Fragen an die Bildungsministerin Corona: Was tun gegen Lernrückstände?
Was tut die Regierung gegen Bildungslücken bei Schülern und Geldsorgen von Studierenden? Und wie fördert sie Impfstoffe gegen Corona-Mutationen? Bildungsministerin Karliczek stellte sich kürzlich den Fragen der Abgeordneten.
Mittwochs steht üblicherweise ein Mitglied der Bundesregierung den Abgeordneten des Bundestages Rede und Antwort. Mitte April war dies Anja Karliczek (CDU), Bundesministerin für Bildung und Forschung.
Und auch das ist üblich: Zu Beginn berichten die Regierungsmitglieder kurz über das, was sie für wichtig halten. Die Bildungsministerin stellte ihrer Politik ein gutes Zeugnis aus: In dieser Wahlperiode seien viele Grundlagen für die technologische Entwicklung und die Modernisierung der Bildung gelegt worden. „Diesen Kurs wollen und werden wir fortsetzen“, so Karliczek, und zwar: „Mutig, technologieoffen und mit einem ganz klaren Blick auf die Herausforderungen der Zukunft.“ Von der Opposition erntete die Ministerin Kritik. Einige Abgeordnete verwiesen auf fehlende Öffnungsperspektiven für Hochschulen, Geldsorgen der Studierenden und Lernrückstände von Schülerinnen und Schülern.
Corona-Impfstoff und grüner Wasserstoff
Karliczek sagte, Bildung und Forschung genössen „höchste Priorität“ in Parlament und Bundesregierung. Noch nie sei so viel investiert worden wie in der laufenden Wahlperiode. Mit mehr als 20 Milliarden Euro fördere die Regierung Maßnahmen und Programme, um das „Innovationsland Deutschland“ zu stärken.
Als Beispiel nannte sie den Corona-Impfstoff von Biontech, der Ende 2020 als erster Impfstoff in der EU zugelassen worden war. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) habe das Mainzer Unternehmen schon in seiner Gründungsphase gefördert, sagte Karliczek. Ein weiterer Förderschwerpunkt seien Zukunftstechnologien wie „grüner“, also CO2-freier, Wasserstoff und Künstliche Intelligenz.
Bildung: Hochschulen digital besser aufgestellt
Darüber hinaus habe die Regierung die „Attraktivität von Ausbildung und Studium gestärkt“, so die CDU-Politikerin, die das BMBF seit März 2018 leitet. Es gebe nun mehr Vergleichbarkeit und Verzahnung, zudem stände das „lebenslange Lernen“ im Fokus. Laut Karliczek investierten Bund und Länder in den nächsten zehn Jahren 160 Milliarden Euro in das deutsche Wissenschaftssystem.
Wie Schulen seien auch Hochschulen von Schließungen durch die Coronakrise betroffen, sagte die Ministerin. Aber beim Thema digitale Lehre seien diese besser aufgestellt. Schon vor der Pandemie habe die Regierung deshalb mit dem „Digitalpakt Schule“ die Digitalisierung der Schulen vorangetrieben.
Diesen Pakt hatten Bund und Länder 2019 geschlossen mit dem Ziel, die Schulen mit digitaler Technik auszustatten. Dafür hat der Bundestag sogar das Grundgesetz geändert. Denn normalerweise ist Bildung Ländersache, der Bund darf also nicht eingreifen. Durch das Abkommen ständen den Ländern dafür mittlerweile 6,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Von den Bundesländern wünsche sie sich mehr Tempo beim Ausgeben der Mittel, sagte Karliczek.
