Porträt: Gregor Gysi Der Alterspräsident
Jasmin Nimmrich
In der konstituierenden Sitzung eines neuen Bundestages kommt dem dienstältesten Abgeordneten als Alterspräsident eine besondere Rolle zu: Er darf die Sitzung leiten und somit die neue Legislatur eröffnen. Am 25. März wird diese Rolle Gregor Gysi zufallen.

Fraktionschef, Oppositionsführer, außenpolitischer Sprecher – Gregor Gysi hatte schon so einige Funktionen im Deutschen Bundestag inne. In der 21. Legislaturperiode ist er zum ersten, und nach eigenen Angaben auch zum letzten Mal, der Alterspräsident. © picture alliance / photothek.de | Florian Gaertner
Gregor Florian Gysi wurde 1948 im Berliner Bezirk Lichtenberg geboren. Mit dem Abitur und einem Abschluss als Facharbeiter für Rinderzucht in der Tasche immatrikulierte sich der 18-jährige Gregor Gysi an der Humboldt-Universität zu Berlin für Rechtswissenschaften. 1967 trat er in die SED, die Staatspartei der DDR, ein. 1970 schloss er das Studium als Diplom-Jurist ab. Als jüngster Rechtsanwalt der DDR übernahm Gysi vor allem die Verteidigung von Oppositionellen und Bürgerrechtlern wie Robert Havemann, Bärbel Bohley und der Bürgerrechtsbewegung „Neues Forum“.
Am 4. November 1989, inmitten der Friedlichen Revolution, die den Zerfall der DDR zur Folge hatte, sprach sich Gysi vor 500.000 Menschen für ein neues DDR-Wahlrecht und ein Verfassungsgericht aus. Auf dem Berliner Alexanderplatz forderte er die Erneuerung der SED: „Ich bin, und ich weiß, da bin ich mit vielen nicht einig, für die führende Rolle der Partei, aber ganz und gar gegen ihre Alleinherrschaft. (...)“

„Liebe Freunde, ich spreche eigentlich frei, ich habe mir diesmal etwas aufgeschrieben, damit ich auch danach noch weiß, was ich gesagt habe“, mit diesen Worten begann der junge DDR-Rechtsanwalt Gregor Gysi seine Ansprache an die hunderttausenden Teilnehmer der ersten parteiunabhängigen und offiziell genehmigten Demonstration in der DDR. © picture alliance / Andreas Altwein | dpa-Zentralbild (ADN)
Der Neuanfang nach dem Ende
Am 9. November, fünf Tage nach der Kundgebung, fiel die Mauer. Zum SED-Sonderparteitag am 8. Dezember beriet die Einheitspartei der DDR ihre Zukunft und wählte Gregor Gysi mit 95,3 Prozent zu ihrem Vorsitzenden. Ab Januar 1990 nannte sich die Partei PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus). Nach der ersten freien Volkskammerwahl der DDR am 18. März 1990 führte Gregor Gysi die sozialistische Partei, die sich ab Januar 1990 PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) nannte, als Fraktionsvorsitzender in der Opposition.

SED, SED-PDS, dann PDS, dann Die Linke.PDS, mittlerweile nur Die Linke – durch viele Veränderungen hinweg blieb Gregor Gysi eine Instanz innerhalb der Linkspartei. Hier auf dem außerordentlichen Parteitag 1989, auf dem die Umbenennung in SED-PDS erfolgte. © IMAGO / teutopress
Mit der Wiedervereinigung der BRD und der DDR am 3. Oktober 1990 zog er nach der Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 als einer von 17 Abgeordneten für die PDS in den Deutschen Bundestag ein und vertrat diese dort als Vorsitzender der Bundestagsgruppe. 1993 verzichtete er auf den Parteivorsitz. Ein Jahr später verfehlte die PDS mit 4,4 Prozent der Zweitstimmen die Fünfprozenthürde, zog aber aufgrund der Grundmandatsklausel mit vier Direktmandaten, von denen Gregor Gysi eines im Wahlkreis Berlin Hellersdorf gewonnen hatte, in den 13. Deutschen Bundestag ein.
Bei der Bundestagswahl 1998 übersprang die PDS mit 5,1 Prozent erstmals die Fünfprozenthürde und ernannte Gregor Gysi, der zuvor aus dem Parteivorstand ausgetreten war, zu ihrem Fraktionsvorsitzenden. Das Amt bekleidete er bis zum 3. Oktober 2000.

