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Sexualisierte Gewalt Den Sport safer machen

Eric Matt

Spiel, Spaß und Gemeinschaft – das verbinden wohl die meisten mit Sport. Einer Studie zufolge erlebten jedoch ein Drittel der befragten Kinder und Jugendlichen sexualisierte Gewalt im Spitzensport. Wie man Sport sicherer machen kann, wollte der Sportausschuss kürzlich von Experten wissen.

Vier junge Menschen von hinten beim Laufen

Eine unabhängige Anlaufstelle, mehr Personal oder mehr Aufklärung – Vorschläge gab es viele, um Sport sicherer zu machen. © shutterstock.com/Jacob Lund

Egal ob Fußball, Leichtathletik oder Turnen: Damit Kinder und Jugendliche Vereinssport treiben können, brauchen sie in der Regel einen Trainer. Im besten Fall unterstützt dieser die jungen Menschen sowohl sportlich als auch persönlich in ihrer Entwicklung. Im schlechtesten Fall jedoch nutzt er seine Stellung aus und wendet sexualisierte Gewalt an – belästigt, bedroht oder missbraucht die Opfer also.

Doch was kann die Politik tun, um junge Menschen im Vereinssport und auch Sportler und Sportlerinnen des Spitzensports besser zu schützen? Diese Frage behandelte der Sportausschuss in einer öffentlichen Anhörung. Die geladenen Expertinnen und Experten sprachen sich unter anderem für eine unabhängige Beratungsstelle aus, an die sich Opfer von körperlicher, psychischer oder sexualisierter Gewalt wenden könnten.

Wo liegt das Problem?

In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt rund 88.000 Sportvereine, in denen sich etwa 7,3 Millionen junge Menschen bis sie 18 sind sportlich betätigen. Damit sich die Kinder und Jugendlichen sportlich und persönlich weiterentwickeln können, braucht es neben Talent, Disziplin und Ehrgeiz vor allem eines: Eine gute Trainerin oder einen guten Trainer.

Mehrmaliges wöchentliches Trainieren, überschwängliche Siege oder bittere Niederlagen – zwischen Spielern und Trainern entsteht oftmals ein besonderes Näheverhältnis. Dieses Näheverhältnis nutzen manche jedoch aus: Sie belästigen Kinder und Jugendliche und versuchen, sie zu sexuellen Handlungen zu überreden oder gar zu zwingen. Die Schäden begleiten die Opfer oft ein Leben lang und können zu psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen führen. Wie groß das Problem im deutschen Spitzensport ist, untersuchte die Studie „Safe Sport“.

Was steht drin?

Verantwortlich für die Studie „Safe Sport“ ist die Deutsche Sporthochschule Köln in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Ulm und der Deutschen Sportjugend. Finanziert wurde das Ganze vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Wie der Name der Studie schon vermuten lässt, war das Hauptziel, Sport „safer“ – also sicherer – zu machen, um künftig sexualisierte Gewalt zu verhindern. Dabei wollten die Forscherinnen und Forscher das bisherige Ausmaß und die Art von sexualisierter Gewalt im Sport untersuchen. Außerdem wollten sie auch Ursachen sichtbar machen und herausfinden, welche möglichen präventiven – also vorbeugenden – Maßnahmen man ergreifen könnte.

Ein paar Zahlen: Für die Studie wurden 1.799 Sportlerinnen und Sportler aus 128 verschiedenen Sportarten und 57 Verbänden befragt. Als Ergebnis kam heraus, dass jede dritte Person schon einmal Opfer von sexualisierter Gewalt war. Jede neunte musste dies sogar in besonders schwerer Weise oder über längere Zeit ertragen. Die Verantwortlichen der Studie fanden auch heraus, dass Mädchen öfter betroffen sind als Jungs. Die Mehrheit der Opfer von sexualisierter Gewalt war dabei unter 18 Jahre.

Die Forscher befragten sogenannte Kaderathleten – also junge Menschen, die Spitzensport betreiben und beispielsweise in einer Verbands- oder Nationalmannschaft sind. Kinder und Jugendliche, die nur hobbymäßig Sport betreiben, waren nicht Teil der Befragung. Was die geladenen Experten zu dem Thema sagten, lest ihr im Folgenden.

Auch Breitensport untersuchen

Als Expertin war unter anderen Dr. Petra Tzschoppe geladen, die Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ist. Sie hob hervor, es sei „wichtig, dass wir auf den gesamten Sport in seiner Breite schauen“. So reiche es nicht, nur Kaderathleten zu berücksichtigen, sondern man müsse ebenso sexualisierte Gewalt im Breiten- und Schulsport untersuchen. „Wir wissen dort insgesamt zu wenig. Wir haben noch erhebliche Lücken, um den Schutz vor sexualisierter und psychischer Gewalt besser gestalten zu können“, so Tzschoppe.

