Fragen an ... ... die religionspolitischen Sprecher
Weihnachten ist ein christliches Fest. Wir haben sechs Abgeordnete gefragt, welche Bedeutung es für sie und die Gesellschaft heute hat.
Lars Castellucci (SPD)
Mit rund 41 Millionen Menschen ist circa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland katholisch oder evangelisch. Viele Menschen gehören anderen Glaubensgemeinschaften an oder fühlen sich keiner Religion zugehörig. Welche Rolle spielen das Weihnachtsfest und die Geburt Jesu im Jahr 2022 dennoch?
Weihnachten hat zumindest für einige Menschen unter den Christen weiterhin eine religiöse Bedeutung. Es ist das Fest der Geburt Jesu. Dem christlichen Glauben nach ist er in die Welt gekommen, um sie zu retten. Das können wir ja eigentlich gut gebrauchen.
Jesus wurde als Kind in einer Krippe im Stall geboren, seine Eltern mussten vor Verfolgung fliehen. Später suchte er – auf einem Esel reitend – die Menschen am Rande der Gesellschaft auf. Er ritt zu den Kranken, den Schwachen, den Ausgestoßenen. Er stellte sich am Ende den Mächtigen ohne Waffen entgegen. Da sind doch ein paar Botschaften auch für uns heute dabei.
Ansonsten ist Weihnachten ein Fest für die Familie und Freunde, das Jahr kann langsam ausklingen, wir halten inne und bereiten uns auf das neue Jahr vor. Meine muslimischen Nachbarn tragen dafür übrigens fröhlich einen Weihnachtsbaum ins Haus, auf den ich als Christ schon wegen der ganzen Nadelei verzichte. Weihnachten ist also genauso vielfältig wie unser Land.
Es leben Muslime, Juden, Buddhisten und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften in Deutschland. Ist es aus Ihrer Sicht denkbar, dass irgendwann auch Feiertage anderer Religionen mehr Aufmerksamkeit bekommen?
Unbedingt. Aber einfach noch mehr Feiertage werden es kaum werden. Wenn jede Arbeitnehmerin oder jeder Arbeitnehmer sich die eigenen Feiertage heraussuchen darf, werden die Arbeitgeber verrückt. Und „den einen“ etwas wegnehmen und dafür „den anderen“ etwas geben, ist immer eine komplizierte Sache. Wir brauchen also eine gute Lösung für alle. Der erste Schritt, um eine Lösung finden zu können, wäre es, darüber ins Gespräch zu kommen.
Über Lars Castellucci: 1974 in Heidelberg geboren, Hochschulprofessor. Er ist Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Heimat.
Thomas Rachel (CDU/CSU)
Mit rund 41 Millionen Menschen ist circa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland katholisch oder evangelisch. Viele Menschen gehören anderen Glaubensgemeinschaften an oder fühlen sich keiner Religion zugehörig. Welche Rolle spielen das Weihnachtsfest und die Geburt Jesu im Jahr 2022 dennoch?
Gemeinsam gelebte Bräuche und Traditionen stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in unserem Land. Weihnachten hat für einige von uns einen religiösen und für andere von uns einen kulturellen Stellenwert. Dennoch feiern viele gemeinsam Weihnachten, stellen einen Weihnachtsbaum auf und singen Weihnachtslieder. Weihnachten ist auch ein Anlass, um zur Ruhe zu kommen, wertvolle Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen und Kraft zu schöpfen für das nächste Jahr. Gerade in Krisenzeiten ist es ein Fest der Nächstenliebe und Hoffnung für uns alle.
Es leben Muslime, Juden, Buddhisten und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften in Deutschland. Ist es aus Ihrer Sicht denkbar, dass irgendwann auch Feiertage anderer Religionen mehr Aufmerksamkeit bekommen?