Debatte im Januar
Forschung: Deutschland zur „Apotheke der Welt“ machen
Außerdem arbeiteten Regierung und Länder an einem Nachhilfeprogramm, das Schülerinnen und Schülern dabei helfen solle, ihre pandemiebedingten Lernrückstände aufzuholen. „Bei den Schulen unterstützen wir die Länder bis an die Grenzen des rechtlich Möglichen“, sagte die Ministerin. Vor allem beim Thema digitale Bildung brauche es jedoch neue engere Formen der Zusammenarbeit von Bund und Ländern. „Und zwar auf klar erweiterter Rechtsgrundlage.“
Darüber hinaus forderte sie: „In Europa gilt es jetzt, technologisch souveräner und unabhängiger zu werden.“ Man müsse in der Lage sein, Schlüsseltechnologien „zu verstehen, sie selbst herzustellen und sie am Ende auch weiterzuentwickeln“. Nur so könne man technologische Entwicklungen „im Sinne unserer Werte“ mitgestalten. Gerade in der Pandemie habe sich gezeigt, wie groß die internationalen Abhängigkeiten auch in wichtigen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge seien. Das Ziel laute deshalb: „Deutschland wieder zur Apotheke der Welt zu machen.“
AfD: Lage ist „dramatisch“
Weniger gute Noten erteilte die Opposition der Bildungsministerin für ihre Arbeit. Ihr Bericht klinge wie aus „einer anderen, besseren Zeit“, kritisierte Götz Frömming. Der AfD-Abgeordnete sagte: Die Lage an den Schulen und Hochschulen sei nach einem Jahr Corona dramatisch. Von der Ministerin wollte er wissen, wie sie Lernrückstände an Schulen und Hochschulen aufholen wolle.
Karliczek hob das Nachhilfeprogramm hervor, das im Herbst starten solle. „Wir alle merken, dass es im Moment sehr, sehr anstrengend ist“, begründete sie den Termin. „Die Müdigkeit der Familien, die Müdigkeit der Schülerinnen und Schüler und auch der Hochschüler ist nicht wegzudiskutieren. Deswegen sollten wir ihnen jetzt nicht noch zusätzliche Aufgaben geben.“ Die Regierung rechne damit, dass etwa 20 bis 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler Unterstützung bräuchten. Davon ausgehend wolle man den Ländern eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen.
SPD fragt nach Hilfen bei sozialen Folgen der Pandemie
Maßnahmen zum Aufholen der Lernrückstände seien zwar richtig, sagte Oliver Kaczmarek (SPD). Allerdings nicht das Einzige, was es zu tun gelte. Die Ministerin fragte er, wie die Regierung mit Meldungen über soziale Folgen und psychosoziale Belastungen wegen der Pandemie umgehe.
Hier verwies Karliczek auf Angebote, die die Regierung über das Programm „Kultur macht stark“ gefördert habe. Ein Beispiel sei der Lernsommer Schleswig-Holstein. Im Mittelpunkt dieses Angebots ständen neben dem Lernen die Persönlichkeitsentwicklung sowie soziale und emotionale Aspekte.
Auf die Nachfrage des SPD-Abgeordneten, wie sich Karliczek ihre angesprochene neue Form der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern vorstelle, sagte die Ministerin: „Es geht uns im Bereich der digitalen Bildung darum, eine Gemeinschaftsaufgabe klein, aber fein zu definieren.“
Thema: Corona und Psyche
FDP fordert Öffnungsperspektiven für Hochschulen
Jens Brandenburg von der FDP-Fraktion rückte die Situation der Studierenden in den Fokus. Er sagte: „Viele Studierende leiden seit Monaten massiv unter der sozialen Isolation im Lockdown.“ Von der Ministerin wollte er wissen, welche konkreten Öffnungsperspektiven für Hochschulen sie mit den Ländern vereinbaren wolle.
