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Jugendbegegnung 2025 „Das Bewusstsein für die Bedeutung der Vergangenheit schärfen“

Jedes Jahr kommen bei der Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages junge Menschen zusammen, um sich darüber auszutauschen, wie sie sich dafür engagieren, die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Vier von ihnen haben uns erzählt, warum sie es aktuell umso wichtiger finden, sich für Erinnerungskultur einzusetzen, und worauf sie bei der Jugendbegegnung 2025 besonders gespannt sind.

Zoe
Eine junge Frau mit langen dunklen Haaren trägt eine  schwarzen Pulli und blickt links an der Kamera vorbei und lächelt leicht.

© privat

Wie kam es dazu, dass du dich mit den Themen Holocaust und Verfolgung durch die Nationalsozialisten beschäftigst?

Wir hatten ein Familienfotoalbum, in dem die Menschen markiert bzw. durchgestrichen waren. Ich habe meine Oma dann einmal gefragt, was das soll und sie antwortete: „Die sind alle vergast worden.“ So wurde ich schon als Kind mit der Verfolgung von Jüdinnen und Juden, Roma und vor allem von uns Sinti konfrontiert. Und habe ab diesem Zeitpunkt immer wieder Fragen gestellt. Später habe ich mich dann intensiver damit auseinandergesetzt.

Inwiefern engagierst du dich in der Erinnerungskultur und Bildungsarbeit?

In meinem Alltag setze ich mich aktiv für Erinnerungskultur und Bildungsarbeit ein. Ein zentraler Aspekt meiner Arbeit ist es, Missverständnisse aufzuklären und Menschen für die Geschichte und Gegenwart von Minderheiten zu sensibilisieren. Dazu besuche und veranstalte ich regelmäßig Gedenkveranstaltungen, um das Bewusstsein für die Bedeutung der Vergangenheit zu schärfen.

Auch online engagiere ich mich intensiv, beispielsweise auf Instagram, wo ich auf Veranstaltungen hinweise oder gezielt über bestimmte Themen aufkläre. Darüber hinaus arbeite ich als Journalistin bei Roma Times, wo ich mich dafür einsetze, Vorurteile und Stereotype über Sinti und Roma zu bekämpfen.

Durch meine Arbeit möchte ich nicht nur Vorurteile abbauen, sondern auch eine Grundlage für gegenseitiges Verständnis schaffen.

Was ist das Ziel deines Engagements?

Meine Ziele sind: Den Abbau von Vorurteilen und Stereotypen, insbesondere gegenüber Sinti und Roma, voranzutreiben, Menschen für die historische und aktuelle Diskriminierung von Minderheiten zu sensibilisieren, eine offene und respektvolle Gesellschaft zu fördern, die sich aktiv gegen rechte Denkmuster und Strukturen stellt. Außerdem das Gedenken an die Opfer lebendig zu halten und daraus Lehren für die Gegenwart zu ziehen, den Dialog zu fördern, Missverständnisse aufzuklären und zu mehr gegenseitigem Verständnis beizutragen.

Durch diese Aktivitäten möchte ich langfristig dazu beitragen, dass Diskriminierung und Hass keinen Platz in unserer Gesellschaft haben.

Wird in Schule, Familie, Gesellschaft genug über das Thema Holocaust und nationalsozialistische Verfolgung gesprochen?

In der Schule wird teilweise gut über die Verfolgung während des Nationalsozialismus aufgeklärt, doch ich habe immer wieder festgestellt, dass Sinti und Roma, wenn überhaupt, nur in einem Nebensatz erwähnt werden. Das ist mehr als frustrierend, wenn man bedenkt, dass die Nationalsozialisten fast die gesamte Minderheit auslöschen wollten und bis heute ein erhebliches Trauma in der Community hinterlassen haben. Dieses Schweigen über die Verfolgung von Sinti und Roma spiegelt nicht nur eine historische Lücke wider, sondern auch eine Ignoranz gegenüber den Folgen, die bis in die Gegenwart reichen.

Gerade jetzt, in Zeiten eines immer stärker werdenden Antisemitismus, möchte ich meine Solidarität mit allen Jüdinnen und Juden sowie mit meiner eigenen Community der Sinti und Roma ausdrücken. Der Rechtsruck und die damit einhergehenden Gefahren machen uns allen Angst, und es ist umso wichtiger, gemeinsam gegen diese Entwicklungen einzustehen.

Warum ist eine Veranstaltung wie die Jugendbegegnung wichtig?

