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Vorherige Berufe von Abgeordneten: Sebastian Fiedler (SPD) Vom Interessenvertreter zum Mandatsträger

Jasmin Nimmrich

Vor seinem Einzug in den Deutschen Bundestag im Jahr 2021 war Sebastian Fiedler (SPD) Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter und vertrat die Interessen von Kriminalbeamtinnen und -beamten. Wie viel Kriminalpolitik macht er nun als Bundestagsabgeordneter? Und wie hat sein berufliches Umfeld auf die Karriereveränderung reagiert?

Ein Mann in dunkelblauem Anzug und weißem Hemd lehnt an ein Fenster.

Sebastian Fiedler (SPD) vertritt seit 2021 seinen Wahlkreis Mülheim und Essen-Borbeck im Deutschen Bundestag. © Maurice Weiss

Was war Ihr Beruf vor Ihrer Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter?

Ich war insgesamt 28 Jahre lang in unterschiedlichen Bereichen der Polizei tätig. Zu Beginn, direkt nach dem Abitur, klassisch in Uniform. Zuletzt hatte ich eine halbe Stelle, in der ich mich damit beschäftigt habe, in Nordrhein-Westfalen unter anderem Strategie-Workshops für Kommissariatsleitungen durchzuführen. Daneben war ich für den Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) als Bundesvorsitzender und Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen tätig. Den Landesvorsitz hatte ich - parallel zum stellvertretenden Bundesvorsitz - bereits 2014 übernommen. 2018 wurde ich dann als Bundesvorsitzender gewählt. Dieses Engagement für die Interessen der Kriminalpolizei hat natürlich viele Kontakte zur Landespolitik in NRW und zur Bundespolitik mit sich gebracht.

Wie sah Ihr Weg vom Beruf ins Mandat aus?

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) setzt sich als Berufsverband der Kriminalpolizei nicht nur für die Belange der Beschäftigten in der Kriminalpolizei ein. Er engagiert sich auch kriminalpolitisch für z.B. gute Kriminalprävention, besseren Opferschutz oder eine effektivere Geldwäschebekämpfung. Man könnte auch sagen: Der BDK betreibt Lobbyarbeit für die deutsche Kriminalpolizei. Ziel ist es dabei immer, Regierungsvertreter oder Abgeordnete von den Forderungen des Berufsverbandes zu überzeugen. Nachdem mir das mal besser und mal schlechter gelungen war, reizte mich die Möglichkeit, als Abgeordneter einen größeren Einfluss darauf ausüben zu können, wofür ich zuvor in all den Jahren gestritten hatte. Und auch der Zeitpunkt passte für mich gut: Die Legislaturperiode beim Bund Deutscher Kriminalbeamter endete im November 2021. Für die Bundestagswahl im September 2021 war also klar: Im Falle meiner Wahl würde dem BDK die Organisation eines geordneten Übergangs möglich sein. Im Nachhinein betrachtet, hat das auch alles ganz gut funktioniert.

Wie hat Ihr Umfeld auf die berufliche Veränderung reagiert?

Sehr unterschiedlich, und das ist auch noch bis heute so. Zwar waren die Reaktionen überwiegend positiv, doch haben mich auch einige kritische Stimmen aus dem Berufsverband erreicht. Darunter waren auch solche, die mich gekränkt haben. Letztlich war mir aber vorher klar, dass ich als Repräsentant eines der angesehensten Berufe in eine Berufsgruppe wechseln würde, die im Ansehen der Bevölkerung regelmäßig äußerst schlecht abschneidet. Ich würde fortan als Politiker einer Partei auftreten. Und tatsächlich ist es so, dass ich teilweise für Positionen, die ich öffentlich eins zu eins schon beim BDK eingenommen und hierfür Anerkennung und Unterstützung erfahren hatte, später kritisiert wurde, nur weil ich sie nun als Politiker vertrete.

Was hat Sie an der Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter bisher am meisten überrascht?

Ich dachte vorher, eigentlich eine ganz gute Vorstellung von politischen Entscheidungsfindungsprozessen zu haben. Mit meinem Mandat habe ich aber recht schnell gelernt, dass die tatsächlichen Abläufe manchmal viel komplexer, teilweise aber auch überraschend trivial sind.