Solange niemand aus seinem religiösen Glauben Pflichten ableitet, die für alle gelten sollen, finde ich auch andere Feste interessant. Beispielsweise war ich beim jüdischen Lichterfest und habe mit religiösen und nicht-religiösen Juden Chanukka gefeiert. Muslime feiern jedes Jahr das Zuckerfest. Populär unter Jugendlichen ist das farbenfrohe Holi Festival, was seinen Ursprung im Hinduismus findet. Unsere Gesellschaft besteht aus verschiedenen kulturellen und religiösen Einflüssen. Diese Vielfalt sollte jeder respektvoll leben können. Vielfalt bereichert unser Leben solange sie die Mitmenschen nicht in Ihrer Freiheit einschränkt.
Über Thomas Rachel: 1962 in Düren geboren, Politikwissenschaftler. Seit Dezember 2021 ist er Fachsprecher für Kirchen und Religionsgemeinschaften der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Rachel ist Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Lamya Kaddor (Bündnis 90/Die Grünen)
Mit rund 41 Millionen Menschen ist circa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland katholisch oder evangelisch. Viele Menschen gehören anderen Glaubensgemeinschaften an oder fühlen sich keiner Religion zugehörig. Welche Rolle spielen das Weihnachtsfest und die Geburt Jesu im Jahr 2022 dennoch?
Weihnachten ist in der Wahrnehmung vieler Menschen längst eine Art universelles Fest. Sie begehen es auch, ohne die christlichen Hintergründe zu verinnerlichen. Bei vielen kommt eben nicht das Christkind, sondern der Weihnachtsmann und bringt die Geschenke. Von daher ist Weihnachten etwas Verbindendes und als positiver Wert für die Gesellschaft kaum zu unterschätzen. Die Christen haben uns dieses Fest geschenkt. Dessen können sie sich immer bewusst sein. Und alle anderen können es als Geschenk empfangen: Während Christen auch der Geburt Jesu gedenken, können sich alle anderen an den Feierlichkeiten im Familien- und Freundeskreis erfreuen.
Es leben Muslime, Juden, Buddhisten und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften in Deutschland. Ist es aus Ihrer Sicht denkbar, dass irgendwann auch Feiertage anderer Religionen mehr Aufmerksamkeit bekommen?
Wenn mich meine Beobachtungen nicht täuschen, dann ist es zum Teil schon der Fall, dass Feiertage anderer Religionen mehr Aufmerksamkeit bekommen, zumindest zu einem gewissen Grad. Der Ramadan nimmt im Vergleich zu früher bereits verhältnismäßig viel Raum in der Öffentlichkeit ein. Auch Chanukka findet inzwischen größere Beachtung – auch außerhalb jüdischer Gemeinden. Denken Sie an den großen Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor und an die Grußworte der Politik. Der Umgang mit den Festen anderer Religionen ist natürlich noch ausbaufähig und das ist einer pluralistischen Gesellschaft wie der unseren auch durchaus zu empfehlen.
Größeren Nachholbedarf haben wir gewiss in Bezug auf andere Religionsgruppen und auch bei nicht-religiösen Menschen. Auch sie brauchen Anlässe, an denen sich der Rest der Gesellschaft speziell mit ihrer Sicht auf die Welt und das Leben befasst. Dass diese aber irgendwann einmal einen ähnlichen Status wie Weihnachten erreichen würden, davon ist nicht auszugehen. Und das muss ja auch gar nicht sein. Deutschland ist von seiner Geschichte her nun mal ein christlich geprägtes Land und das wird es immer bleiben.
Über Lamya Kaddor: 1978 in Ahlen/Westfalen geboren, Islamwissenschaftlerin. Sie ist Leiterin der AG Inneres und Heimat der Grünenfraktion und Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat.
Sandra Bubendorfer-Licht (FDP)
Mit rund 41 Millionen Menschen ist circa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland katholisch oder evangelisch. Viele Menschen gehören anderen Glaubensgemeinschaften an oder fühlen sich keiner Religion zugehörig. Welche Rolle spielen das Weihnachtsfest und die Geburt Jesu im Jahr 2022 dennoch?
Das Weihnachtsfest und die Adventszeit prägen auch im Jahr 2022 den Jahresausklang für die allermeisten Menschen in Deutschland. Weihnachtsmärkte, all die schönen Lichter, Weihnachtsbäume und das verstärkte Zusammensein mit der Familie und Freunden sind für die meisten Leute in Deutschland aus dem Dezember und dem Jahresende nicht wegzudenken.