Die Jugendbegegnung bietet eine wertvolle Gelegenheit, Bildung mit persönlichem Austausch zu verbinden und neue Perspektiven zu gewinnen. Zudem fördert sie die Vernetzung junger Menschen mit gemeinsamen Interessen und Zielen. Nicht jeder hat die Möglichkeit, aktiv an Gedenkveranstaltungen teilzunehmen, sei es aus finanziellen oder anderen Gründen. Solche Veranstaltungen schaffen daher einen wichtigen Zugang zur Auseinandersetzung mit der Geschichte.

Was erwartest du von der Jugendbegegnung, worauf bist du am meisten gespannt?

Da ich bisher noch nie in Auschwitz war, bin ich gespannt darauf, diesen Ort persönlich zu erleben und seine Bedeutung besser zu verstehen.

Ich möchte mich mit den anderen Teilnehmenden über Themen wie Identität, allgemeine Erfahrungen und das Programm der Jugendbegegnung austauschen. Besonders interessiert mich auch ein Dialog über die aktuelle politische Situation und die unterschiedlichen Einschätzungen dazu.

Mohamad
Ein junger Mann steht mit verschränkten Armen vor einem Geländer. Es ist Nacht und man erkennt die Berliner Skyline im Hintergrund. Er trägt eine Mütze und eine schwarze Jacke und blickt in die Kamera.

© privat

Wie kam es dazu, dass du dich mit den Themen Holocaust und Verfolgung durch die Nationalsozialisten beschäftigst?

Mein Interesse an diesen Themen entstand aus einer tiefen Überzeugung, dass die Geschichte des Holocausts und der nationalsozialistischen Verfolgung zentrale Themen unserer Gesellschaft sind. Durch Dokumentationen und Büchern habe ich verstanden, wie wichtig es ist, sich mit diesen Verbrechen auseinanderzusetzen, um die Lehren der Vergangenheit zu bewahren und aktiv gegen Diskriminierung und Rassismus einzutreten.

Inwiefern engagierst du dich in der Erinnerungskultur und Bildungsarbeit?

Ich engagiere mich durch die Teilnahme an Projekten und Gedenkveranstaltungen, die sich mit der Geschichte des Holocausts befassen. Zudem unterstütze ich Initiativen, die sich an junge Menschen richten, um das Bewusstsein für die Gefahren von Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz zu schärfen. Auch im schulischen Kontext spreche ich regelmäßig über diese Themen und ermutige andere, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Was ist das Ziel deines Engagements?

Mein Ziel ist es, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Erinnerung an die Opfer des Holocausts lebendig bleibt. Ich möchte die Werte von Respekt, Menschlichkeit und Toleranz fördern und dazu beitragen, dass sich solche Verbrechen niemals wiederholen können. Gleichzeitig geht es darum, auf aktuelle Formen von Ausgrenzung und Hass aufmerksam zu machen und für ein solidarisches Miteinander einzustehen.

Die Zeitzeugen des Holocausts werden immer weniger. Welche Gefahren siehst du, wenn die Erinnerungskultur nicht zeitgemäß weiterentwickelt wird?

Wenn die Erinnerungskultur nicht weiterentwickelt wird, besteht die Gefahr, dass die Verbrechen des Holocausts in Vergessenheit geraten oder als abstrakte Ereignisse wahrgenommen werden. Ohne die lebendigen Berichte der Zeitzeugen könnte die Empathie für die Opfer schwinden, und Geschichtsverfälschung oder Relativierung hätten leichteres Spiel. Es ist daher entscheidend, digitale und kreative Formate zu entwickeln, die junge Menschen erreichen, und zugleich die Werte der Zeitzeugen weiterzutragen.

Warum ist eine Veranstaltung wie die Jugendbegegnung wichtig?

Solche Veranstaltungen sind wichtig, weil sie junge Menschen zusammenbringen und ihnen die Möglichkeit geben, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie fördern den Austausch, die Reflexion und das Bewusstsein für die Verantwortung, die wir alle für die Zukunft tragen. Gleichzeitig zeigen sie, wie universell die Botschaften von Erinnerung und Gedenken sind.

Worüber möchtest du dich mit den anderen Teilnehmenden austauschen?

Ich möchte mich darüber austauschen, wie Erinnerungskultur in unterschiedlichen Ländern und Kontexten gelebt wird, welche Ideen und Projekte es gibt und wie wir uns gegenseitig inspirieren können. Auch die Frage, wie wir junge Menschen besser erreichen und für diese Themen sensibilisieren können, interessiert mich sehr.

Lea
Eine junge Frau trägt eine hellblaue Jeansjacke und sitzt auf einem rot-goldenen Sessel in einer Hotellobby und blickt lächelnd nach oben.

