Bundesregierung Cyberstalking schneller bestrafen
Eric Matt
Anrufen, Auflauern, Ausspionieren – das sind übliche Stalking-Methoden. Doch heutzutage nerven Stalker auch übers Internet. Die Bundesregierung will jetzt mit einem Gesetz gegensteuern. Die Opposition zeigte sich zum Teil kritisch, etwa in puncto Stalking-Apps.
Stell dir vor, es ist drei Uhr nachts. Du versuchst zu schlafen, aber andauernd brummt dein Handy: „Hey Love, alles klar?“, „Ich weiß, wo du wohnst“, „Wäre jetzt so gern bei dir“. Das Display zeigt neun verpasste Anrufe an. Um was es geht? Es geht um Situationen, in denen einseitige Liebe überhand nimmt – und in Stalking endet. Was lässt sich dagegen tun?
Diese Frage thematisierten kürzlich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. In Erster Lesung besprachen sie einen Gesetzentwurf der Bundesregierung. Dieser soll das Strafgesetzbuch ändern, um Stalking und insbesondere Cyberstalking zukünftig besser verfolgen zu können. Des Weiteren möchte die Regierung auch die Haftstrafe für Stalker erhöhen.
Was bedeutet Stalking?
Das Wort Stalking kommt ursprünglich aus dem Englischen und bedeutet wörtlich übersetzt „auf die Pirsch gehen“. Unter Stalking versteht man, dass eine Person einer anderen nachspioniert, sie verfolgt, ihr auflauert oder sie beispielsweise durch ständige Anrufe und Nachrichten „terrorisiert“. Ein möglicher Beweggrund eines Stalkers kann beispielsweise eine nicht erwiderte Liebe, Eifersucht oder auch Rache sein.
Stalking ist in Deutschland verboten und kann bisher mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden. So steht es in Paragraf 238 des Strafgesetzbuches. Depressionen, Ängste, innere Unruhe oder Schlafstörungen – die Opfer von permanentem Stalking leiden nicht selten unter psychischen oder körperlichen Beschwerden.
Was schlägt die Bundesregierung vor?
Die Bundesregierung möchte durch ihren Gesetzentwurf eine „effektivere Bekämpfung von Nachstellungen und bessere Erfassung des Cyberstalkings“ erreichen. Dabei verfolgt die Regierung zwei Hauptziele.
Zum einen möchte sie Stalking-Fälle öfters vor Gericht bringen und die Täter konsequenter zur Rechenschaft ziehen. Dazu gehört beispielsweise, dass Stalker zukünftig mit einer längeren Haftstrafe rechnen müssen: Während es bisher maximal drei Jahre waren, strebt die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf eine Höchstdauer von fünf Jahren an.
Außerdem sollen einzelne Passagen des Gesetzes verändert werden. Bisher steht dort beispielsweise, dass der Täter das Opfer in der Lebensgestaltung „schwerwiegend beeinträchtigen“ müsse. Zukünftig hingegen müsse die Beeinträchtigung nicht mehr schwerwiegend, sondern lediglich „nicht unerheblich“ sein. In der Praxis bedeutet das, dass man den Täter schneller bestrafen kann, als es vorher der Fall war. Juristen sagen dazu, dass man die sogenannte Strafbarkeitsschwelle herabsetzt.
Cyberstalking ins Strafgesetzbuch
Ständig Textnachrichten, gehackte Social Media- und Mail-Accounts oder gar belästigende Nacktfotos – durch das digitale Zeitalter haben sich auch die Methoden der Stalker geändert. Während die Täter früher beispielsweise vor der Haustür warteten oder hinterm Busch auflauerten, terrorisieren sie ihre Opfer nun immer öfters übers Internet. Das zweite Ziel des Gesetzentwurfs ist daher, zukünftig auch Cyberstalking ins Strafgesetzbuch aufzunehmen.
Täter könnten nämlich über „Stalking-Apps auch ohne vertiefte IT-Kenntnisse unbefugt auf E-Mail- oder Social Media-Konten sowie Bewegungsdaten von Opfern zugreifen und so deren Sozialleben ausspähen“. Des Weiteren würden manche Täter auch Fake-Profile der Opfer anlegen und „unter dem Namen des Opfers abträgliche Erklärungen abgeben oder Abbildungen von ihm veröffentlichen“. Die Regierung möchte „entsprechende Handlungen nun ausdrücklich gesetzlich“ erfassen.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium Christian Lange (SPD) erklärte: „Stalkerinnen und Stalkern muss früh und engagiert die rote Karte gezeigt werden, um noch schlimmere Taten zu verhindern. Lassen Sie uns ein deutliches Signal senden, dass wir Opfer von Nachstellungen nicht alleinlassen. Mit dem heute vorgelegten Gesetzentwurf können wir genau das angehen.“
Was denken die Abgeordneten des Deutschen Bundestages über die Vorlage der Regierung?
AfD: „Zeichen der Besserung“
„Die Netzpolitik der Regierung lehnen wir grundsätzlich ab. Digitalisierung verschlafen, Meinungen verbieten, Kritiker verfolgen, Freiheit und Grundrechte entziehen – das ist die Netzpolitik der Regierung und dagegen kämpft die AfD“, erklärte der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz. Aber wenn nun auch die Bundesregierung das Problem des Cyberstalkings erkenne, „ist das ein Zeichen der Besserung und lässt hoffen, für die Opfer“.