Die Feier der Geburt Jesu steht dabei im Zusammenhang mit verschiedenen christlichen Werten wie Nächstenliebe, Solidarität und Dankbarkeit. Ich glaube, diese Werte sind auch für viele Muslime, Juden, Buddhisten, Hindus und andere religiöse wie nichtreligiöse Bürger in Deutschland wichtig.
Weihnachten bringt Menschen aller Religionen und auch nichtreligiöse Menschen an einen Tisch zusammen und führt nicht selten zu interessanten Gesprächen über Religionsgrenzen hinweg. Somit bin ich der festen Überzeugung, dass das Weihnachtsfest stets ein fester kultureller Bestandteil in unserer vielschichtigen Gesellschaft im Jahr 2022 ist.
Es leben Muslime, Juden, Buddhisten und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften in Deutschland. Ist es aus Ihrer Sicht denkbar, dass irgendwann auch Feiertage anderer Religionen mehr Aufmerksamkeit bekommen?
Historisch ist Deutschland natürlich ein Land, das durch das Christentum geprägt wurde. Aber – wie die gesamte Welt – ist auch die Bundesrepublik im stetigen Wandel und wird immer auch durch die Menschen bestimmt, die in ihr leben. Wenn sich die Menschen in Deutschland anderen Religionen zugehörig fühlen und eben auch ihre Feste feiern, dann wirkt sich das auch auf unsere Gesellschaft aus.
Wichtig ist mir, dass wir diesen Entwicklungen offen entgegensehen und gemeinsam Respekt und Anerkennung füreinander aufbringen. Deutschland ist ein vielfältiger Staat, der im Rahmen der Religionsfreiheit alle Religionen gleichermaßen schätzt und schützt. Wenn mehr Menschen in Zukunft etwa Zuckerfest und Opferfest oder Jom Kippur feiern wollen, dann werden diese Feste auch gesamtgesellschaftlich an Einfluss gewinnen. Daher würde ich sagen, dass es durchaus denkbar ist, dass Feiertage anderer Religionen mehr Aufmerksamkeit erhalten werden. Dabei wünsche ich mir, dass wir alle Kulturen und ihre verschiedenen Traditionen grundsätzlich als Bereicherung ansehen.
Über Sandra Bubendorfer-Licht: 1969 in Mühldorf am Inn geboren, Dolmetscherin. Sie ist religionspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion und Obfrau im Ausschuss für Inneres und Heimat.
Nicole Höchst (AfD)
Mit rund 41 Millionen Menschen ist circa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland katholisch oder evangelisch. Viele Menschen gehören anderen Glaubensgemeinschaften an oder fühlen sich keiner Religion zugehörig. Welche Rolle spielt das Weihnachtsfest und die Geburt Jesu im Jahr 2022 dennoch?
Leider wird Weihnachten zunehmend als „Fest der Liebe“ vermarktet und läuft so Gefahr, als reines Geschenke- und Familienfest seine christliche Bedeutung zu verlieren. Umso wichtiger ist das Licht, das die Geburt Jesu Christi in die Finsternis des Alltags wirft. Ein Alltag, der vielfach selbstzentriert und vor allem einsam stattfindet. Er steht oft unter dem Motto des Konsums – wobei man versucht, sich durch Konsum die Seele zu streicheln.
Auf der anderen Seite sieht man, dass Weihnachten auch heute eine unglaubliche Faszination auf alle Menschen ausübt. Weihnachten steht für die heilige Familie, für Gemeinschaft, für die Gemeinde im christlichen Sinne und für Geborgenheit. Glücklich ist der, der das Weihnachtsfest mit seinen Liebsten zusammen feiern und sich mit den Erinnerungen an die erlebte Gemeinschaft das Herz wärmen kann.
Wenn dieses Fest der Liebe im Licht des Glaubens gefeiert wird, veranlasst es auch Menschen, die eigentlich der Kirche entfremdet sind, einmal im Jahr zum Weihnachtsgottesdienst zu gehen. So kann Weihnachten auch dieses Jahr die Umkehr für glaubensferne Menschen sein. Sie können zu der großen christlichen Familie dazustoßen und so Einsamkeit und Traurigkeit beenden.