© privat

Wie kam es dazu, dass du dich mit den Themen Holocaust und Verfolgung durch die Nationalsozialisten beschäftigst?

Dadurch, dass ich jüdisch bin und auch meine Familiengeschichte von diesem Detail sehr geprägt wurde, obgleich meine Eltern aus der ehemaligen Sovietunion kommen, kam diese Auseinandersetzung fast automatisch. Ich erinnere mich noch gut, als ich zum ersten Mal davon in der Schule hörte und mich in diesem Kontext nicht verstand. Warum schauen jetzt alle auf mich? War mein Opa da auch? Wäre ich dort auch gewesen?

Inwiefern engagierst du dich in der Erinnerungskultur und Bildungsarbeit?

Jüdisch zu sein und das als Teil der eigenen Geschichte oder Identität zu begreifen und damit offen umzugehen, ist oft schon ein Schritt in Richtung von Bildungsarbeit. Dabei geht es darum, ein Gesicht zu zeigen. Wenn ich Leuten begegne, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich die erste und letzte Jüdin in ihrem Leben sein werde, die ihre Vorstellungen, die sie durch Bilder aus dem Religionsbuch oder aus den Medien haben, bricht. Ich lebe sehr säkular, mir kann man mein Judentum äußerlich nicht „ablesen“.

Diese Art von Begegnung greift auch das Projekt „Meet a Jew“ auf, bei welchem ich mich seit 2017 engagiere. Die Idee dahinter ist eine interreligiöse bzw. interkulturelle Begegnung auf Augenhöhe, so weit wie möglich, und ein Austausch mit Klassen oder Studi-Gruppen gleichen Alters. Seit bald acht Jahren gehe ich also in Klassen bzw. Gruppen und tausche mich mit ihnen aus – viel in Großstädten, wobei ich versuche, einmal im Jahr auch weiter rauszufahren in die ländlichen Regionen. Dort haben solche Begegnungen einen anderen Charakter und Wert.

Wird in Schule, Familie, Gesellschaft genug über das Thema Holocaust und nationalsozialistische Verfolgung gesprochen?

Aus meiner Perspektive wurde in meinem Umfeld viel darüber gesprochen. Aber eben auch, weil eine jüdische Schülerin in der Klasse oder in der Schule die Lehrkräfte oft daran zu erinnern scheint. Inzwischen merke ich, dass es etwas abflacht, weil so viele andere Themen relevant sind und eine Art kollektive Genervtheit eingetreten ist, „schon wieder“ darüber zu sprechen. Viele Menschen sind überreizt von dem, was aktuell in der Welt passiert und eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wirkt dann auf den ersten Blick nicht so relevant oder nicht mehr verkraftbar.

Einmal war ich über „Meet a Jew“ in einer 7. Klasse und dort hatte noch niemand vom Nationalsozialismus gehört. Das hat mich ehrlich überrascht.

Inwiefern würdest du dir eine größere Auseinandersetzung mit und Sensibilisierung für das Thema wünschen?

Für mich ist ein Bogen zur heutigen Geschichte wichtig. Wir reden gerne über tote Juden und vergessen, dass heute wieder viele Jüdininnen und Juden in Deutschland leben. Es geht nicht nur darum, was jetzt in der Welt passiert und damals Schreckliches passiert ist, es geht auch darum, wie das Damals unser Jetzt prägt. Viele öffentliche Auseinandersetzungen scheinen mir da noch sehr eindimensional.

Warum ist eine Veranstaltung wie die Jugendbegegnung wichtig?

Solche Veranstaltungen bringen geschichtliche Themen in die Gegenwart und bieten eine Plattform, sich untereinander weiter auszutauschen und aus unseren kleinen Lebenskontexten herauszukommen. Sie zeigen uns, wie viele andere ebenfalls engagiert sind und regelmäßig über den eigenen Tellerrand hinausschauen.

Was erwartest du von der Jugendbegegnung, worauf bist du am meisten gespannt?

Ich bin gespannt auf den Bundestag als Ort. Man hört über ihn, ich habe ihn von außen gesehen, kenne Leute, die dort Praktika absolviert haben – jetzt habe ich Lust darauf, ihn auch selbst zu sehen.

Außerdem denke ich daran, wie es wohl sein wird, in Auschwitz zu sein. „Gespannt“ allein passt nicht zu dem Gefühl, dass mich überkommt, wenn ich an den Besuch der Gedenkstätte denke. Ich war vor etwa neun Jahren als Teil einer Studienfahrt mit der jüdischen Gruppe in Theresienstadt, einem ehemaligen KZ in Tschechien. Seitdem ist viel passiert. Einerseits auf persönlicher Ebene, aber eben auch wenn man das Weltgeschehen betrachtet. Ich bin „gespannt“ darauf, wie es sein wird, dort zu sein und welche Gefühle es bei mir auslösen wird.

