Blog Tag 2 Kennenlernen und Zusammenwachsen
Carolin Hasse
Start der Jugendbegegnung 2025 – Mehr als 70 junge Erwachsene aus Deutschland und seinen Nachbarländern werden sich in den kommenden sechs Tagen mit der bedrückenden Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzen. Anlass ist der 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. Sie werden Fragen stellen und Antworten suchen. Am Anfang dieser emotionalen Reise steht das Kennenlernen:
Als ich den halbrunden Raum betrete – mit seiner Glasfront, dem grauen Teppichboden und den holzvertäfelten Wänden – fällt mir auf, dass fast alle Plätze schon belegt sind. Ich finde noch einen Stuhl in der ersten Reihe und lasse mich darauf nieder. Hier in diesem Raum, der sich in dem riesigen Areal des Bundestages befindet, streiten normalerweise Abgeordnete über die Politik von morgen, handeln Kompromisse aus und beraten über Gesetze. Heute jedoch beginnt hier die Jugendbegegnung 2025.
Die meisten im Raum kennen sich noch nicht, doch die ausgelassene Stimmung zeigt: Das wird sich schnell ändern. Es wird gelacht, geredet und getuschelt. Die Atmosphäre ist lebendig, eine Mischung aus Neugier und Vorfreude. Erst als Heiko Eberle, der Leiter des Besucherdienstes im Bundestag, das Wort ergreift, verstummen die Gespräche.
Einstimmung
Eberle begrüßt uns herzlich und stimmt uns auf die kommenden Tage ein. Einige der Teilnehmenden blättern nebenbei im Programm der Jugendbegegnung, das alle erhalten haben. Es sind vier Seiten, doppelt bedruckt – die kommenden sechs Tage sind straff organisiert. Doch davon berichte ich, wenn es so weit ist.
Eberle weiß, dass die Fahrt nach Auschwitz „sicherlich kein leichter Weg wird“ und ermutigt dennoch alle, die Möglichkeiten der Jugendbegegnung zu nutzen: ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen, Kontakte zu knüpfen und bei dieser emotionalen Reise stets „Verständnis füreinander“ zu bewahren.
Während Eberle spricht, herrscht absolute Stille im Raum – doch das ändert sich, sobald die Kennenlernspiele beginnen. Die erste Aufgabe erscheint noch recht einfach: Wir sollen uns alphabetisch nach unseren Vornamen in einer Reihe aufstellen. Diese Übung klappt schneller als gedacht. Sich alle Namen zu merken, wird bei über 70 Teilnehmenden jedoch eine Herausforderung. Es gibt drei Hanna(h)s und drei Jakobs – immerhin ein Anfang. Mal sehen, wie es in einer Woche am Ende der Jugendbegegnung aussieht.
Eine vielfältige Gruppe
Die nächste Übung fordert alle dann schon mehr heraus: Wir sollen uns auf einer imaginären Karte dorthin stellen, wo wir herkommen. Zwischen Budapest und dem Emsland, zwischen Paris und Hamburg entsteht ein lebendiges Netz. „Wo genau liegt Offenburg?“, fragt jemand. Auf unserer Landkarte liegt es nur ungefähr vier Schritte von Wien entfernt. Vielleicht ist das schon das erste Highlight des Tages – alle rücken ein bisschen zusammen.
In kleineren Gruppen wird es anschließend persönlich. Ulrike, eine der Teamleiterinnen, schlägt vor, dass jeder etwas über den eigenen Namen erzählen könnte. Ich lerne Neues dazu: Rabea bedeutet Sonnenschein, Benedikt – der Gesegnete. Ich nehme mir vor, die Bedeutung meines Namens Carolin auf jeden Fall auch mal zu googeln.
Als Nastya an der Reihe ist, erzählt sie von ihrer Familie, die aus der Ukraine nach Deutschland kam. Da war sie gerade ein Jahr alt. Nastyas Nachname ist ukrainisch, berichtet sie. Doch eigentlich habe ihre Familie immer Goldberg geheißen – ein häufiger jüdischer Familienname. Nastya erklärt: „Als meine Tante in der Ukraine nicht studieren durfte – wahrscheinlich aus antisemitischen Gründen - ließen sich meine Großeltern auf dem Papier scheiden, und meine Oma nahm ihren Mädchennamen wieder an.“ Auch Nastyas Tante konnte so den ukrainischen Namen ihrer Mutter übernehmen, versuchte es erneut mit einer Bewerbung an der Uni, und schließlich klappte es mit dem Studienplatz. „Manchmal frage ich mich, welcher Nachname hier in Deutschland besser wäre“, sagt Nastya in die Runde. Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Wahrscheinlich keiner so richtig – mit dem einen bin ich Ausländerin, mit dem anderen Jüdin.“
Ich bin beeindruckt von der Vielfalt unter den Jugendlichen. Einige reisen nun das erste Mal nach Polen oder zu einer KZ-Gedenkstätte. Andere haben bereits an 15 Jugendbegegnungen teilgenommen oder mit mehreren Zeitzeugen gesprochen. Es ist inspirierend zu sehen, wie engagiert und wissbegierig alle sind. Ich frage mich, wie uns diese Reise prägen wird – als Individuum und als Gruppe.
Eine intensive Reise steht bevor
Bei all den sicherlich emotionalen Eindrücken und vielleicht auch schwierigen Gefühlen, die – wie Patrycja sagt – aufkommen können, hofft sie, „dass wir viel lernen! Aber ich wünsche mir auch, dass wir zusammen Spaß haben und eine gute Zeit erleben.“
Auch die Teamleiterinnen wissen, dass die kommenden Tage voller Eindrücke und neuer Erfahrungen sein werden. „Die Reise wird intensiv“, meint Ulrike. Sie rät uns, sich bewusst Zeit zu nehmen, um die Erlebnisse zu verarbeiten, und sich kleine Pausen zu gönnen, wenn es einmal zu viel wird. „Manchmal hilft es, einfach kurz in den Himmel zu schauen.“ Ein kluger Ratschlag zum Abschluss des Abends, wie ich finde.
Morgen früh, im Morgengrauen sozusagen, startet unsere Reise zur Gedenkstätte Auschwitz. Etwa acht Stunden Fahrt liegen vor uns. Daher verabschiede ich mich für heute – ich muss noch meinen Rucksack packen. Wir lesen uns morgen!
Liebe Grüße
Carolin