Sie sprach sich dafür aus, die Universitäten in ihrer Forschungsarbeit stärker zu unterstützen. Außerdem forderte die Expertin mehr „Men- und Women-Power“ – also mehr Personal, um die Probleme besser lösen zu können. Um sexualisierte Gewalt aber tatsächlich aufzudecken, brauche es „eine Organisationskultur, die offen für Kritik ist, die die Kinderrechte in den Mittelpunkt stellt und die Abhängigkeitsverhältnisse reflektiert und so Machtmissbrauch vorbeugt“.

„Wir würden uns sehr freuen, wenn es noch viel mehr Erkenntnisse gäbe im Bereich des Breitensports und speziell für den Kinder- und Jugendsport, weil da die Erkenntnislage noch sehr, sehr dünn ist“, erklärte Christina Gassner, die Geschäftsführerin der Deutschen Sportjugend im DOSB ist. Sie kritisierte, dass es bisher noch nicht genügend Daten geben würde, um die Ausmaße sexualisierter Gewalt auch im Breitensport feststellen zu können.

Menschen mit Behinderungen berücksichtigen

„Man merkt, dass Studien von Menschen mit Behinderung bisher überhaupt nicht in den Blick genommen wurden, weshalb wir uns Unterstützung wünschen, dieses Feld genauer zu beleuchten“, sagte Katja Kliewer, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Der DBS habe bisher durch eigene Nachforschungen zwar keine Fälle sexueller Gewalt feststellen können, „was natürlich nicht bedeutet, dass es bei uns im Verband kein Thema ist“. Menschen mit Behinderung – beispielsweise Blinde oder Gehörlose – seien besonders gefährdet, Opfer von sexueller Gewalt zu werden, weshalb sie speziell unterstützt werden müssten.

Zentrale Beratungsstelle für Opfer schaffen

Die Angebote für Kinder und Jugendliche, sexualisierte Gewalt zu melden, „werden teilweise nicht angenommen, weil man den Strukturen nicht vertraut. Weil man Angst hat, dass einem nicht geglaubt wird, weil man Angst hat, dass einem nicht geholfen wird“, erklärte Maximilian Klein vom Verein Athleten Deutschland.

Das Vertrauen sei beschädigt, da vereins- oder verbandsinterne Ansprechpartner Hinweisen sexualisierter Gewalt oftmals nicht nachgehen würden. Daher sprach sich Klein für eine zentrale und unabhängige Beratungsstelle aus, an die sich Opfer wenden könnten. Eine solche Stelle würde „Kompetenz bündeln und dann auch die Handlungssicherheit von Verbänden und Vereinen stärken“.

Für eine zentrale Beratungsstelle sprach sich auch Prof. Dr. Bettina Rulofs aus, die an der Deutschen Sporthochschule Köln Sportsoziologe lehrt und die Studie koordinierte. „Es braucht eine Clearing-Stelle, die sich systematisch um die Anliegen von Betroffenen kümmert“, so Rulofs. Dies wünschten sich auch die Sportlerinnen und Sportler, da sie nur selten Vertrauen hätten, sich an die Ansprechpersonen der einzelnen Verbände zu wenden. Außerdem sprach sich Rulofs für präventive Maßnahmen aus. Bisher sei unklar, ob bereits eingeführte Maßnahmen Wirkung zeigten.

Nur 360 Beratungsstellen – zu wenig

„Es braucht unabhängige Ansprechpersonen, weil von den Tätern die Wahrnehmung und das Vertrauen in Institutionen erschüttert wurde. Das heißt, die können gar nicht das Vertrauen in interne Strukturen haben“, sagte Katrin Schwedes, Projektleiterin bei der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF). Aktuell jedoch gebe es noch zu wenige Beratungsstellen. So stünden in Deutschland den 90.000 Vereinen lediglich 360 Beratungsstellen gegenüber. „Das geht nicht auf. Die Kapazitäten für Schutzkonzeptentwicklung und Begleitung von Vereinen reichen vorne und hinten nicht“, so Schwedes. Als Lösung forderte sie eine größere Verantwortung der Bundesländer und mehr Investitionen.

„Kein trainerspezifisches Problem“

„Jede Art des Missbrauchs von Schutzbefohlenen ist inakzeptabel, verlangt Aufklärung und Konsequenzen für die Ausübenden sowie jede Unterstützung der Betroffenen. Gleichzeitig lehnen wir aber auch Vorverurteilungen ab und fordern in jedem Fall eine objektive Aufklärung und Berichterstattung“, erklärte Gert Zender, der Präsident des Berufsverbandes der Trainerinnen und Trainer im deutschen Sport. Jedoch sei sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen kein trainerspezifisches Problem, sondern komme ebenso in anderen Bereichen der Gesellschaft vor.

„Der Sport ist das Spiegelbild der Gesellschaft. In jeder gesellschaftlichen Gruppierung hat Gewalt nichts zu suchen“, so Zender. Auch er befürworte eine unabhängige und zentrale Anlaufstelle, um sexualisierte Gewalt besser aufklären zu können.

Die komplette Anhörung findet ihr wie immer auf bundestag.de oder könnt ihr euch hier im Video anschauen.

Portraitfoto von mitmischen-Autor Eric Matt
Mitmischen-Autor

Eric Matt

... ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zurzeit macht er ein Auslandssemester in Israel.

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