Daniel
Ein junger Mann trägt ein schwarzes Shirt und steht vor einer hellen Tapete. Er trägt eine Brille und lächelt in die Kamera.

© privat

Wie kam es dazu, dass du dich mit den Themen Holocaust und Verfolgung durch die Nationalsozialisten beschäftigst?

Ich habe mich bereits in der Schule sehr für das Thema interessiert. Als ich dann zum ersten Mal eine KZ-Gedenkstätte besucht habe, habe ich mich auch immer mehr privat mit dem Thema beschäftigt, sodass ich jetzt auch meinen Bundesfreiwilligendienst in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora mache und dort im Bereich der Bildungsarbeit aktiv bin. Das bedeutet, ich mache Rundgänge und bringe Besuchern den Ort mit seiner Geschichte näher. Gerade befinde ich mich in der Ausbildung für Schulklassenbetreuung, um dann auch Schülern den Ort näher bringen zu dürfen.h mache.

Was ist das Ziel deines Engagements?

Ich möchte einen Teil dazu beitragen, dass „Nie wieder“ mehr ist als nur eine Floskel. Menschen müssen sich ganz bewusst dafür einsetzen. Das bedeutet jeglicher Form der Diskriminierung und des Rassismus im Alltag bewusst entgegenzutreten. Und mein Ziel ist es Menschen dafür zu sensibilisieren.

Wird in Schule, Familie, Gesellschaft genug über das Thema Holocaust und nationalsozialistische Verfolgung gesprochen?

Ich denke, in der Schule nimmt das Thema zwar im Geschichtsunterricht viel Raum ein, aber vieles wird nicht wirklich greifbar vermittelt. Deshalb sollte für jeden Schüler ein Besuch einer Gedenkstätte verpflichtend im Lehrplan verankert werden. Auch in unserer Gesellschaft muss das Gedenken an die Opfer stärker gefördert werden, denn es fehlt an einer Sensibilisierung und Sichtbarkeit dieses Themas in der Gesellschaft. Initiativen, wie das Verlegen von Stolpersteinen, sind richtige Schritte, um die Gesellschaft mehr für das Thema zu sensibilisieren.

Inwiefern würdest du dir eine größere Auseinandersetzung mit und Sensibilisierung für das Thema wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass wir uns mehr mit dem Aktualitätsbezug des Themas beschäftigen. Rassismus, insbesondere Antisemitismus, gehören leider nicht der Vergangenheit an, sondern sind Phänomene, die es bis heute immer noch in unseren Gesellschaften gibt. Und dass 1933 die NSDAP an die Macht kam, lag unteranderem daran, dass Rassismus in der Gesellschaft mehrheitsfähig war und das darf sich nicht wiederholen!

Die Zeitzeugen des Holocausts werden immer weniger. Welche Gefahren siehst du, wenn die Erinnerungskultur nicht zeitgemäß weiterentwickelt wird?

Aus meiner Sicht besteht die Gefahr darin, dass es Menschen schwerer fallen wird, Empathie für die Menschen, welche von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, zu empfinden, wenn Zeitzeugen ihre Geschichten nicht mehr authentisch erzählen können. Dies führt zu einer erschwerten Vermittlung, da man Menschen schwieriger für die Verbrechen und deren Opfer sensibilisieren kann. Dies öffnet dann leider auch zunehmend die Tür für geschichtsrevisionistische Positionen wie der „Schuldkulttheorie“.

Warum ist eine Veranstaltung wie die Jugendbegegnung wichtig?

Ich denke es ist wichtig, dass sich gerade die jungen Generationen vernetzen, um in den Austausch zu gelangen, wie Formate des Erinnerns weiterentwickelt werden können und wie wir mehr Leute, insbesondere in unserer Generation, dazu zu motivieren, sich gegen das Vergessen an die NS-Verbrechen einzusetzen. Ich möchte mich gerne über verschiedene Formen des Engagements in der Erinnerungskultur unterhalten und erfahren, wie andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Formate des Erinnerns anpassen, sodass sie auch in der Zukunft Menschen effektiv erreichen. Auch wie sie mit der zunehmenden Bedrohung der Erinnerungskultur von rechtsextremen Gruppierungen umgehen und was sie in ihrem Engagement antreibt, interessiert mich.