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Interview mit dem Polizeibeauftragten „Wir lassen uns nicht schocken“

Jasmin Nimmrich

Uli Grötsch ist der erste Polizeibeauftragte des Bundes beim Deutschen Bundestag – ein Amt, das zwischen den Polizeibehörden, dem Parlament und Bürgerinnen und Bürgern vermitteln soll. Was genau seine Aufgaben sind, was ihn in den ersten 100 Tagen im Amt überrascht hat und was nach seiner Amtszeit bleiben soll, hat er uns im Interview verraten.

Ein Mann mit kurzen dunklen Haaren und einem kurzen Bart lächelt in die Kamera. Er trägt ein dunkelgraues Sakko und ein weißes Hemd, hinter ihm eine einfarbige graue Wand.

Uli Grötsch wurde im März 2024 zum Polizeibeauftragten des Bundes beim Deutschen Bundestages ernannt. © Susi Knoll

Seit März 2024 sind Sie der erste Polizeibeauftragte des Bundes – was genau gehört zu Ihren Aufgaben?

Das neu geschaffene Amt des Polizeibeauftragten ist ein wichtiges Bindeglied zwischen den Polizeibehörden des Bundes, den Bürgerinnen und Bürgern sowie dem Deutschen Parlament. Zu meinen Aufgaben gehört es dabei, Prozesse und Entscheidungen innerhalb der Polizei zu erläutern, sie aber - unter gegebenen Umständen - auch in Frage zu stellen. Ich bin außerdem eine unabhängige Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger, die sich durch die Polizeibehörden des Bundes – also Bundeskriminalamt, Bundespolizei oder die Polizei beim Deutschen Bundestag – unrechtmäßig behandelt oder zu Unrecht in ihren Grundrechten eingeschränkt fühlen. Zugleich können sich auch Beschäftigte der Polizeibehörden an mich wenden und auf strukturelle Fehlentwicklungen oder Fehlverhalten innerhalb der Behörde aufmerksam machen. Vor allem aber möchte ich dafür sorgen, Vertrauen zu schaffen. Das heißt in der Praxis, dass sich die Polizeibehörden und die Bürgerinnen und Bürger einander annähern und polizeiliches Handeln besser verstanden werden kann.

Warum sind Sie für diesen Posten geeignet?

Ich war zehn Jahre lang als Mitglied des Bundestages im Innenausschuss tätig und dort zuständig für die Themen Bundespolizei, Bundeskriminalamt und die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste. Bevor ich Bundestagsabgeordneter geworden bin, habe ich 21 Jahre lang als Polizeibeamter in Bayern gearbeitet. Bei der Polizei gilt: Man geht niemals so ganz. Deshalb habe ich auch immer den Kontakt zu meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen gehalten. Und als Polizeibeauftragter des Bundes kann ich jetzt meine beruflichen Erfahrungen mit meiner politischen Arbeit verknüpfen. 

Wie lief Ihre Ernennung zum Polizeibeauftragten des Bundes ab?

Der Koalitionsvertrag zwischen den Regierungsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sah die „Einführung einer oder eines unabhängigen Polizeibeauftragten für die Polizei des Bundes als Anlaufstelle beim Deutschen Bundestag“ vor. Innerhalb der Koalition wurde also besprochen, welche Fraktion einen Personalvorschlag für dieses Amt machen darf. Das ist ein üblicher Prozess, aus dem in diesem Fall hervorging, dass die SPD-Fraktion diesen Posten besetzen wird. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, das Amt zu übernehmen – und ich habe es bis zum heutigen Tage noch kein einziges Mal bereut.

Inwiefern unterscheiden sich Ihre Aufgaben als Polizeibeauftragter von denen als Abgeordneter?