Es leben Muslime, Juden, Buddhisten und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften in Deutschland. Ist es aus Ihrer Sicht denkbar, dass irgendwann auch Feiertage anderer Religionen mehr Aufmerksamkeit bekommen?
Die Frage tut so, als gäbe es in Deutschland nur strukturelle Vorteile für Christen. Wenn es allein um die staatlich instituierten Feiertage geht, stimmt das wohl auch. Aber der Begriff der Religionsfreiheit beinhaltet ja viel mehr als nur feste Feiertage.
Es ist zweifellos ein großes Stück Gewohnheit, wenn kirchliche Feiertage zur Besinnung, aber auch einfach zur Entspannung genutzt werden. Daran kann man auch sehen, dass die Institutionalisierung von Feiertagen allein gar nicht dazu beiträgt, das Christentum zu wertschätzen. Es geht vielmehr um die Bedeutsamkeit und Wertschätzung, die wir den christlichen Vorstellungen und der Begehung dieser Feiertage beimessen.
Wir Christen sollten darauf mit einer Rückbesinnung auf die Grundlagen des Glaubens reagieren und Werte wie Familie, Ehe und Gemeinschaft in den Mittelpunkt unseres Lebens stellen. Natürlich wird die Diskussion über Feiertage anderer Religionen geführt. Leider oft rein unter dem Gesichtspunkt „Gleichstellung“ von Religionen. Das ist meiner Meinung nach viel zu kurz gesprungen, da man wie so oft die gleichmachen und gleich behandeln möchte, die in vielerlei Hinsicht nicht gleich sind. Dabei ist beispielsweise das Verhältnis der mit Feiertagen zu bedenkenden Religionen zu allen übrigen Religionen gemeint, zu unserem Rechtsstaat und zu anderen Gläubigen oder eben Atheisten und Agnostikern. Und es ist bereits seit Jahren zu erkennen, dass die Feiertage anderer Religionen politisch wie gesellschaftlich ebenfalls wertgeschätzt werden, ohne dass sie staatlich durch freie Tage zementiert wurden.
Das Christentum sowie das Judentum haben eine Jahrhunderte alte Verwurzelung in Deutschland, alle anderen großen Weltreligionen nicht. Diese Verwurzelung und abendländische Leitkultur gilt es zu bewahren.
Über Nicole Höchst: 1970 in Homburg (Saar) geboren, Regierungsschuldirektorin. Sie ist Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Religionspolitik der AfD-Fraktion und Obfrau im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.
Petra Pau (Die Linke)
Mit rund 41 Millionen Menschen ist circa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland katholisch oder evangelisch. Viele Menschen gehören anderen Glaubensgemeinschaften an oder fühlen sich keiner Religion zugehörig. Welche Rolle spielt das Weihnachtsfest und die Geburt Jesu im Jahr 2022 dennoch?
Unabhängig davon, was genau gefeiert wird – ob Weihnachten, Chanukka oder etwas anderes – ich denke, ein paar erholsame und besinnliche Feiertage im Kreise von Familie oder Freunden werden uns allen gut tun nach diesem Jahr.
Es leben Muslime, Juden, Buddhisten und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften in Deutschland. Ist es aus Ihrer Sicht denkbar, dass irgendwann auch Feiertage anderer Religionen mehr Aufmerksamkeit bekommen
Ja, unbedingt! Dafür setze ich mich seit langem ein. Für mich ist es eine Frage des gegenseitigen Respekts und auch der Verwirklichung des Rechts auf Religionsfreiheit. Auch für Angehörige anderer Religionsgemeinschaften als der christlichen Kirchen sollte es einen Urlaubsanspruch an hohen Feiertagen geben und beispielsweise die Möglichkeit, Prüfungen zu verschieben.
Über Petra Pau: 1963 in Berlin geboren, Lehrerin. Sie ist religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion und Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat. Außerdem ist Pau Bundestagsvizepräsidentin.
(Mira Knauf)