Blog Tag 4 Das Ringen um Anerkennung
Im Konzentrationslager Ravensbrück wurden tausende Frauen gequält, gedemütigt, zur Zwangsarbeit gezwungen, umgebracht. Auch viele lesbische Frauen waren hier inhaftiert. Ihre Geschichte steht dieses Jahr im Mittelpunkt der Jugendbegegnung.
Verstöße gegen das Volksempfinden, Kuppelei, Rassenschande oder Prostitution. Dies sind nur einige der angeblichen Vergehen, für die Frauen im Dritten Reich in das Konzentrationslager Ravensbrück gesperrt wurden. Schätzungsweise rund 130.000 Frauen aus 20 Nationen waren dort von 1939 bis 1945 insgesamt inhaftiert, mussten Zwangsarbeit leisten, waren medizinischen Experimenten, Hunger und Tod ausgeliefert.
Am dritten Tag der Jugendbegegnung besuchen wir die Gedenkstätte, die sich auf dem Gelände des ehemaligen KZs befindet. Viele Teilnehmende nutzen die rund eineinhalbstündige Fahrt dorthin, um ein bisschen Schlaf nachzuholen. Kurz vor Ravensbrück ist die Landschaft von einer dünnen Schneeschicht überzogen. Der Schnee knirscht unter unseren Schuhen, als wir aus den Bussen steigen. Vor uns steht eine kleine Ansammlung von Häusern, mit Holzbalkonen und -fensterläden; die Wohnhäuser der Aufseherinnen und SS-Offiziere. Der Schwedtsee ist wenige Meter entfernt. Trotz der kalten Temperaturen und kargen Bäume wirkte der Ort friedlich. Ein Eindruck, den ich nur schwer mit dem Leid in Verbindung bringen kann, das sich wenige Meter entfernt in dem Gefangenenlager abgespielt hat. Auch für Julia (19), die in der Gedenkstätte ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolviert, stellt sich dieses Gefühl vor allem bei schönem Wetter ab und zu noch ein.
Hinter der Wohnhaussiedlung der SS verläuft die Straße, auf der die Frauen zu den Toren des KZs getrieben wurden. Das Tor existiert heute nicht mehr. Nur noch einzelne Metallstäbe lassen seine Dimension erahnen.
Systematische Demütigungen
Der erste Weg der Gefangenen führte in das Häftlingsbad, von dem heute nur noch das Fundament steht. Dort sollten sie ihre Kleidung ablegen, wurden untersucht und mussten teilweise stundenlang nackt auf dem Appellplatz in der Kälte stehen. Diese Behandlung diente vor allem der Demütigung der Gefangenen, erklärt Thomas Kunz. Er arbeitet für die Gedenkstätte und führt uns heute über das Gelände.
Das Konzentrationslager wurde von männlichen Gefangenen aus der Umgebung gebaut. Erst später wurden auch Männer in Ravensbrück in einem separaten Bereich des Lagers inhaftiert. „Das Lager glich einer andauernden Baustelle“, sagt Kunz. Die steigende Gefangenenzahl habe dafür gesorgt, dass es ständig erweitert werden musste. 1945 bestand es aus 32 Wohnbarracken, von denen heute keine mehr steht. Nur Vertiefungen im Boden erinnern daran, wo sie sich einmal befunden haben. In der Ferne können wir die Mauer des Lagers erkennen und davor die ehemalige Textilfabrik. In Schichten zu je zehn (später zwölf) Stunden mussten die Inhaftierten Zwangsarbeit leisten. Teilweise wurden sie dafür auch in Außenlager gebracht oder an Betriebe in der Umgebung ausgeliehen. Jede zweite inhaftierte Frau hätte damals für die Rüstungsindustrie arbeiten müssen, sagt Kunz.
