Vorherige Berufe von Abgeordneten: Michael Sacher (Bündnis 90/Die Grünen) Aus der Buchhandlung ans Rednerpult
Naomi Webster-Grundl
Die Buchhandlung von Michael Sacher (Bündnis 90/Die Grünen) war bereits eine Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger und ihre Anliegen. Was hat sich seit seinem Einzug in den Deutschen Bundestag verändert? Und kommt er überhaupt noch dazu, Bücher zu lesen?
Ich war selbstständiger Buchhändler in meiner eigenen Buchhandlung im nordrhein-westfälischen Unna. Die haben wir zu zweit betrieben und mein Kompagnon führt sie jetzt ohne mich weiter. Inhaber bin ich aber weiterhin und ich konnte mir somit den Berufswunsch des stillen Teilhabers erfüllen. (lacht)
Früher habe ich ein sehr stationäres Leben geführt: morgens zur Buchhandlung und abends wieder nach Hause. Klar, ich bin auch mal zur Buchmesse gefahren, aber jetzt als Abgeordneter bin ich sehr viel unterwegs. Manchmal auch ein bisschen zu viel, sodass man sich schon fragen muss, wann man eigentlich mal wieder zu Hause ist. Und die wahrscheinlich größte Umstellung ist die totale Fremdbestimmung: Dass ich in den Kalender schaue und so erfahre, was ich mache und wo ich sein werde.
Als Buchhändler in einer ganz alten, ortsansässigen Buchhandlung auf dem Marktplatz kennen einen die Leute vor Ort natürlich. Wenn Leute in die Buchhandlung kommen, dann berät man sie nicht nur zu Büchern, sondern man spricht über Entwicklungen in der Stadt und über viel Zwischenmenschliches. Als ich dann Teil der Grünen-Ratsfraktion wurde, war ich natürlich das Ratsmitglied, das immer gut erreichbar war, denn die Leute wussten, dass sie mich im Laden finden, wenn sie etwas vorbringen wollen. Eine Buchhandlung hat einerseits den sozialen Charakter einer Anlaufstelle und andererseits kann man mit Lesungen und sonstigen Veranstaltungen das Kulturprogramm einer Stadt mitprägen.
Mein Geschäftspartner war sehr unterstützend, sonst wäre die Kandidatur gar nicht möglich gewesen. Zumal man ja kandidiert und gar nicht sicher sagen kann, ob man es dann wirklich in den Bundestag schafft. Und gerade bei mir war das ein Hin und Her: Nach der Wahl 2021 hieß es erst, ich habe es geschafft, dann reichte es aber doch nicht ganz und erst als der Grünen-Politiker Oliver Krischer 2022 den Bundestag verließ, um einen Ministerposten in der nordrhein-westfälischen Landesregierung zu übernehmen, bin ich nachgerückt. Als dann klar war, dass ich auf jeden Fall nicht mehr in der Buchhandlung arbeiten werde, haben wir auch personell darauf reagiert, um die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen. Das wäre auch peinlich gewesen, wenn man gar nicht gemerkt hätte, dass ich nicht mehr da bin. (lacht)
Es gibt eine Sache, die ich wahnsinnig ähnlich finde, und das ist das schnelle Umschalten. Wenn man in einer kleinen Buchhandlung arbeitet, betreut man das ganze Sortiment von Romanen bis hin zu Fachbüchern. Und dann kommt in einem Moment jemand in den Buchladen und braucht dieses eine medizinische Fachbuch über Knieoperationen und der nächste Kunde sucht nach einem Kinderbuch.
Im Bundestag kann es in einer Sitzung von 10 bis 11 Uhr um große Außenpolitik gehen und dann kommt von 11 bis 12 Uhr jemand, der mit seinem Verband auf ein bestimmtes regionales Problem hinweisen möchte. Und da muss man schnell umschalten und dabei aber alles gleich ernst nehmen. Also nicht zu sagen, das medizinische Fachbuch sei wichtiger als das Kinderbuch, sondern beides als gleichwertige Anliegen betrachten. Und das finde ich auch vergleichbar in der Politik. Natürlich gibt es Entscheidungen, die etwas weitreichender sind als andere, aber auch die kleinen Entscheidungen sind wichtig.
Ja, natürlich! Aktuell nicht mehr als Buchhändler zu arbeiten, ist bei mir auch von Wehmut begleitet, weil es mir schon fehlt. Wenn im Sommer die Verlagsvorschauen für den Herbst kommen, schau ich auch immer noch die von meinen Lieblingsverlagen durch und bin ganz aufgeregt, was so Neues kommt. Also ich kann mir sehr gut vorstellen, wieder als Buchhändler zu arbeiten, aber der Wermutstropfen dabei ist halt wirklich die Situation der Branche allgemein. Da muss man sehen, wie man sich langfristig aufstellen kann.
Aber ich habe eben auch das Glück, hier im Bundestag im Kulturausschuss zu sein und ich sehe es als meine wesentliche politische Aufgabe, den Kulturbereich sichtbar zu machen, zu halten und zu verstärken. Denn ich habe schon das Gefühl, dass Kultur im politischen Bereich eher so ein bisschen an der Seite läuft, obwohl es sowohl wirtschaftlich als auch inhaltlich extrem wichtig ist.
Einem Buchhändler im Bundestag zu begegnen ist schwierig, ich bin wahrscheinlich der Einzige, der als klassischer Buchhändler gearbeitet hat. Wenn es noch andere Buchhändler gäbe, dann wäre da natürlich eine ganz andere Verständigungsebene.
Sowohl als Politiker als auch als Buchhändler hat man viel Kontakt mit Menschen. Aber seit ich Abgeordneter bin, begegnen mir viele Leute mit Nervosität und sind ganz aufgeregt, ein Mitglied des Bundestages zu treffen. Dazu kommt, dass man sich meist vorher anmelden muss, um einen Gesprächstermin zu bekommen. In der Buchhandlung kommen Leute einfach vorbei und begegnen einem auf Augenhöhe und man tauscht sich ganz ungezwungen aus, was ich immer als sehr gewinnbringend empfunden habe.
Michael Sacher
…ist seit 2022 Mitglied des Deutschen Bundestages und arbeitet zu den Themen Europa und Kultur und vertritt seine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als Obmann im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union.