Amt besonders schwierig ist. Es gab auch mal eine Austauschschülerin, die in ihrer Heimat bestimmte Medikament genommen hat, die bei uns nicht zugelassen waren und die man aus Amerika auch nicht einfach schicken konnte. In solchen Situationen helfe ich, eine Lösung zu finden.
Darüber hinaus mache ich vor allem die Erfahrung, dass die jungen Menschen sehr begeistert von der Möglichkeit sind, für ein ganzes Jahr woanders leben und über längere Zeit die Unterschiede im Lebensalltag, im politischen Denken und in der Arbeitswelt kennenlernen zu können.
Ich erlebe die jungen Amerikanerinnern und Amerikaner als sehr interessiert und sie nehmen oft eine ganze Menge mit, wenn sie zurück in die USA gehen.
Sie befassen sich in Deutschland zum Beispiel – manchmal erstmals – mit dem Thema Klimaschutz. Wir beschäftigen uns hier etwa intensiv mit Fragen rund um erneuerbare Energien, in Amerika spielt das teilweise noch keine so große Rolle. Dass man selbst einen Beitrag leisten muss, um die Umwelt zu schützen, ist für viele neu und wertvoll. Dazu gehört vielleicht auch, dass die jungen Amerikaner hier mit dem öffentlichen Nahverkehr in Kontakt kommen oder auch mal eine Strecke mit dem Fahrrad zurücklegen. In Amerika wird meist das Auto genutzt, das liegt natürlich auch an den oft größeren Distanzen.
Außerdem ist es für viele Amerikanerinnen und Amerikaner spannend, dass man in Deutschland fast immer die öffentlichen Schulen besucht und die gut funktionieren. Gott sei Dank haben wir hier fast nur öffentliche Schulen, das Schulsystem in Amerika ist sehr anders aufgebaut, Privatschulen sind ein fester Bestandteil – für die, die sie sich leisten können.
Ich würde sagen, dass es vor allem etwas Mut braucht, diesen Schritt zu gehen. Aber ich möchte die jungen Menschen auch ermutigen. Ein Jahr in den USA ist eine große Chance, die man so schnell nicht wiederbekommt. Es geht hier nicht um Tourismus – man lernt dort unheimlich viel fürs Leben – das ist unersetzlich.
Ich bekomme mit, dass sich viele junge Leute sorgen, hier etwas in der Schule zu verpassen. Es ist auch wichtig, dass man ein stabiles schulisches Fundament hat. Denn das Schulsystem dort ist sehr anders. Es ist nicht immer einfach, nahtlos an den Unterricht in Deutschland anzuknüpfen. Aber wenn man schulisch einigermaßen gut verankert ist, ist es aus meiner Sicht überhaupt kein Beinbruch, wenn man nach der Rückkehr eine Klasse wiederholen muss.
Viele junge Leute haben vielleicht auch Angst, dass sie sich in den Familien nicht wohlfühlen könnten. Dazu kann ich sagen: In aller Regel kommen die Austauschschüler zu Gasteltern, die sich sehr bemühen. Und wenn es mal nicht passt, helfen die Austauschorganisationen oder die Abgeordneten vor Ort, die als Paten zur Verfügung stehen.
Von den jungen Amerikanerinnen und Amerikanern, die ich betreut habe, habe ich mir sagen lassen, dass bei der Auswahl dort sehr auf soziales Engagement geachtet wird. Das finde ich auch richtig. Denn wer sich engagiert, hat meist schon gelernt, sich auf andere Menschen einzustellen.
Ich lege bei meiner Auswahl Wert darauf, junge Menschen auszusuchen, deren Elternhäuser so ein Amerika-Austausch-Programm nicht ohne Weiteres finanzieren könnten. Zum Beispiel weil es mehrere Geschwister gibt oder die Eltern ein mittleres Einkommen haben. Ich glaube, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen ebenfalls diesen Faktor berücksichtigen.
Und außerdem wichtig: Wer an dem Programm interessiert ist, sollte sich ruhig trauen, zu den Abgeordneten im Wahlkreis, also zu den Paten und Patinnen, Kontakt aufzunehmen.
Marianne Schieder
Marianne Schieder ist 1962 in Schwarzberg, Bayern geboren. Nach der Schule studierte sie Jura in Regensburg. Sie arbeitete als Bundesvorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung und Landesgeschäftsführerin der KLJB Bayern. 1990 trat sie der SPD bei. Seit 2005 ist sie Abgeordnete des Deutschen Bundestages, seit November 2017 Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. Schieder ist Mitglied im Ältestenrat, im Ausschuss für Kultur und Medien und im Wahlprüfungsausschuss.
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