Am 26. Oktober 1998 konstituierte sich der 14. Deutsche Bundestag im Alten Wasserwerkes in Bonn. In der ersten Reihe der Fraktion der PDS: Ihr Vorsitzender Gregor Gysi. © IMAGO / Jürgen Eis
Senator in Berlin
2002 kehrte Gregor Gysi dem Deutschen Bundestag vorerst den Rücken und trat bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin für die PDS an. Am 17. Januar 2002 wurde er unter der rot-roten Landesregierung von SPD und PDS zu einem der Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen des Landes Berlin ernannt.
Der damals 53-Jährige hielt sich knapp sieben Monate in diesem Amt. Grund für seinen Rücktritt am 31. Juli 2002 waren die Veröffentlichungen rund um die sogenannte Bonusmeilen-Affäre, die einigen Bundestagsabgeordneten den Missbrauch der dienstlich angesammelten Bonus-Flugmeilen für Privatreisen vorwarf.
Direktmandat in Treptow-Köpenick
Zur Bundestagswahl 2005 kandidierte er wieder für den Bundestag. Mit 8,7 Prozent verzeichnete seine Partei, die mit neuem Namen Die Linkspartei.PDS angetreten war, ihr bis dahin bestes Ergebnis und wurde viertstärkste Kraft im Parlament. Die 54 Abgeordneten wählten Gregor Gysi und Oskar Lafontaine an die Spitze ihrer Fraktion. Auch in den zwei darauf folgenden Bundestagswahlen verteidigte Gregor Gysi sein Direktmandat für den Wahlkreis Treptow-Köpenick, die Fraktion führte er als alleiniger Fraktionsvorsitzender an.
In seiner letzten Rede als Fraktionschef und Oppositionsführer der 18. Wahlperiode, für die Gysi die geplanten zehn Minuten um sieben Minuten überzog, resümierte er seine bisherigen parlamentarischen Erfahrungen: „Ich habe bisher die Abgeordneten nie als Kolleginnen bzw. Kollegen begrüßt. Das wird Ihnen gar nicht aufgefallen sein. Das hängt mit den Diskriminierungen und Verletzungen zusammen, die ich erlebt habe, auch im Immunitätsausschuss.“ Damit bezog er sich auf die Vorwürfe, er habe mit der Staatssicherheit der DDR zusammengearbeitet, welche der Immunitätsausschuss 1998 als erwiesen ansah. In zahlreichen Gerichtsverfahren wurden die Anschuldigungen, dass Gysi Mandanten verraten oder ausspioniert habe, widerlegt.

Aus zehn Minuten Redezeit macht er 2015 siebzehn. Als Alterspräsident der 21. Wahlperiode wird Gregor Gysi keine Redezeitbegrenzung haben – ein Privileg, auf das er sich schon freut. © picture alliance / dpa | Frank Schwarz
Alterspräsident mit 77
Nach dem Ende der Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im November 2024 sahen die ersten Umfragen den Einzug der Partei Die Linke in den 21. Deutschen Bundestag gefährdet. Mit 8,8 Prozent und insgesamt sechs Direktmandaten gelang der Partei dieser problemlos. Eines der Direktmandate gewann Gregor Gysi, der mit mehr als 30 Jahren Parlamentserfahrung nun Alterspräsident des 21. Deutschen Bundestages wird.
Für ihn als dienstältesten Abgeordneten sei es eine „Ehre und eine Verantwortung. Ich werde die erste und letzte Rede meines Lebens als Alterspräsident ohne Zeitbegrenzung halten – das ist schon etwas Besonderes. Es ist wirklich angenehm, nicht ständig auf die Uhr schauen und nach zwei Minuten abbrechen zu müssen. Aber keine Sorge, ich werde das nicht missbrauchen”, sagte er im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament”.