Karliczek sagte, der Start der Onlinelehre an Hochschulen sei „relativ gut“ gelaufen. Mehr als 75 Prozent der Lehre hätte stattfinden können. Trotzdem räumte die Ministerin ein, dass die Lage für Studierende nicht leicht sei. „Gerade die, die in den kleinen Studentenwohnungen sitzen, sind natürlich schon schwer betroffen, und darauf machen wir auch aufmerksam.“
Für die Hochschulen gelte im Wesentlichen das, was im Infektionsschutzgesetz festgeschrieben sei: „Dass wir bei bestimmten Inzidenzen Möglichkeiten schaffen können, über Testen gewisse Öffnungsschritte zu ermöglichen, und dass dann, wenn die Inzidenzen zu hoch gehen, wieder komplett geschlossen werden muss“, fügte Karliczek hinzu. Sie gehe davon aus, dass im Wintersemester wieder mehr stattfinden könne.
Union fragt nach Impfstoff gegen Corona-Mutationen
Von Stephan Albani (CDU/CSU) wurde Karliczek gefragt, wie die Regierung mit ihrer Forschungsförderung auf Corona-Mutationen reagiere.
Wie die Ministerin sagte, erleichtere es die sogenannte mRNA-Technologie, auf der zum Beispiel die Impfstoffe von Biontech und Curevec basieren, relativ schnell Impfstoffe gegen Mutationen zu entwickeln. Darüber hinaus unterstützten das europäische Netzwerk für Studienzentren und ein Aktionsplan der EU-Kommission die Weiterentwicklung von Impfstoffen gegen Virusmutationen. Die Ministerin fügte hinzu, es brauche eine EU-weite Förderagentur. Diese solle eine Förderung und Zulassung neuer Impfstoffe und Medikamente auch dann möglich machen, wenn es dafür keinen Markt gebe. Zum Beispiel beim Kampf gegen Resistenzen bei Antibiotika.
Linke: BAföG-Trendwende ist gescheitert
Die Linken-Abgeordneten Petra Sitte fragte zum Thema BAföG. Das soll junge Menschen dabei unterstützen, unabhängig von der finanziellen Situation ihrer Familie eine Ausbildung zu machen. Sitte kritisierte, dass die Ministerin ihre angekündigte BAföG-Trendwende nicht erreicht habe: Es bekämen nur 11,4 Prozent der Studierenden BAföG, zudem lebten 50 Prozent unterhalb der Armutsgrenze. Von der Ministerin forderte Sitte, ihr „krachendes Scheitern“ zu erklären.
Hier verwies Karliczek auf eine BAföG-Reform: Die Regierung habe 1,3 Milliarden Euro zusätzlich in die Sozialleistung gesteckt. Noch könne man allerdings nicht abschließend beurteilen, wie die Reform wirke. Das Ziel laute: „Wir wollen bis in die Mitte der Gesellschaft hinein fördern.“ Auf Sittes Nachfrage zu den sogenannten Überbrückungshilfen in der Coronakrise erklärte Karliczek: Die Regierung habe Wert darauf gelegt, jenen zu helfen, die in der Pandemie kurzfristig in Not geraten seien. Von den rund 457.000 Anträgen seien 70 Prozent positiv beschieden worden.
Grüne kritisiert „verheerende“ Lage der Studierenden
Auch Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) nannte die Lage der Studierenden „verheerend“. Das BAföG sei auf einem Allzeittief. Trotzdem seien in den vergangenen zwei Jahren rund 1,2 Milliarden Euro, die im Haushalt für das BAföG eingeplant gewesen seien, nicht ausgezahlt worden. Von der Ministerin wollte Gehring wissen, wieso diese Mittel nicht an Studierende gegeben wurden.
In ihrer Antwort erläuterte Karliczek, dass BAföG eine Sozialleistung sei, auf die man einen Rechtsanspruch habe. Deshalb könnten die Mittel auch nur in diesem Sinne ausgeben werden. Außerdem machte die Ministerin klar, dass zunächst die Eltern in der Pflicht stünden, ihre Kinder zu unterstützen. Nur, wenn sie das nicht könnten, springe der Staat ein.
Die gesamte Regierungsbefragung findet ihr auf bundestag.de oder könnt ihr euch im Video anschauen.