Vorherige Berufe von Abgeordneten: Alexander Ulrich (BSW) Meinung äußern und Kompromisse finden – in der Gewerkschaft und der Politik
Naomi Webster-Grundl
Nach seiner Ausbildung zum Werkzeugmacher hat Alexander Ulrich (BSW) den Weg in die Politik über Posten im Betriebsrat und in der Gewerkschaft gefunden. Warum ist es wichtig, die Arbeiterklasse im Bundestag zu vertreten und von welchen Fähigkeiten aus seinen vorherigen Berufen profitiert er heute noch?
Ich habe eine handwerkliche Ausbildung bei dem Kraftfahrzeughersteller Opel zum Werkzeugmacher gemacht. Ich war dort dann auch Mitglied im Betriebsrat und bin 1998 als Gewerkschaftssekretär zur IG Metall in Kaiserslautern gewechselt. Das heißt also, ich bin nicht direkt vom Werkzeugmacher zum Politiker geworden, sondern es gab noch den Zwischenschritt des Gewerkschaftssekretärs. Aber das eine wäre ich ohne das andere bestimmt nicht geworden, das baut alles aufeinander auf.
Als Gewerkschaftssekretär ist man ja in einem politikähnlichen Bereich tätig: Man unterstützt Betriebsräte bei ihren Anliegen im Betrieb oder handelt Tarifverträge aus. Man ist das Sprachrohr für jemand anderen. Wäre ich kein Gewerkschafter geworden, hätte ich mich wahrscheinlich nicht so intensiv mit Parteipolitik beschäftigt. Als Werkzeugmacher hätte ich Werkzeuge hergestellt oder im Motorenbau gearbeitet. Aber als Gewerkschaftssekretär habe ich relativ schnell gemerkt, dass die Rahmenbedingungen, unter denen wir Gewerkschaftsarbeit machen, sehr davon abhängen, wie die Gesetzgebung ist. Und das hat mich dazu bewegt, mich auch politisch einzubringen. Ohne den Wechsel vom Werkzeugbauer zum Gewerkschaftssekretär wäre ich wohl nie Politiker geworden.
Auf jeden Fall, dass man durch das Mandat ein Stück weit eine Person des öffentlichen Lebens wird. Man ist auf einmal nicht mehr nur der Alexander Ulrich oder der Gewerkschafter, sondern man ist auf einmal der Abgeordnete, der zu Recht bereit sein muss, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Probleme bei einem abladen. Eine weitere große Umstellung war, dass ich durch die Sitzungswochen insgesamt das halbe Jahr in Berlin verbringe und nicht jeden Tag zu Hause bin wie früher. Und mein Terminkalender war in den vorherigen Berufen sicher weniger voll.
Unterschiedlich. Im Bundestag gibt es ja sehr viele Akademiker und nur wenige Leute, die aus einem ähnlichen Werdegang kommen wie ich. Das heißt, viele Leute aus meinem persönlichen Umfeld haben mir gratuliert und waren schon auch ein bisschen stolz, dass es „einer von ihnen“ in den Bundestag geschafft hat. Aber natürlich kommt damit auch eine gewisse Erwartungshaltung und ich musste auch erst lernen, dass man als neu gewählter Abgeordneter gerne die Welt verändern will, aber es doch langsamer geht, als man sich das wünscht.
Wenn andere Abgeordnete auch Gewerkschafter waren, hat man normalerweise ein einigermaßen gutes Verhältnis miteinander, weil man weiß, man kommt aus dem gleichen Umfeld und versucht für die gleichen Leute Politik zu machen, nur halt in verschiedenen
Fraktionen. Und man hat natürlich automatisch viel mehr Gesprächsinhalte miteinander. Allgemein denke ich, dass es gut wäre, wenn es im Bundestag mehr Leute aus „ganz normalen“ Berufsfeldern gäbe, damit der Großteil der Bevölkerung hier besser repräsentiert wäre.