Der Tod war ein ständiger Begleiter in Ravensbrück. Viele Frauen starben in dem Lager durch Erschöpfung, Krankheit, Unterernährung oder an den Folgen medizinischer Experimente. Doch erst in der letzten Phase des Krieges seien die Inhaftierten systematisch ermordet worden und Ravensbrück ein „Ort des Sterbens“ geworden, sagt Kunz. In einer Gaskammer wurden die Frauen ermordet, ihre Leichen in dem Krematorium hinter der Lagermauer verbrannt. Das Krematorium mit seinen drei Öfen ist bis heute erhalten, der Schornstein vom Appellplatz vor den Wohnbarracken aus gut sichtbar. „Die Öfen in dem Krematorium zu sehen, war ein bedrückendes Gefühl“, sagt Julian (18) später. Er besucht heute zum ersten Mal eine KZ-Gedenkstätte.
Nicht alle sehen lesbische Frauen als Verfolgte an
Wir gehen an der Mauer entlang, vorbei am Lagergefängnis, wo noch heute die Fenster vergittert sind. Auf der Außenseite der Mauer sind zahlreiche Gedenktafeln angebracht. Unter anderem eine Plakette in Erinnerung an die verfolgten homosexuellen Männer. Wenige Schritte entfernt befindet sich das Denkmal für die lesbischen Frauen. Eine Keramikkugel mit zwei Handabdrücken und der Inschrift: „In Gedenken aller lesbischen Frauen und Mädchen im Frauen-KZ Ravensbrück und Uckermark. Sie wurden verfolgt, inhaftiert, auch ermordet. Ihr seid nicht vergessen.“
Bis zum Jahr 2022 hat es gedauert, dass die Opfergruppe der lesbischen Frauen ein eigenes Denkmal erhielt. Nicht jeder unterstützte diese Idee. Kritiker merkten in der Planungsphase an, dass „lesbisch“ kein Hauptgrund für die Verfolgung von Frauen gewesen sei. Während homosexuelle Männer einen rosa Winkel an ihrer Häftlingskleidung tragen mussten, habe es für lesbische Frauen beispielsweise keine eigene Kategorie gegeben. Trotzdem spielte die sexuelle Orientierung bei der Verfolgung und Verhaftung eine Rolle, sagt Kunz. Die Abkürzung „LL“ für lesbische Liebe fände sich beispielsweise auf einigen Einlieferungsscheinen.
Ein Moment der Reflektion
Während die Teilnehmenden sich im Anschluss an die Führung in Workshops mit einzelnen Biographien beschäftigen oder die Kontroverse um das Denkmal aufarbeiten, nutze ich die Zeit und gehe noch einmal alleine auf das Gelände. In der Ferne entdecke ich zwei weitere Besucher, sonst ist niemand unterwegs. Alleine fällt mir sofort auf, wie still es dort ist. Bis auf vereinzeltes Vogelgezwitscher sind keine Geräusche zu hören. Diese Stille, die ich aus Berlin nicht gewohnt bin, hat etwas Erdrückendes an sich. Sie konfrontiert einen mit dem Ort, lässt Platz für die eigenen Gedanken.
Ein Satz, der während der Führung gefallen ist, will mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Als wir vorhin die Wohnhäuser der Aufseherinnen anschauten, erzählte Kunz, dass eine ehemalige Aufseherin einmal sagte, dass sie in Ravensbrück die „schönste Zeit ihres Lebens hatte“. Ihre Freundinnen seien dort gewesen, sie hätte gut verdient und ihren Verlobten kennengelernt. Rund 3.000 Aufseherinnen wurden in Ravensbrück ausgebildet und sind mit einer enormen Brutalität gegen die Inhaftierten vorgegangen. Entgegen früherer Behauptungen sind sie laut Kunz nicht zu dieser Tätigkeit gezwungen worden, sondern haben freiwillig in den KZs gearbeitet. Dennoch wurden lediglich 77 von ihnen für ihre Handlungen verurteilt. Es muss für die Inhaftierten wie blanker Hohn gewirkt haben, dass sie auch Jahrzehnte nach Ende des Krieges keine Anerkennung für ihr Leid erfahren haben, während die Täterinnen ihre Leben einfach weiterleben konnten.
(Denise Schwarz)