Als Abgeordneter ist man, wenn man so möchte, für alles zuständig, auch weil sich die Menschen aus dem Wahlkreis mit Themen aus allen Bereichen des Lebens an einen wenden. Als Polizeibeauftragter hingegen arbeite ich viel spezialisierter. Ich habe durch das Gesetz über den Polizeibeauftragten des Bundes beim Deutschen Bundestag einen klar gesteckten Rahmen, was meine Zuständigkeiten betrifft. Außerdem habe ich auch nur einen Dienstsitz in Berlin, und nicht, wie als Abgeordneter, ein zusätzliches Büro im eigenen Wahlkreis, die ich koordinieren muss. Ich bin dankbar, dass mir der Gesetzgeber ein hohes Maß an Unabhängigkeit und sehr viele Möglichkeiten geben hat, dieses Amt auszufüllen. Und das mache ich gemeinsam mit meinen 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.  

18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das ist ja eine ganze Menge…

Ja, es war eine sehr gute Entscheidung des Haushaltsausschusses, dieses neue Amt auch personell gut auszustatten. Wir merken jetzt nach ziemlich genau vier Monaten, dass diese Planung auch dringend nötig war. Bisher haben wir zahlreiche Anliegen von den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von den Polizeibehörden des Bundes erhalten. Und um der Aufgabe und kommenden Herausforderungen gerecht zu werden, hat uns auch die Bundestagsverwaltung unterstützt, indem sie uns zusätzlich mit Räumen, Technik und anderen Ressourcen ausgestattet hat. 

Warum braucht es das Amt?

Unsere Gesellschaft befindet sich in einem konstantem Wandel und steht vor großen Herausforderungen. Die Bürgerinnen und Bürger haben heute eine ganz andere Erwartungshaltung, was die Transparenz staatlichen und auch polizeilichen Handelns betrifft, als das noch vor zehn oder 20 Jahren der Fall war. Ein gutes Beispiel, wie wichtig der Dialog zwischen staatlichen Institutionen und den Bürgerinnen und Bürgern ist, zeigt die Arbeit der Wehrbeauftragten des Bundes, das heute von Eva Högl bekleidet wird. Ihr Amt existiert bereits seit 1957 und seitdem haben sie - und die Wehrbeauftragten vor ihr - immer wieder unter Beweis gestellt, dass es sie braucht. Das Amt bietet die Möglichkeit, einen zweiten, anderen Blick auf Dinge zu haben und zu sehen, an welchen Stellen es Veränderungen oder Verbesserungen bedarf. Heutzutage sind allen voran die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr froh, dass ihnen die Wehrbeauftragte als direkte Anlaufstelle zur Verfügung steht. 

Drei Männer unterhalten sich vor einem Sportstadion. Zwei von ihnen sind in Polizeiuniform gekleidet.

Uli Grötsch im Gespräch mit Präsident der Bundespolizeidirektion in Berlin, Carsten Glade (rechts), in der Mitte Jan-Henrik Minor. © BPolD Berlin

Ihr erster Tätigkeitsbericht widmet sich unter anderem den Missständen innerhalb der Polizei oder im Umgang der Polizei mit Zivilisten. Waren Sie von den Problemen, die an Sie herangetragen wurden, überrascht?

In meinem Büro lautet die Devise: Wir lassen uns nicht schocken! Stattdessen gehen wir mit einem neutralen und klaren Blick an die Dinge heran und beleuchten in jedem Fall, der uns geschildert wird, immer beide Seiten. Wir geben der Perspektive von Bürgerinnen und Bürger genauso viel Raum wie der Einschätzung der betroffenen Polizeibehörde. Erst wenn wir beide Seiten angehört haben, bilden wir uns eine unabhängige Meinung. Mein gesetzlicher Auftrag ist es, möglichst eine Einigung zwischen beiden Seiten herzustellen, also den Bürgerinnen und Bürgern, die sich an uns wenden, und der betroffenen Polizeibehörde. Nach Abschluss unserer Untersuchung verfasse ich einen Bericht, den ich anschließend auch dem Deutschen Bundestag zukommen lasse. Alle, die sich an uns wenden, können sich sicher sein, dass wir alle Anliegen sorgfältig prüfen und auf Wunsch immer auch vertraulich behandeln. 

