Nachhaltigkeit „Wir müssen auf jeden Fall besser werden“
Seit 18 Jahren gibt es den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Helmut Kleebank (SPD) ist der neue Vorsitzende. Er gibt Deutschland in Sachen Nachhaltigkeit „eine gute Drei“ und erklärt, was jetzt angepackt werden muss.
„Heute nicht auf Kosten von morgen leben!“ Das Motto auf der Seite des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung deutet an, was Nachhaltigkeit bedeutet. Können Sie das genauer erklären?
Hinter dem Begriff steht die Erkenntnis, dass die Ressourcen unseres Planeten – und das heißt natürlich auch: unseres Landes, unserer Stadt, unserer Kommune – nicht unbegrenzt vorhanden sind. Die Grundregel sollte eigentlich lauten, dass man nur das verbraucht, was sich in einem überschaubaren Zeitraum regeneriert. Denn nur so kann das System, in dem wir leben, stabil bleiben. Wenn wir uns danach richten, verhindern wir den Abbau und damit die Zerstörung des Systems, das uns trägt. Wir sind Teil der Natur und leben von den Ressourcen, die die Natur bereitstellt. Wenn wir mehr nehmen, als die Natur imstande ist, nachzuliefern, dann schneiden wir uns ins eigene Fleisch.
Der Begriff kommt übrigens aus der Forstwirtschaft. Schon im 17. Jahrhundert hat ein schlauer Forstmann festgestellt: Wenn ich mehr Holz aus dem Wald entnehme, als nachwachsen kann, dann zerstöre ich den Wald letztendlich.
Das lässt sich natürlich auf viele andere Bereiche übertragen: auf das Gesundheitssystem, auf Bildung, auf Hunger und Armut – kurz: auf all die Aspekte, die in den 17 Nachhaltigkeitszielen festgelegt sind.
Die 17 Nachhaltigkeitsziele
Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen die Agenda 2030 verabschiedet, mit dem Ziel, den Menschen weltweit in Zukunft ein menschenwürdigeres Leben zu ermöglichen und gleichzeitig die natürlichen Ressourcen zu wahren. Die Agenda 2030 listet 17 Nachhaltigkeitsziele auf, die ihr hier nachlesen könnt.
Wenn Sie Schulnoten vergeben müssten, wie schneiden die Deutschen im internationalen Vergleich ab in Punkto Nachhaltigkeit?
In einer internationalen Studie von 2015 landen wir insgesamt auf Platz 6. Allerdings sind die Einzelbewertungen in den verschiedenen Bereichen von Nachhaltigkeit sehr unterschiedlich. Unser soziales Netz ist – bei allen Verbesserungsmöglichkeiten, die es sicherlich trotzdem gibt – im internationalen Vergleich sehr gut. Das Gleiche gilt für die innere Sicherheit. In anderen Bereichen gibt es deutlichen Nachholbedarf, zum Beispiel beim Umweltschutz oder beim Thema Müll. Wir produzieren überdurchschnittlich viel Müll.
Und jetzt die Schulnote!
Na gut. Insgesamt würde ich sagen: eine gute Drei. Aber die Spannweite zwischen den einzelnen Bereichen reicht sicher von Eins minus bis Vier minus.
Wie kann der Beirat dazu beitragen, dass die Deutschen nachhaltig leben und arbeiten?
Der Beirat schaut sich die Arbeit der Bundesregierung an, die selbst die Aufgabe hat, ihre Nachhaltigkeitspolitik zu beschreiben und zu beurteilen. Wir prüfen, ob das passiert. Darüber hinaus haben wir die Möglichkeit, uns alle Politikfelder anzuschauen und zu fragen: Wie nachhaltig wird da gearbeitet? Dazu können wir uns Expertise einholen, indem wir Experten in Anhörungen befragen, und dann eigene Stellungnahmen formulieren, in denen wir zum Beispiel die Bundesregierung auffordern, in bestimmten Bereichen nachhaltiger zu werden.
Man sagt, der Beirat hat eine „Wachhund-Funktion“. Was passiert, wenn der Wachhund Alarm schlägt?
Der Wachhund schlägt beispielsweise Alarm, wenn die Berichte der Regierung über Nachhaltigkeit für ein geplantes Gesetz nicht ausreichen. Dann können wir eine Stellungnahme der Bundesregierung anfordern und die fließt dann in den weiteren Gesetzgebungsprozess ein.
Den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung gibt es seit 18 Jahren. Was hat er erreicht, wo wünschen Sie sich mehr?
Schaut man sich die Debatten im Bundestag an, findet man fast keine, in der nicht an irgendeiner Stelle der Begriff Nachhaltigkeit fällt. Ich glaube, die Arbeit des Beirates hat – gemeinsam mit der öffentlichen Wahrnehmung der Themen Klimaschutz und Artenvielfalt – dazu geführt, dass viele Themen mit Blick auf die Frage der Nachhaltigkeit diskutiert werden. Das ist schon mal ein sehr großer Erfolg.
