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Schülervertreterin „Die Pandemie muss aufgearbeitet werden“

Die Folgen der Pandemie seien für Jugendliche gravierend. Das sagt Wiebke Maibaum (18), Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz. Wir haben mit ihr über darüber, was den jungen Leuten jetzt helfen könnte.

Porträt von Wiebke Maibaum

„Jeder Schüler und jede Schülerin muss eine adäquate Bildung bekommen“, sagt Wiebke Maibaum. Die Bundesschülerkonferenz vertritt die Interessen der Schüler bundesweit. © Jerik Sammler

Das Schwerpunktthema des aktuellen Bildungsberichts ist das Bildungspersonal: Die Anzahl der Beschäftigten hat laut Bericht zugenommen. Trotzdem gibt es immer noch erhebliche Engpässe. Wo liegen die größten Probleme beim Personalmangel im Bildungsbereich?

Ich glaube, das größte Problem ist, wenn Unterricht ausfällt. Das heißt schließlich, dass Kinder und Jugendliche nicht ausreichend Bildung erhalten. Und auch wenn es statistisch betrachtet nun mehr Lehrkräfte gibt, muss man sich klar machen, dass wir immer noch einen großen Personalmangel haben. Wenn man sich schon die ganze Zeit im Minusbereich befindet, sind ein paar Lehrkräfte extra nicht genug. Wenn ich 30 Lehrkräfte zu wenig habe, dann zehn neue hinzukommen, fehlen mir trotzdem noch 20.

Der Personalmangel ist eine Herausforderung, die sich schon sehr lange abgezeichnet hat und hier muss dringend noch mehr unternommen werden. Ein Problem ist sicherlich, dass der klassische Weg, Lehrer zu werden, ein sehr langer Weg ist. Die Politik und die Hochschulen müssen deshalb Möglichkeiten finden, gut ausgebildete Lehrkräfte schneller an die Schulen zu bringen.

In dem Bericht wird eine anhaltend hohe soziale Ungleichheit bei den Bildungschancen festgestellt. Welche Maßnahmen müsste die Politik ergreifen, um dieses Problem anzugehen?

Zunächst hat die Coronapandemie die bestehende Ungleichheit sicherlich noch einmal maßgeblich verstärkt. Mit dem Lockdown saßen wir alle zu Hause und es kam darauf an, wer Zugang zu einem guten Internet oder einem digitalen Endgerät hatte. Diese Ausstattung ist natürlich auch immer eine Frage der finanziellen Situation des Elternhauses. Durch die ungleichen Voraussetzungen sind viele der jetzt existierenden Lernrückstände entstanden. Dazu kommt, dass Kinder, die Lernrückstände haben, aber aus einem Haushalt mit ausreichend finanziellen Mitteln kommen, jetzt zum Beispiel einfach zur Nachhilfe gehen können. Das können sich allerdings viele Eltern nicht leisten.

Ich glaube, hier stellt sich ganz grundsätzlich die Frage: Was möchten wir als Gesellschaft mit Bildung erreichen? Denn Bildung ist doch der Grundpfeiler im Leben. Jeder von uns besucht die Schule, es gibt neun Jahre Schulpflicht. In diesem Bereich könnte so viel bewirkt werden, deshalb muss er politisch noch viel stärker in den Fokus rücken.

Die Bundesschülerkonferenz

Die Bundesschülerkonferenz (BSK) ist die ständige Konferenz der
Landesschülervertretungen der Bundesländer. Zurzeit sind 13 der insgesamt 16 deutschen Landesschülervertretungen in der Bundesschülerkonferenz vertreten. Nicht dabei sind Bremen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Jedes Mitgliedsland entsendet drei Delegierte für die Plenartagungen, die mindestens zweimal im Jahr stattfinden.

Ein anderes Thema im Bericht: inklusive Klassen und Schulsysteme. Zwar hat das gemeinsame Lernen zugenommen, aber die Anzahl der Förderschulen bleibt fast gleich. Sollte man Förderschulen langfristig abschaffen?

Da gibt es innerhalb der Bundesschülerkonferenz unterschiedliche Positionen in den verschiedenen Bundesländern. Fest steht aber für uns alle: Adäquate Bildung für Schülerinnen und Schüler steht an oberster Stelle.

Das heißt zum Beispiel, dass ein Schüler, der kurzfristig auf einen Rollstuhl angewiesen ist, nicht auch noch die Schule wechseln sollen muss, weil seine Schule nicht behindertengerecht ausgestattet ist. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass jeder Schüler und jede Schülerin eine angemessene Bildung bekommt – und zwar genau die Bildung, die diese Person braucht.

Weniger junge Menschen machen Berufsausbildungen oder ein duales Studium. Wie erklärt ihr euch das?

Solche Trends bilden natürlich auch immer gesellschaftliche Entwicklungen ab. Jahrelang wurde uns vermittelt, dass man mit einer Ausbildung nicht genug erreichen könne. Dass weniger junge Menschen eine Berufsausbildung machen, ist nun die Konsequenz daraus.

Gleichzeitig habe ich schon das Gefühl, dass es in meinem Umfeld junge Menschen mit Fachabitur oder Abitur gibt, die sich für eine Berufsausbildung interessieren. Aber es ist wichtig, die Schüler darauf aufmerksam zu machen, dass es auch andere Wege als Abitur und Studium gibt. Durch Corona haben auch weniger Berufsberatungen stattgefunden, in denen die verschiedenen beruflichen Wege erklärt werden. Vielleicht ziehen im Moment auch deshalb weniger Schüler eine Ausbildung in Betracht.

Der Beginn der Pandemie ist inzwischen drei Jahre her. Die Folgen im Bildungsbereich sind noch immer zu spüren. Wo seht ihr den größten Handlungsbedarf?

Wir denken, dass eine Aufarbeitung dieser Zeit sehr wichtig ist. Damit meine ich zum einen die Aufarbeitung der Lernrückstände. Aber auch eine Aufarbeitung im Bereich unserer Gesundheit, vor allem der mentalen Gesundheit. Viele Schüler und Schülerinnen leiden unter den psychischen Auswirkungen der Pandemie und Lockdowns. Das betrifft vielleicht nicht nur die Schülerschaft, sondern sogar auch die Lehrkräfte, die durch die Pandemie stark beeinträchtigt waren.

Wir brauchen niedrigschwellige Hilfs- und Beratungsangebote. Da könnte ein Schulsozialarbeiter oder auch ein Schulpsychologe eine gute Anlaufstelle sein, aber davon brauchen wir dann natürlich viel mehr, als es derzeit gibt. So könnte individuell auf die jeweilige Situation des Schülers eingegangen werden, denn auch wenn uns die Pandemie alle betroffen hat, kommen bei unterschiedlichen Schülern natürlich unterschiedliche belastende Faktoren zusammen.

Ein Positives hatte die Pandemie aber auch: Corona hat die Digitalisierung weit vorangebracht. Ohne Pandemie wäre die Debatte um das Thema sicherlich nicht so groß geworden und wir wären heute nicht auf dem Stand, auf dem wir jetzt sind.

Zur Person

Wiebke

Wiebke ist 18 Jahre alt und geht in Bad Hersfeld in die 13. Klasse. Sie ist die Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz, die die Interessen von acht Millionen Schülern und Schülerinnen in Deutschland vertritt. Wiebke koordiniert die Arbeit der Bundesschülerkonferenz und vertritt sie nach außen.

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