Wie kann man sich Ihre Arbeit mit den Polizeibehörden vorstellen?

Zuerst einmal ist es mir wichtig, mit allen Polizeien des Bundes im Dialog zu sein und mich überall vorzustellen. Je nach Einzelfall, dem wir nachgehen, kann unsere Arbeit vor Ort ganz unterschiedlich aussehen. Das Parlament hat dem Polizeibeauftragten weitgehende Rechte zugesprochen, so kann er unter anderem vorliegende Akten, beispielsweise zu Strafverfahren, einsehen. Außerdem sind wir berechtigt, vor Ort Befragungen durchzuführen. Das kann in vielen Fällen Sinn machen, weil es immer förderlich ist, sich die individuelle Einschätzung der Betroffenen zu hören - außerhalb der Situation, die womöglich auch eskaliert ist. 

Sind Sie noch vernetzt mit Ihrer ehemaligen Fraktion und anderen Abgeordneten?

Ich arbeite in meiner Funktion als Polizeibeauftragter mit allen demokratischen Fraktionen im Bundestag zusammen, weil ich ein überparteiliches und fraktionsübergreifendes Amt ausübe. Meine Ämter innerhalb der SPD habe ich allesamt niedergelegt, auch um die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit des Amtes repräsentieren zu können. In meinen zehn Jahren als Bundestagsabgeordneter habe ich oftmals über Fraktionsgrenzen hinweg sehr gut mit anderen Abgeordneten zusammengearbeitet. Und das werde ich auch als Polizeibeauftragter weiterhin pflegen, weil es ja auch ein Amt sein soll, das von allen getragen und letztendlich auch genutzt wird.

Was soll bleiben, wenn Sie ihr Amt in fünf Jahren an Ihre Nachfolge übergeben?

Ich möchte vor allem erreichen, dass alle Bürgerinnen und Bürger, Parlamentarierinnen und Parlamentarier sowie alle Polizeibeamten nach fünf Jahren zu dem Schluss kommen, die Existenz des Amtes für gut und notwendig zu erachten. Dafür ist es auch nötig, dass unsere Arbeit bekannter wird. Denn viele Menschen in Deutschland haben bestimmt noch gar nicht gehört, dass es einen Polizeibeauftragten gibt und dass man sich an mich wenden kann. Gerade deshalb bin ich viel in der Bundesrepublik unterwegs, um mich bei allen Polizeien des Bundes vorzustellen. 

Was war die größte Überraschung in den ersten vier Monaten im Amt?

Vor dem Amtsantritt dachte ich eigentlich, dass ich die Polizeibehörden des Bundes nach zehn Jahren parlamentarischer Arbeit in diesem Bereich und der Arbeit im Dienst ganz gut kenne. Ich sehe jetzt, dass diese Behörden oftmals noch vielfältiger sind als gedacht. Es ist eine große, aber auch sehr erfüllende Aufgabe, alle Facetten der Polizeibehörden kennenzulernen. Zum Beispiel ist die Bundespolizei mit ihren rund 55.000 Angestellten eine der größten Behörden, die wir in Deutschland haben. Und die Arbeit, die die Beamtinnen und Beamten beispielsweise bei der deutschen Küstenwache in Neustadt in Holstein, die die Ostsee überwachen, leisten, ist kaum damit zu vergleichen, womit die Kontrollstellen an der österreichischen Grenze Tag für Tag beschäftigt sind. 

Zur Person

Uli Grötsch

…hat von 2013 bis zum 15. März 2024 als Abgeordneter den Wahlkreis Weiden in der Oberpfalz im Deutschen Bundestag vertreten. Im März 2024 wurde er zum ersten Polizeibeauftragten des Bundes beim Deutschen Bundestag ernannt.

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