Interview „Gegen die Erderwärmung haben wir keine Impfung“
Als neue Chefin der Kinderkommission – kurz KiKo – erklärt Charlotte Schneidewind-Hartnagel (Grüne), warum Klima und Umwelt ihr besonders am Herzen liegen und wie man in der KiKo an einem Strang zieht.
Sie sind neue KiKo-Vorsitzende. Welche Schwerpunkte werden Sie setzen?
Ich habe mir das Oberthema „Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung auf Kinder und Jugendliche“ ausgesucht. Dieses wurde in der Kinderkommission noch nie behandelt, obwohl es extrem wichtig ist. Gegen das Corona-Virus haben wir jetzt eine Impfung, gegen die Erderwärmung nicht. Außerdem wissen wir, dass der Klimawandel sehr viele junge Menschen besorgt.
Besonders wichtig ist mir, dass auch Jugendliche selbst zu Wort kommen. Es soll unter meinem Vorsitz möglichst keine Anhörung geben, in der wir nur erwachsene Expertinnen und Experten zu Gast haben. In der Kinderkommission will ich nicht nur über Kinder und Jugendliche sprechen, sondern mit ihnen. Ich will ihnen eine Stimme geben. Denn sie haben eine. Und in der Kinderkommission geht es um sie. Die größten Expertinnen und Experten für Kinder und Jugendliche sind sie selbst.
Vorsitzwechsel im Februar
Unter Ihrem Vorgänger Norbert Müller (Die Linke) hat sich die KiKo verstärkt mit der Corona-Pandemie und ihrem Einfluss auf Kinder und Jugendliche beschäftigt. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Die Regierung hat sich viel zu spät um die Belange von Kindern und Jugendlichen gekümmert. Die Belastungen waren schon im ersten Lockdown extrem: Schulschließungen, Kontaktverbote, Hygiene- und Quarantäneregeln.
Und vor allem gab es keine altersgerechten Informationen für Kinder und Jugendliche. Die Folgen der Pandemie waren für junge Menschen kaum verständlich. Von Mitsprache war überhaupt keine Spur.
Auch nach dem ersten Lockdown hat die Regierung keine durchdachten Konzepte für die Wiedereröffnung der Schulen vorgelegt. Jedes Bundesland hat unterschiedlich gearbeitet. Maske ja oder nein? Wenn ja, ab welchem Alter? Fernunterricht oder Wechselunterricht mit halbierten Klassen? Dazu gab es keine einheitliche IT-Ausstattung und mangelhaftes WLAN an vielen Schulen. Das alles wurde nicht thematisiert.
Kinder und Jugendliche waren am Anfang überhaupt kein Thema. Ihre Stimme wurde nicht gehört. Im sogenannten Corona-Kabinett saß die zuständige Ministerin, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), gar nicht mit am Kabinettstisch.
Norbert Müller (Linke)
Konnte die KiKo daran etwas ändern?
Ja, das glaube ich ganz sicher. Wir haben zwar keinen direkten Einfluss auf die Gesetzgebung oder die Mehrheiten im Parlament. Aber natürlich nehmen wir KiKo-Mitglieder die Erkenntnisse, die wir im Gespräch mit den Expertinnen und Experten gewinnen, mit in unsere Fraktionen.
In meiner Fraktion ist der Einfluss der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche von Anfang an thematisiert worden. Da war es natürlich hilfreich, dass ich die Erkenntnisse aus der Kinderkommission wiedergeben und sagen konnte: Das bestätigt genau das, was wir fordern.
In der KiKo sind Sie „die Neue“ und seit Dezember 2019 dabei. Warum machen Sie sich für Kinder und Jugendliche stark?
Das habe ich eigentlich immer schon gemacht. Bevor ich in den Bundestag kam, war ich Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg und saß dort im Sozialausschuss. Die Politik, die wir machen, gestaltet unsere Zukunft.
Und es ist vor allem die Zukunft junger Menschen, für die wir eine besondere Verantwortung tragen. Kinder und Jugendliche brauchen eine starke Stimme, die sie vertritt, die sie hört und ihre Interessen berücksichtigt.
Bei der Kinderkommission läuft manches anders als in anderen Gremien – zum Beispiel, dass sich ihre Mitglieder im Vorsitz abwechseln. Bringt das Vor- oder Nachteile?
Dass der Vorsitz der Kinderkommission wechselt, finde ich gut. Denn dadurch kann jedes Mitglied eigene Schwerpunkte setzen. Außerdem hat jeder von uns ein unterschiedliches Netzwerk und Kontakte zu verschiedenen Expertinnen und Experten.
Anders ist in der KiKo auch die Art und Weise, wie wir Entscheidungen treffen. Eine einfache Mehrheit wie sonst bei Abstimmungen im Bundestag reicht nicht aus. Wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit. Wenn die nicht hergestellt werden kann, gilt der Beschluss, die Stellungnahme oder der Vorschlag als nicht angenommen. Das bedeutet auch, dass man manchmal Zugeständnisse machen und auf die anderen zugehen muss. Das macht die Kinderkommission besonders.
Bislang haben wir es immer geschafft, uns zu einigen. Die demokratischen Parteien arbeiten hier sehr gut zusammen. Wir sind uns in vielem einig – nur über den Weg dahin haben wir manchmal andere Ansichten. Ich finde, es ist eine sehr gute Zusammenarbeit.
Weil sie an einem Strang ziehen?
Ja, genau darum geht es. Eben nicht: Die eine Hälfte ist dafür, die andere dagegen. Jedes Mitglied der Kinderkommission soll sich mitgenommen fühlen. Mir bereitet diese Art des Arbeitens sehr große Freude.
Der Vorsitz in der KiKo wechselt in der Reihenfolge der Fraktionsgröße. Sie sind als Letzte an der Reihe. Profitieren Sie von den Erfahrungen Ihrer Vorgänger?
Bündnis 90/Die Grünen ist derzeit die kleinste Fraktion im Bundestag, deshalb sind wir mit dem Vorsitz in der KiKo als letzte dran. Für mich persönlich ist das von Vorteil, denn ich bin ja Nachrückerin und erst seit November 2019 überhaupt im Bundestag dabei. Dadurch konnte ich mir die Kinderkommission unter anderen Vorsitzenden eine Zeitlang angucken, bevor ich ins Amt kam.
Generell finde ich es aber gar nicht so wichtig, wann man dran ist. Es geht darum, was man aus dem Vorsitz macht, welches Thema man besetzt und wie gut. Ob das am Anfang, in der Mitte oder am Ende der Legislaturperiode stattfindet, finde ich gar nicht so entscheidend.
Über Charlotte Schneidewind-Hartnagel
Charlotte Schneidewind-Hartnagel, 67, sitzt seit November 2019 für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Sie ist Mitglied des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Kinderkommission, dessen Vorsitzende sie ist. Bei den Grünen ist Schneidewind-Hartnagel seit 1998. Bevor sie nach Berlin kam, war sie Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg und saß dort im Sozialausschuss. Mehr erfahrt ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de.