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Blog Tag 6 Gegen das Vergessen

Carolin Hasse

Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz-Birkenau: Die Erlebnisberichte und Botschaften der Zeitzeugen und Holocaust-Überlebenden lassen die Teilnehmenden der Jugendbegegnung beeindruckt, bewegt, nachdenklich und auch besorgt zurück.

In einem abgedunkelten Raum sitzen Leute in Stuhlreihen und blicken auf eine Leinwand, auf der die Live-Übertragung einer Gedenkfeier gezeigt wird.

Die Teilnehmenden der Jugendbegegnung verfolgen die Zeremonie der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz-Birkenau über eine Leinwand. © DBT/Stella von Saldern

Das Torhaus von Auschwitz-Birkenau, jenes bedrückende Symbol des deutschen Vernichtungslagers, ist in rotes Licht getaucht. Davor steht ein alter Viehwaggon – einer von jenen, in denen die Nationalsozialisten ihre Opfer in die Konzentrationslager transportierten. Umrahmt wird die Szenerie von einem gewaltigen Zelt, das sich über das Torhaus und ein Bahngleis spannt. Rechts und links der Schiene finden die Gäste der Gedenkfeier ihren Platz. Dort sitzen gekrönte Häupter, Staats- und Regierungschefs sowie Delegationen aus 56 Ländern. Es ist der 27. Januar 2025, der 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz-Birkenau – ein Tag des Erinnerns und der Mahnung.

Unsere Gruppe verfolgt die Zeremonie von der Jugendbegegnungsstätte aus über eine große Leinwand. Anfangs ist die Stimmung etwas gedrückt, weil wir nicht im Festzelt sein können – es ist einfach voll. Nur Kristina und Jakob, ausgewählte Vertreter unserer Gruppe, nehmen vor Ort teil. Doch letztlich zeigt sich: Über die Leinwand haben wir einen besseren Blick auf die Rednerinnen und Redner und das Geschehen im Festzelt.

In einem Festzelt mit weißen Wänden sitzen viele Menschen auf Stühlen. Die meisten tragen Kopfhörer und klatschen.

Kristina und Jakob, hier direkt in der ersten Reihe zu sehen, waren die einzigen Teilnehmer der Jugendbegegnung, die die Zeremonie direkt im Festzelt miterleben durften. © Auschwitz-Birkenau State Museum/Wojciech Grabowski

„Wir waren nur noch Wegwerf-Gegenstände“

Die Gedenkveranstaltung widmete sich dem Erinnern an die Opfer des Holocaust und der Würdigung der Überlebenden. Denn der Jahrestag gilt als einer der letzten runden Jahrestage, an dem noch Zeitzeugen teilnehmen können. Mehr als 50 ehemalige Häftlinge – darunter Überlebende von Auschwitz-Birkenau und anderen Lagern – sind anwesend. Vier von ihnen teilten ihre Geschichten und richteten eindringliche Botschaften an die Welt.

Tova Friedman (86) erzählte, wie sie als fünfjähriges Mädchen in Auschwitz miterlebte, wie Kinder aus ihrer Baracke direkt in die Gaskammern geführt wurden. „Ich dachte, es sei normal: Wenn du jüdisch bist, musst du sterben.“ Leon Weintraub, 99 Jahre alt, erinnerte sich daran, wie ihm bei der Ankunft im Lager die Haare abrasiert, sein Körper mit Desinfektionsmittel behandelt und er in Lumpen gekleidet wurde. „Man nahm uns das Menschsein. Wir waren nur noch Wegwerf-Gegenstände.“

Die Überlebenden mahnen, dass sich die Geschichte niemals wiederholen dürfe. „80 Jahre nach der Befreiung befindet sich die Welt erneut in einer Krise“, sagt Friedman. Sie ist alarmiert von einem „erschreckenden Anstieg des Antisemitismus“. Marian Turski, 98 Jahre alt, warnt: „Es ist derselbe Antisemitismus, der einst zum Holocaust geführt hat.“ Seine Worte hallten lange nach. Auch Weintraubs Appell an die junge Generation ist unmissverständlich: „Seid wachsam gegenüber jeder Form von Intoleranz oder Hass – ob gegen andere Hautfarben, Religionen oder sexuelle Orientierungen.“