Die AfD-Fraktion entscheide „im Interesse der Opfer von Nachstellungen und Stalking aller Art, auch im Netz“. Seitz beendete seine Rede: „Wir lehnen keine sinnvolle Regelung ab, nur weil sie von der ‚falschen‘ Seite kommt. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen.“
Während der AfD-Abgeordnete seine Rede im Plenarsaal des Deutschen Bundestages hielt, gaben die Abgeordneten der übrigen Fraktionen ihre Rede zu Protokoll. Das bedeutet, dass sie ihre Stellungnahmen dem Bundestagspräsidenten lediglich schriftlich zukommen ließen, anstatt sie mündlich vorzutragen.
CDU/CSU: „Ein guter Tag für die Opfer, ein schlechter für die Täter“
Ingmar Jung von der Unionsfraktion erklärte, dass Stalking „leider für viele Menschen in unserer Gesellschaft, meist Frauen, bittere Realität und tägliches Brot“ sei. Dabei sei ein großes Problem, dass die Dunkelziffer – also nicht aufgeklärte Fälle – so hoch sei.
Zum einen liege dies daran, dass „der bisherige ‚Stalking-Paragraf‘ viel zu hohe Hürden hat, um am Ende zu einer Verurteilung zu gelangen“. Zum anderen sei der Grund, dass Cyberstalking bisher noch nicht strafrechtlich verfolgt werde. „Das holen wir jetzt nach. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir typische Cyberstalking-Fälle unter Strafe stellen“, sagte Jung. Der CDU/CSU-Abgeordnete kommentierte: „Insgesamt ein gutes Gesetz, ein guter Tag für die Opfer, ein schlechter für die Täter.“
SPD: Täter in gleichem Maße bestrafen
„Es kommt für die Strafbarkeit darauf an, was der Täter macht, und nicht, welcher Schaden dadurch beim Opfer eingetreten ist“, merkte die SPD-Abgeordnete Esther Dilcher an. Zur Erklärung ein fiktives Beispiel: Täter A und Täter B stalken ihre Opfer in gleichem Maße. Das Opfer von Täter A leidet stark unter dem Stalking, während das Opfer von Täter B besser damit zurechtkommt. Bisher bekam Täter A eine härtere Strafe als Täter B, obwohl beide das Gleiche taten.
Dilcher erklärte, dass sich dies durch den neuen Gesetzentwurf nun ändere, indem beide Täter zukünftig die gleiche Strafe bekämen. Die SPD-Abgeordnete warnte aber: „Insbesondere im Bereich des Cyberstalkings werden die technische Ausrüstung und das Know-how benötigt. Hier muss bei Bedarf entsprechend nachgebessert werden.“
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FDP: Reiner Symbolcharakter?
Der FDP-Abgeordnete Jürgen Martens erklärte, dass das bisherige Stalking-Gesetz „in der Rechtswirklichkeit kaum eine nennenswerte Rolle spielt“. So seien viele Stellen des Gesetzes – also des bisherigen Paragrafen 238 des Strafgesetzbuches – zu unpräzise und breit gefasst.
Aus diesem Grund beugten „sich die interessierten Kreise in freudvoller Erwartung über den hier angekündigten Gesetzentwurf, dessen erste Bewertung jedoch wenig erfreulich ausfällt“. Man könne nicht ernsthaft behaupten, dass die Formulierungen im neuen Gesetz nun präziser wären als die alten, so Martens. Der FDP-Abgeordnete warf die Frage auf, ob mit dem neuen Gesetzentwurf „nicht eine weitere Regelung vorliegt, die zwar Symbolcharakter, aber kaum praktischen Nutzen hat“.
Linke: „Keine konstruktiven Vorschläge“
„Das Ziel der Koalition begrüßen wir als Fraktion ausdrücklich, allerdings sind wir skeptisch, dass dieses Ziel durch Strafrechtsverschärfungen realisiert werden kann“, kommentierte Gökay Akbulut von der Fraktion Die Linke. Sie stehe Strafverschärfungen – beispielsweise einer längeren Haft – kritisch gegenüber, „denn mehr beziehungsweise höhere Strafen führen nicht automatisch zu weniger Straftaten“. Dies bestätige auch die Forschung.
Daher forderte Akbulut „mehr präventive Maßnahmen und qualifizierende Angebote für Ermittlungsbehörden“. Stalking nämlich sei ein „riesiges gesellschaftliches Problem“, das in rund 80 Prozent der Fälle Frauen betreffe. Akbulut erklärte, dass sie im aktuellen Gesetzentwurf jedoch „keine konstruktiven Vorschläge“ sehe.
Grüne: „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein“
„Liebe Frau Lambrecht, hier haben Sie endlich mal das gemacht, was wir schon seit Jahren fordern: evidenzbasierte Kriminalpolitik. Herzlichen Glückwunsch! Warum nicht immer so?“, kommentierte Canan Bayram von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und sprach damit die aktuelle Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) an. Sie war für den Gesetzentwurf maßgeblich mitverantwortlich.
Laut Bayram aber sei weiterhin ein großes Problem, dass Stalking-Apps „in Deutschland legal gekauft und verkauft werden“ können. Hieran wolle die Regierung bisher jedoch nichts ändern. „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! So wird das nichts mit dem Schutz vor Cyberstalking“, so Bayram. Über diese Thematik müsse nun dringend der Rechtsausschuss sprechen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde im Anschluss der Lesung zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen. Mehr zur Lesung findet ihr wie immer auf bundestag.de. Dort könnt ihr auch die Expertenanhörung zum Thema nachlesen. Das Video zur Debatte seht ihr hier:
Eric Matt
... ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zurzeit macht er ein Auslandssemester in Israel.