Und die Fragestellungen haben auch einen festen Platz in der Gesetzgebung. 2020 ist das erste Mal im Plenarsaal eine sogenannte Nachhaltigkeitsdebatte geführt worden, wo alle Aspekte des Themas im Mittelpunkt standen. Wir haben uns vorgenommen, das fortzusetzen. Im September planen wir wieder so eine solche Schwerpunktdebatte.
Deutschland hat eine eigene nationale Nachhaltigkeitsstrategie, die zuletzt 2021 weiterentwickelt wurde und die sicherlich auch noch weiterentwickelt werden muss.
Die bisherigen Erfolge können uns natürlich nicht zufriedenstellen. Es gibt immer noch zu viele Stellen, an denen das Thema Nachhaltigkeit noch nicht genug berücksichtigt wird. Wir müssen auf jeden Fall besser werden.
Verschiedene Regierungskoalitionen haben am Beirat festgehalten. Das lässt vermuten, dass über die Fraktionen hinweg eine gewisse Einigkeit besteht. Gibt es trotzdem auch mal Streit?
Fast alle halten den Beirat für notwendig. Ich kann mir unter den aktuellen Vorzeichen auch nicht vorstellen, dass irgendjemand davon abrückt. Ganz im Gegenteil: Alle Ressorts sind dazu aufgefordert, Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt ihres Handels zu stellen, das wird immer wichtiger.
In Detail-Fragen gab es in der Vergangenheit natürlich auch mal Differenzen. Bei den Stellungnahmen des Beirats gab es schon mal abweichende Positionen. Aber das kommt nicht oft vor.
Sie sind der neue Vorsitzende des Beirats. Welche Schwerpunkte wollen Sie in dieser Legislaturperiode setzen?
Die Themen lege ich natürlich nicht alleine fest, sondern das tut der Beirat gemeinsam. Ein Schwerpunkt wird auf jeden Fall sein, die Arbeit und die Strukturen des Beirats selbst weiterzuentwickeln. Diesen Auftrag hat uns das Parlament mitgegeben.
Inhaltlich sind entscheidende Punkte sicher die Themen Klimaschutz, Artenschutz, biologische Vielfalt. Die bieten aber auch Anknüpfungspunkte in alle Ressorts.
Es wird in unserer Arbeit auch darum gehen, zu schauen: Wo greifen unsere Nachhaltigkeitsziele vielleicht noch zu kurz?
Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Interessen von Menschen mit Behinderung sind vielleicht implizit in dem einen oder anderen Ziel mit vorhanden. Aber viele besondere Bedarfe, zum Beispiel nach barrierefreiem Wohnraum, können wir derzeit nicht abdecken. Da muss noch viel passieren.
Ein anderes Beispiel: Kürzlich fiel im Bundestag das Stichwort feministische Außenpolitik. Das ist von manchen Seiten mit Häme überzogen worden. Ich finde, wir sollten das ernst nehmen. Wir stellen einfach fest, dass da, wo mehr Frauen in der Politik oder auch in der Wirtschaft über die Geschicke bestimmen, durchaus anders Politik und Wirtschaft gemacht wird. Es waren in der Vergangenheit nicht nur, aber wesentlich mehr Männer als Frauen, die Kriege vom Zaun gebrochen haben. Ich finde, das ist ein Stück Friedenspolitik, und das müssen wir ernst nehmen. Das hat weltweit Bedeutung.
Wie beeinflussen aktuelle politische Entwicklungen wie der Krieg in der Ukraine oder die Corona-Pandemie die Arbeit im Beirat?
Sie haben natürlich enorme Auswirkungen auf unser aller Leben. Nehmen Sie das Thema Armut: Der Krieg wird wahrscheinlich zu Schwierigkeiten in der Ernährung in vielen Ländern führen. Wir alle müssen dafür sorgen, dass alle Menschen genug zum Essen haben. Und das ist nur ein Aspekt.
Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir nicht in alte Reflexe zurückfallen und das Thema Nachhaltigkeit wieder hintenanstellen. Manche fordern das jetzt schon wieder: Lasst uns nicht so viel über die CO2-Reduktion reden, wir haben jetzt andere Probleme! Das wäre ein Riesenfehler, so zu denken.
Es ist ausgesprochen wichtig, dass wir auch in der Krise das, was wir neu aufbauen, unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit aufbauen. Denn wenn wir zusammengebrochene Strukturen wieder nach altem Muster neu aufbauen, machen wir die gleichen Fehler wie vorher – und zwar auf lange Zeit. Wo wir Wiederaufbauarbeit leisten, müssen wir sie nachhaltig leisten. Das muss ein Gedanke werden, der uns alle verbindet.
Zur Person
Helmut Kleebank, 1964 in Berlin geboren, machte nach der Schule eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Später studierte er Mathematik und Physik auf Lehramt, arbeitete als Lehrer und Schulleiter, bevor er von 2011 bis 2021 Bezirksbürgermeister in Berlin-Spandau war. Seit 2021 sitzt er für die SPD im Bundestag. Er ist Mitglied im Umweltausschuss und im Ausschuss für Klimaschutz und Energie und sitzt dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung vor. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.
(jk)