Präsidentin der TU Darmstadt „Wichtige Entdeckungen passieren zufällig“
Wie können Lösungen für die großen Probleme unserer Zeit gefunden werden? Zum Beispiel, indem die Hochschulen stärker zusammenarbeiten. Was außerdem helfen könnte, hat uns Tanja Brühl, Präsidentin der TU Darmstadt, erklärt.
Es gibt schon Ansätze für neue Formen der Innovationsförderung: Beispielsweise soll es laut Koalitionsvertrag eine Agentur für Transfer und Innovation geben (DATI). Die soll dabei helfen, Wissen aus der Forschung in die Anwendung zu übertragen. Wir brauchen neben einem Ausbau der Innovationsförderung vor allem Formate, die so gestaltet sind, dass sie für die Universitäten eine echte Unterstützung sind: Universitäten sollten ihre eigenen Ideen von Beginn an einbringen und ausprobieren können und das, was vor Ort schon gut klappt, weiter ausbauen können.
In meinem Amt als Präsidentin einer sehr forschungsstarken Universität, der Technischen Universität Darmstadt, merke ich, dass wir an vielen Stellen noch mehr Unterstützung brauchen. Oft haben Studierende oder Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gute Ideen und man sollte sie stärker dabei begleiten, zum Beispiel ein Start-up zu gründen und ihre Idee dort umzusetzen.
Im zweiten Schritt brauchen wir mehr Innovationsförderung für die Start-ups, die schon bestehen. Denn 70 Prozent der Start-ups geben innerhalb des ersten Jahres wieder auf. Das nennt man das „Valley of Death“, also das Todestal: Das Startkapital ist aufgebraucht, aber die Ideen oder Produkte können noch nicht am Markt bestehen und so neues privates Kapital anziehen. Hier brauchen wir stärkere finanzielle Unterstützung, damit die Start-ups, die gegründet werden, eine Chance haben, sich weiterzuentwickeln. Denn man muss sich klarmachen, dass es durchaus um Unternehmen wie Biontech gehen kann. Das war ursprünglich auch mal ein Start-up und hat letztlich erfolgreich einen Corona-Impfstoff entwickelt.
Es gibt zwei Ebenen, auf denen Hochschulen sich vernetzen sollten: Einmal können sich die verschiedenen Hochschulen untereinander vernetzen. Und dann können sich die Hochschulen mit Bereichen wie Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur vernetzen.
Auf beiden Ebenen passiert momentan viel. Die Hochschulen untereinander bauen ihre Zusammenarbeit aus, da wir als Hochschulen zur Transformation der Gesellschaft beitragen wollen. In den nächsten Jahren gibt es viele gesellschaftliche Herausforderungen – wie den Umstieg auf nachhaltige Mobilität oder die Energiewende – die niemand alleine stemmen kann. Dafür müssen wir uns zusammentun.
Das gilt auch für den zweiten Bereich: Um schnell Lösungen für diese großen Herausforderungen zu finden, müssen die Hochschulen über Forschung und Lehre hinaus auch mit Partnerinnen und Partnern anderer wissenschaftlicher Einrichtungen, aus der Gesellschaft und der Politik enger zusammenarbeiten. Das nennen wir die „Third Mission“. Damit ist die Verflechtung der Hochschulen mit ihrer Umwelt gemeint.
Die Missionen, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung genannt hat, sind allesamt sehr wichtig. Dazu gehören Missionen wie die Gesundheit für alle zu verbessern oder Klimaschutz, Klimaanpassung, Ernährungssicherheit und die Bewahrung der Biodiversität voranzubringen.
Aber wer weiß, was morgen die siebte, achte oder neunte Mission sein wird, die dann auch plötzlich sehr wichtig wird.
Da sich die Themen, die wir als Gesellschaft bedeutsam finden, immer verändern können, ist es sehr wichtig, dass wir die Möglichkeit haben, gute Grundlagenforschung zu machen, die sich nicht an Missionen und vorgegebenen Zielen ausrichtet. Grundlagenforschung ist nämlich die wissenschaftliche Arbeit, die grundlegende neue Erkenntnisse über bestimmte Forschungsbereiche hervorbringt. Und zwar ohne dabei eine ganz konkrete Anwendungsmöglichkeit vorab im Sinn zu haben. Es gibt viele große Entdeckungen, die zufällig gemacht wurden: Antibiotika sind das beste Beispiel dafür. Nach diesen Arzneimitteln wurde damals nicht gezielt gesucht.
Deshalb ist es entscheidend, dass auch genug Geld für eine gute Grundlagenforschung da ist und nicht nur die Finanzierung für anwendungsbezogene Forschung garantiert wird.
Ja. In Deutschland machen wir uns auch aufgrund unserer Geschichte sehr viele Gedanken darum, warum wir was erforschen. Denn unter der Herrschaft der Nationalsozialisten wurde Forschung missbraucht, um die menschenfeindlichen Theorien der Nazis und ihre Herrschaft zu rechtfertigen.
Deshalb ist es wichtig, als Wissenschaftlerin und Wissenschaftler und als gesamte Universität verantwortungsbewusst zu sein und immer wieder zu hinterfragen, welche – möglicherweise gefährlichen – Nebeneffekte auftreten könnten, wenn ich etwas untersuche.
Wir brauchen in erster Linie eine verlässliche Grundfinanzierung. Ich habe es eben schon kurz angesprochen: Wir sind sehr stark von sogenannten Drittmitteln abhängig. Das heißt, dass Geld gezielt für bestimmte Forschungsprojekte oder -bereiche beantragt wird. Hier gehen viel Zeit und Aufwand dafür ins Land, immer wieder neue Anträge zu schreiben. Zeit, die für das tatsächliche Forschen fehlt.
Die Energiekrise trifft auch die Hochschulen sehr hart. In diesen Zeiten ist eine gute Grundausstattung umso wichtiger. Bisher haben die Bundesregierung und die Länder zwar einiges abgefedert; dafür bin ich dankbar. Aber die Maßnahmen wie die Strom- oder Gaspreisbremse gelten nur für das Jahr 2023. 2024 wird voraussichtlich ein noch härteres Jahr werden: Die Preise bleiben weiter hoch und bisher ist keine Entlastung durch die Politik geplant. Das sehe ich mit großer Sorge.
Tanja Brühl
Tanja Brühl ist 1969 in Marburg geboren. Nach der Schule studierte sie Biologie und Sozialkunde auf Lehramt in Frankfurt. Zunächst arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Internationale Politik in Duisburg. 2002 promovierte sie in Frankfurt und wurde Professorin für Politikwissenschaft. 2019 wurde Brühl zur Präsidentin der TU Darmstadt gewählt.