Was macht für Sie die Arbeit als Bundestagsabgeordneter aus?

Man muss neugierig und interessiert sein an völlig unterschiedlichen Themengebieten, Perspektiven und Lebensrealitäten. Wenn man das ist, wird man innerhalb kürzester Zeit auch dafür belohnt, weil man, besonders innerhalb der Wahlkreise, die unterschiedlichsten Menschen, Institutionen oder Unternehmen kennenlernt. Letztlich ist für mich die Berufsbeschreibung für Bundestagsabgeordnete ganz einfach auf einen Punkt zu bringen: Wir versuchen das gesellschaftliche Zusammenleben besser zu organisieren - oder wenigstens ein Stück weit dazu beizutragen.

Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Arbeitsplatz Deutscher Bundestag und dem Arbeitsplatz Kriminalpolizei?

Ich habe absolut nicht erwartet, dass im Deutschen Bundestag innerhalb der Fraktionen eine derartige Hierarchie herrscht. Das ist schon fast vergleichbar mit einer Polizeibehörde. Im Bund Deutscher Kriminalbeamter wäre ein derart hierarchisches Führungssystem gar nicht möglich gewesen. Über 99 Prozent der Funktionsträger sind ehrenamtlich tätig. Lediglich in den Geschäftsstellen gibt es hauptamtlich Beschäftigte. Für Ehrenamtliche müssen gute Rahmenbedingungen erkämpft werden. Sie müssen eingebunden und mitgenommen werden. Sie wollen Erfolge ihrer Arbeit erleben und wollen sich öffentlich gut repräsentiert sehen. Entscheidungen von oben, über die Köpfe der anderen hinweg, würde sofort abgestraft. Bezogen auf meine Zeit als Ermittler würde ich es so zusammenfassen: Bei der Kriminalpolizei habe ich zuweilen Nervenkitzel erlebt, während mich die Arbeit im Deutschen Bundestag viele Nerven kostet - vor allem in der täglichen Arbeit mit den Koalitionspartnern. In beiden Fällen wusste ich jedoch zu jeder Zeit, wofür ich die Arbeit mache.

Ein Mann in Anzug und Krawatte gekleidet steht an einem Rednerpult aus Holz. Im Hintergrund ein weiß-rotes Banner mit der Aufschrift 'Bund Deutscher Kriminalbeamter'

Sebastian Fiedler war vor seinem Einzug in den Deutschen Bundestag Landesvorsitzender des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). © privat

Welche Fähigkeit aus dem vorherigen Beruf nützt Ihnen als Abgeordneter am meisten?

Mein ursprüngliches berufliches Themenfeld begleitet mich noch heute, von daher sind die Erfahrungen und das Netzwerk, das ich aus meiner Zeit bei der Polizei und beim BDK mitbringe, unersetzlich. Zu Beginn dieser Legislaturperiode, im Februar 2022, habe ich initiiert, dass wir bei uns die Querschnitts-Arbeitsgruppe „Kriminalpolitik“ einrichten. Seit Februar 2022 arbeiten wir in dieser zu den drei Schwerpunkten Geldwäsche, Umweltkriminalität und Kinderschutz. Ich bin somit in der glücklichen und keineswegs selbstverständlichen Situation, dass ich an Themen arbeiten kann, mit denen ich mich bereits zuvor beruflich beschäftig habe. Das gilt auch für meine Zuständigkeiten im Innenausschuss, im Rechtsausschuss und im Unterausschuss Europarecht. Dabei hilft es mir ungemein, einfach zum Telefon greifen und mit Menschen sprechen zu können, die in ihrer täglichen Arbeit von unseren Entscheidungen betroffen sind oder wären. Des Weiteren habe ich in meiner Zeit beim Bund Deutscher Kriminalbeamter eine vierstellige Anzahl an Interviews für das Radio, das Fernsehen oder die Printmedien gegeben. Diese Erfahrung und die vielen guten Kontakte zu Journalistinnen und Journalisten helfen mir ebenfalls sehr. Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit war seit über 20 Jahren die Wirtschaftskriminalität. Wenn man dort arbeitet, ist man gezwungen, sich immer wieder in zunächst völlig unbekannte, teils komplexe wirtschaftliche oder kriminalistische Themen einzuarbeiten. Diese Fähigkeit und Neugier, sich schnell neues Wissen zu erschließen, ist als Abgeordneter unerlässlich. Wer das nicht mitbringt, hat ein Problem.