Auschwitz: Ort des Grauens

Am Ende der Gedenkveranstaltung stellen die Überlebenden Kerzen auf eine Art Altar, um an die Opfer des Holocaust zu erinnern. Es ist ein Moment, der kaum jemanden unberührt lässt – überall im Raum werden die Taschentücher gezückt. Für die Überlebenden ist Auschwitz der Ort, an dem sie ihre Familien und Freunde vielleicht zum letzten Mal gesehen und unzählige von ihnen verloren haben. In den Reden der Überlebenden wird deutlich, wie sehr sie sich vor erneut aufkeimendem Rassismus und Antisemitismus fürchten.

Jakob, der die Veranstaltung im Zelt miterleben durfte, erzählt mir später, wie beeindruckend und bewegend er den Tag fand. Die Kulisse mit dem rot beleuchteten Torhaus und den Lichteffekten sei zwar ästhetisch ansprechend gewesen, passe aber irgendwie nicht zu diesem Ort des Grauens, sagt er nachdenklich. Trotzdem sei er dankbar, Teil dieses geschichtsträchtigen Moments gewesen zu sein: „Die Botschaft ist klar: Die Geschichte darf sich nicht wiederholen“, sagt er.

Generation mit großer Verantwortung

Die Verantwortung der jungen Generation, der zunehmende Antisemitismus, Rassismus und das Erstarken rechter Kräfte prägen die Diskussionen des Tages. Bereits am Vormittag hatten wir die Möglichkeit, mit Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, und Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, über diese drängenden Themen zu sprechen. Beide waren sich einig: Es liegt an jedem Einzelnen, in seinem persönlichen Umfeld Verantwortung zu übernehmen und rechter Hetze entschieden entgegenzutreten. Pau unterstrich dabei auch die Bedeutung des Austauschs zwischen den Generationen: „Es braucht den Kontakt zwischen den Menschen, insbesondere der jungen Generation, damit wir gemeinsam gegen Krieg und für Demokratie kämpfen können.“

In einem großen Raum mit braun-gelbem Fliesenboden und einer Glasfront, durch die Sonnenlicht fällt, sitzen junge Leute in mehreren Stuhlreihen hintereinander. Drei ältere Leute sitzen an einem kleinen Tisch ihnen gegenüber und sprechen in ein gelbes Mikrofon.

© DBT/Stella von Saldern

Einige der Teilnehmenden berichteten mir später, wie inspirierend und ermutigend sie die Gespräche empfanden. „Der beste Schutz der Verfassung sind engagierte Bürgerinnen und Bürger wie Sie“ – diese Worte von Petra Pau blieben ihnen besonders im Gedächtnis. Denn mit der Botschaft habe sie nicht nur Mut zugesprochen, sondern auch die Bedeutung des Engagements der jungen Erwachsenen im Kampf gegen Hass und Intoleranz gewürdigt.

Eines wurde im Laufe des Tages immer wieder deutlich: Die Zeitzeugen des Holocaust werden nicht für immer da sein. In wenigen Jahren wird es niemanden mehr geben, der die Schrecken der Vergangenheit persönlich bezeugen kann. Damit wächst die Verantwortung unserer Generation – jener, die noch mit Zeitzeugen sprechen durfte. Es ist unsere Aufgabe, ihre Geschichten und Mahnungen weiterzutragen, um gegen das Vergessen anzukämpfen und die Erinnerung lebendig zu halten. Als der Tag in der Jugendbegegnungsstätte ausklingt, bleiben die Eindrücke: Die Geschichten der Überlebenden, ihre eindringlichen Warnungen und der gemeinsame Wille, für Frieden und Toleranz einzutreten.

Morgen geht es zurück nach Berlin. Was da auf dem Programm steht, erfahrt ihr im nächsten Blogeintrag!

Carolin