Als Werkzeugmacher habe ich gelernt, dass man sehr genau arbeiten muss, was es bedeutet, in Schicht zu arbeiten, und auch wie es sich anfühlt, mal Angst um den eigenen Arbeitsplatz zu haben. Das hat mich schon geprägt und dadurch rede ich in der Arbeitspolitik nicht einfach nur über die arbeitende Bevölkerung, sondern kenne die Bedingungen, unter denen die Leute arbeiten, auch wirklich. Auch mein Freundeskreis stammt aus meiner Zeit als Werkzeugmacher, weswegen ich zumindest glaube, immer zu wissen, wo der Schuh drückt.
Als Gewerkschafter muss man viel reden: auf Betriebsversammlungen, auf Streiks und so weiter. Reden zu können, schadet einem Politiker auch nicht. (lacht) Und die zweite Eigenschaft aus meiner Zeit als Gewerkschafter, die ich mit in den Bundestag gebracht habe, ist Kompromissfähigkeit. Denn sowohl bei Tarifvertragsverhandlungen als auch im politischen Geschäft gilt: Man kann Forderungen haben, aber am Ende des Tages muss man sich auch mit anderen verständigen können.
Als Werkzeugmacher könnte ich wahrscheinlich nicht mehr arbeiten, weil ich das seit 30 Jahren nicht mehr gemacht habe, dadurch dass ich damals relativ schnell in den Betriebsrat gewählt wurde. Den Beruf müsste ich nochmal neu erlernen. Als Gewerkschafter, glaube ich, wäre es kein Problem.
Mein ganzes schulisches und berufliches Leben ist eigentlich davon geprägt gewesen, dass ich gesagt habe: Wir dürfen nicht einfach nur akzeptieren, was uns vorgegeben wird, sondern müssen auch unsere eigene Meinung kundtun. Deswegen war ich in der Schule Klassensprecher und Schülersprecher. In der Ausbildung bei Opel bin ich in die Jugendauszubildendenvertretung gewählt worden. Nachdem ich ausgelernt habe, bin ich in den Betriebsrat gewählt worden. Dann wurde ich zum Gewerkschaftssekretär gewählt, dann zum Abgeordneten. Also seit der Schule habe ich mich immer solidarisch für andere eingesetzt. Das ist ein prägendes Element, das sich durch mein ganzes Leben zieht.
Klar! Ich fühle mich als Kind der Arbeiterklasse. Ich habe große Hochachtung vor allen Menschen, die Schichtarbeit machen, die am Wochenende arbeiten müssen, die möglicherweise unter Tage arbeiten, weil das die Leute sind, die das Land am Laufen halten.
Jeder hat seine Funktion, aber hätten wir nur Akademiker, dann glaube ich, wäre dieses Land nicht erfolgreich. Wir brauchen die Menschen, die den Maschinenraum am Laufen halten. Und man müsste diesen Menschen eine viel größere Beachtung schenken. Deshalb mache ich auch immer wieder Werbung für die duale Ausbildung. Nicht jeder muss studieren, nicht jeder muss Abitur machen. Auch das andere ist ganz wichtig für unser Land. Wir müssen wieder viel mehr wertschätzend zur Kenntnis nehmen, dass eine gute Ausbildung etwas ist, das man durchaus mit vielen Arten des Studiums vergleichen kann.
Den sehr ungezwungenen Umgang mit den Arbeitskollegen und dass man in den beiden anderen Berufen anonymer ist. Als Abgeordneter ist man 24 Stunden am Tag Abgeordneter. Egal wo man hinkommt, egal auf welches Fest oder zu welcher Veranstaltung, man wird immer auch ein Stück weit als der Abgeordnete wahrgenommen und kann nicht sagen: Heute bin ich nur der Alexander Ulrich.
Und: Ich bin so groß geworden, dass das gesprochene Wort gilt. Man geht offen, herzlich und ehrlich miteinander um. Und das ist in der Politik manchmal nicht so der Fall.
Alexander Ulrich
…ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Für die Gruppe BSW sitzt er als ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie als beratendes Mitglied im Wahlprüfungsausschuss.