Könnten Sie sich vorstellen, in Ihren alten Beruf zurückzukehren?

Es geht zunächst weniger darum, ob ich mir das vorstellen kann oder nicht. Das Abgeordnetengesetz regelt, dass in der Zeit des Mandats die Rechte und Pflichten als Beamter nur ruhen. Ich bin keineswegs aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden. Ganz generell würde ich immer noch sagen, was ich seit über zwei Jahrzehnten sage: Das Berufsbild Kriminalpolizei gehört zu den schönsten der Welt. Gleichzeitig weiß ich aber jeden Tag mein Privileg zu schätzen, als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter für Mülheim an der Ruhr und Essen-Borbeck für unsere Demokratie arbeiten zu können.

Was vermissen Sie besonders beim Gedanken an Ihren alten Beruf?

Durch meine Mitgliedschaft im Innenausschuss und Rechtsausschuss erfahre ich regelmäßig, welche spannende Einsätze gegen die kriminellen Gruppierungen durchgeführt wurden. Da werde ich schon manchmal sentimental und wäre gern dabei. Gleichzeitig genieße ich jeden einzelnen Besuch bei den Sicherheitsbehörden, der mir als Mandatsträger möglich ist. In diesem Umfeld von Praktikerinnen und Praktikern mehr über ihre engagierte Arbeit zu erfahren und Arbeitsprozesse und Organisationseinheiten kennenzulernen, über die ich vorher nicht so viel wusste, ist für mich das Salz in der Suppe. Ich denke zum Beispiel an die vielen Begegnungen mit dem Bundeskriminalamt, meine Besuche bei der Direktion 11 der Bundespolizei einschließlich der GSG 9 und der Fliegerstaffel sowie bei der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich.

Wie stark identifizieren Sie sich noch mit Ihrem alten Beruf?

Noch sehr, denn ich finde es wichtig, dass den Menschen klar ist, dass im Bundestag die unterschiedlichsten Berufsbilder vertreten sind. Die demokratische Idee ist ja, dass der Deutsche Bundestag die Breite des Volkes abbildet und seine Vielfalt nicht nur über die Geschlechter und Altersgruppen, sondern auch über die Berufe definiert. Ich persönlich finde es im Übrigen wünschenswert, dass man zuvor bereits in einem Beruf außerhalb der Politik gearbeitet hat. Mandatsträgerinnen und Mandatsträger mit einem polizeilichen Hintergrund gibt es leider nur wenige. Deswegen ist es mir auch im Plenum wichtig, dass mein beruflicher Werdegang und die Erfahrungen und Erkenntnisse, die damit einhergehen, eine Rolle spielen und meine politischen Argumentationen beeinflussen. Die Sicherheitsbehörden sind essenziell für unser Zusammenleben. Ein Leben in Freiheit können wir nur führen, wenn wir sicher sind. Da die Behörden selbst sich aber nicht aktiv in politische Debatten einmischen dürfen, sehe ich mich in der Verantwortung, deren Perspektiven einzubringen und auch kriminalpolitische Interessen zu vertreten.

Verstehen Sie sich mit anderen Abgeordneten mit einem ähnlichen beruflichen Hintergrund besonders gut?

Es gibt leider nur sehr wenige. Da ist eine Kollegin und ein Kollege bei uns sowie eine bei den Grünen. Mit denen würde ich mich auch so gut verstehen, auch wenn sie früher nicht bei der Polizei gewesen wären. Aber so gibt es natürlich eine Gemeinsamkeit, die uns verbindet. Definitiv. Die Polizeibeschäftigten sind Teil einer Gefahrengemeinschaft – das verbindet über die Dienstzeit hinaus. Für mich gilt das allerdings ausdrücklich nicht für die ehemaligen Polizisten bei der rechtsextremen AfD.

Zur Person

Sebastian Fiedler

…ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er ist unter anderem ordentliches Mitglied im Rechtsausschuss und kriminalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

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